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ZersiedelungFlächenfraß weltweit ungebremst

Luftaufnahme Bayern mit Straßen und kleinen Siedlungsbereichen
Der Trend zur Zersiedelung unserer Landschaft ist ungebrochen. (Foto: Hansueli Krapf auf Wikimedia / CC BY-SA 3.0)

Die Zersiedelung schreitet weltweit dramatisch voran. Im Vergleich der Kontinente hat die Zersiedelung in Europa im Zeitraum 1990 bis 2014 am stärksten zugenommen. Problematisch: je mehr Planungskapazitäten, umso dynamischer die Entwicklung.

02.12.2022 – Trotz vielfacher Bemühungen, die Zersiedelung der Landschaft einzudämmen, schreitet sie weiter dramatisch voran. Von 1990 bis 2014 hat die Zersiedelung weltweit um 95 Prozent zugenommen. Die bebaute Fläche wuchs in diesem Zeitraum im Schnitt stündlich um rund 1,2 Quadratkilometer (mehr als 160 Fußballfelder).

Zum ersten Mal hat ein Forscherteam Ausmaß und Voranschreiten der Zersiedelung weltweit flächendeckend und vergleichend untersucht. Möglich machten dies globale Satellitendaten mit Informationen zu bebauten Flächen. Die Wissenschaftler:innen des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden und der Concordia University in Montréal (Kanada) konnte auf Daten zur Bebauung und zur Bevölkerungsverteilung zurückgreifen, die bis 1975 zurückgehen und deshalb den Verlauf der Zersiedelung auf dem gesamten Planeten analysieren. Ihre Analyse bildet den Zeitraum zwischen 1990 und 2014 ab.

In das Maß der Zersiedelung, das den Analysen zugrunde liegt, fließen mit dem Anteil der bebauten Flächen an einem Gebiet, der Streuung der Bebauung und der Siedlungsdichte drei verschiedene Komponenten ein. Sie geben an, wie Landschaft durch die Ausweitung von menschlichen Siedlungsbereichen beeinträchtigt wird. Hinzu kam in der Studie außerdem ein Maß, mit dem sich Aussagen dazu treffen lassen, wie stark jeder einzelne Mensch durchschnittlich zur Zersiedelung beiträgt, indem er Fläche beansprucht (Zersiedelung pro Kopf).

Europa ist Spitzenreiter bei Zersiedelung

Besonders überrascht war das deutsch-kanadische Forscherteam über die Ergebnisse für Europa. Nicht nur, dass der Kontinent im Jahr 2014 am stärksten zersiedelt war. Im Vergleich der Kontinente im Zeitraum 1990 bis 2014 hat die Zersiedelung in Europa auch am stärksten zugenommen. „Mit Blick auf die starke Urbanisierung in Ländern wie China und Indien hatten wir angenommen, dass die Zersiedelung in Europa sehr viel geringer ausfallen würde als zum Beispiel in den ostasiatischen Regionen und auch weniger stark als in Nordamerika. Unsere Ergebnisse haben diese Hypothese jedoch nicht bestätigt“, erläutert Martin Behnisch vom IÖR.

Insgesamt bezeichnen die Autor:innen die Ergebnisse als besorgniserregend, denn weltweit setzt sich der Trend zu einer immer stärkeren Zersiedelung und nicht-nachhaltigen Entwicklung fort. Vor allem in Ballungsräumen werden in den Außenbezirken immer mehr Flächen weitläufig bebaut. Schaut man auf die Pro-Kopf-Werte der Zersiedelung, so weisen Nordamerika, Australien und Europa die mit Abstand höchsten Werte auf.

Besorgniserregender Zusammenhang zwischen menschlicher Entwicklung und Ausmaß der Zersiedelung

Was den Wissenschaftlern außerdem Sorge bereitet, sind ihre Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen dem Niveau der menschlichen Entwicklung und dem Ausmaß der Zersiedelung. Um zu überprüfen, ob sich beide bedingen, bezog das Team den Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen in seine Untersuchungen ein. Der HDI bemisst den Grad der Entwicklung eines Landes unter anderem anhand der Lebenserwartung und der schulischen Bildung seiner Bevölkerung sowie anhand des Bruttonationaleinkommens pro Kopf.

Wie die Wissenschaftler vermutet hatten, zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang: Die Zersiedlung war in jenen Ländern am höchsten, die auch am höchsten entwickelt waren (siehe Abbildung 4). So zeigen die Ergebnisse, dass 30 Prozent der Staaten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) von einer hohen Zersiedelung und fast 90 Prozent von einer hohen Pro-Kopf-Zersiedelung geprägt sind. „Wenn man bedenkt, dass in Weltregionen wie Afrika und Asien eine Entwicklung, wie sie hochindustrialisierte Länder bereits durchlaufen haben, noch ansteht, wird deutlich, vor welcher enormen Herausforderung wir mit Blick auf die Begrenzung des Flächenverbrauchs stehen“, erläutert Martin Behnisch.

Die Entwicklung stoppen

Für eine nachhaltigere Zukunft wird es wichtig sein, ein besseres Gleichgewicht zwischen einer hohen Lebensqualität und einem sparsamen Umgang mit Fläche zu finden, so das Autorenteam. Planungssysteme, Vorschriften und Maßnahmen, wie es sie in Industrieländern seit langem gibt, konnten die Zersiedelung bisher nicht stoppen. Hier, so die Wissenschaftler, brauche es dringend weitere vergleichende Studien über wirksame Instrumente zur Steuerung der Siedlungsentwicklung, für welche die vorgelegten globalen Ergebnisse einen geeigneten Ausgangspunkt bilden könnten.

Je mehr Planungskapazitäten, umso mehr Zersiedelung

Als bemerkenswerte Ironie der menschlichen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte bezeichnen die Forscher die Tatsache, dass je mehr Wissen und Planungskapazitäten in verschiedenen Ländern bereitstehen, desto häufiger kommt es dennoch zu einer starken Landschaftszersiedelung. Nachhaltigkeit in der Siedlungsentwicklung erfordere eine grundlegende Transformation der bestehenden Planungspraxis.

Von Zersiedelung sprechen Fachleute, wenn sich Siedlungen in gestreuter Anordnung in angrenzende Gebiete und damit in der Regel in landwirtschaftlich genutzte oder natürlich geprägte Räume ausdehnen. Gekennzeichnet sind zersiedelte Gebiete meist durch eine geringe bauliche Dichte. Das heißt, vergleichsweise wenige Gebäude nehmen eine überproportional große Fläche in Anspruch. Durch die Notwenigkeit, diese Gebiete infrastrukturell anzuschließen und zu versorgen, geht Zersiedelung mit vielen negativen Folgen für Umwelt und Klima einher. Dazu zählt die Versiegelung wertvoller Böden durch Gebäude, Straßen und Versorgungsinfrastruktur. Zersiedelung führt zu höherer Zerschneidung und Fragmentierung von Lebensräumen und gefährdet damit die biologische Vielfalt und Widerstandfähigkeit von Ökosystemen. Sie verursacht einen übermäßigen Verbrauch natürlicher Ressourcen (Baumaterial), erhöht die Luftverschmutzung durch mehr Verkehr ebenso wie den Energieverbrauch und den Ausstoß von Treibhausgasen. pf


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