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KopenhagenKlimaneutral mit Spaßfaktor

Fahrradbrücke in Kopenhagen
In Kopenhagen ist man gerne mit dem Fahrrad unterwegs. (Foto: Ursula Bach / City of Copenhagen)

Kopenhagen gilt als Vorbild für nachhaltige Mobilität, doch dahinter steckt mehr: Der Umbau zur ersten klimaneutralen Hauptstadt der Welt. Das Erfolgsrezept bilden kreative Ingenieure und „hedonistische Nachhaltigkeit“.

12.06.2020 – Die neueste Maßnahme stammt von Ende Januar: Mit Elektroautos parken Kopenhagener in Zukunft kostenlos, Verbrenner müssen dagegen kräftig zahlen. Eine von hunderten kleinen und etlichen großen Schritten, mit denen Dänemarks Hauptstadt seit 2009 kontinuierlich an der klimaneutralen Stadt arbeitet. 2025 soll es soweit sein und den offiziellen Zahlen zufolge sieht es gut aus.

Wie schaffen die Dänen das? „Mit guter Planung und kreativen Ingenieuren“, sagt Reiner Perau, Geschäftsführer der Deutsch-Dänischen Handelskammer in Kopenhagen. „Das Thema E-Autos bewegt sich kaum schneller als in Deutschland, dafür aber alles andere.“ Damit meint Perau: Wärmeversorgung, Stromerzeugung, Energieeffizienz und Fahrradverkehr.

Die Planungen dafür begannen vor elf Jahren, als die Welt gebannt zum UN-Klimagipfel nach Kopenhagen schaute – und die Konferenz grandios scheiterte. Dennoch hielten die Dänen an ihrem Ziel der ersten klimaneutralen Hauptstadt fest. Seitdem entwickeln Politik und Verwaltung den Klimaplan kontinuierlich weiter, definieren Zwischenschritte und legen über Jahresberichte Rechenschaft ab. „Kopenhagen hält sich konsequent an diese Strategie und Beschlüsse werden nur im Einklang mit ihr gefällt“, bestätigt Perau, der seit vielen Jahren in der Stadt lebt und arbeitet.

Dadurch senkte Kopenhagen seinen CO2-Austoß zwischen 2005 und 2017 um 42 Prozent, obwohl die Einwohnerzahl im gleichen Zeitraum um ein Fünftel wuchs. Noch immer kommen pro Monat etwa 1.000 neue Einwohner hinzu, wenngleich die dänische Hauptstadt zu einer der teuersten Metropolen Europas zählt. Der guten Lebensbedingungen wegen. Eine „lebenswerte grüne Stadt“ nennt Kopenhagen sich selbst.

Warum nicht auf der Müllverbrennungsanlage Ski fahren?

1,2 Millionen Tonnen CO2-Emissionen gilt es für Kopenhagen komplett einzusparen oder rechnerisch auszugleichen. So hoch würde der jährliche Ausstoß im Jahr 2025 ausfallen, wenn die Stadtverwaltung seit dem beschlossenen Klimaplan im Jahr 2011 einfach weiter wie bisher gearbeitet hätte. Das größte Potenzial, dauerhaft Treibhausgase einzusparen, liegt in der Energieproduktion. Auf sie entfällt 74 Prozent der gesamten CO2-Reduktion bis 2025. Dann basiert die Strom- und Wärmeerzeugung auf Wind, Biomasse, Geothermie und Müllverbrennung. Grüne Mobilität trägt 11 Prozent bei, Energieeinsparungen weitere 7.

Neben den vielen Windturbinen an Land und im Meer steht das wohl bekannteste Projekt nordöstlich des alternativen Viertels Christiania, die neue Müllverbrennungsanlage Amager Bakke. Als „hedonistische Nachhaltigkeit“ bezeichnet der Kopenhagener Perau das Gebäude. Ein architektonisch ansprechender Bau, typisch skandinavisches Design für eine Verwendung, die kaum unattraktiver sein könnte. Um den Kopenhagenern die Müllverbrennungsanlage schmackhaft zu machen, haben sich Stadt, Architekten und Ingenieurbüros ins Zeug gelegt. Ein Skilift fährt Sportbegeisterte fast 100 Meter auf das Gebäude hinauf, oben angekommen folgt die 450 Meter lange Abfahrt auf grünen Plastikmatten, das Stadtzentrum im Blick. CopenHill heißt die Skipiste auf der Müllverbrennungsanlage, Dänemarks erste. Als Extra dabei: Kletterwand, Wanderwege und eine Après-Ski-Bar. Den Ingenieuren zufolge handelt es sich um die modernste Müllverbrennungsanlage der Welt mit einer Netto-Gesamtenergieeffizienz von 107 Prozent. Das Blockheizkraftwerk versorgt über 100.000 Haushalte mit Wärme und Strom und damit es nicht stinkt, herrscht in der Anlage konstant leichter Unterdruck.

Das effiziente Fernwärmenetz als Schlüssel

Den weitaus größeren, aber weniger spektakulären Beitrag zum Umbau der Energieerzeugung liefert das Heizkraftwerk Amagerværket des kommunalen Versorgungsunternehmens Hofor, nur einen Steinwurf von CopenHilll entfernt. Bereits 2010 wurde Block 1 umfangreich saniert und verbrennt seitdem Holzpellets. Noch in diesem Jahr ersetzt der hochmoderne Block 4 einen alten Kohlemeiler und nutzt jährlich 1,2 Millionen Tonnen Hackschnitzel zur Wärme- und Stromerzeugung. Die beiden Biomasse-Blöcke versorgen 60 Prozent der Kopenhagener mit klimaneutraler Fernwärme, der Rest stammt aus der Müllverbrennungsanlage, Geothermie und Wärmepumpen. Hofor betont, man verwende für die Biomasse-Kraftwerke nur nachhaltig bewirtschaftetes Holz und Holzabfälle.

Grundlage für diese hochmodernen Kraftwerke bildet das Fernwärmenetz Kopenhagens, eine kaum mit anderen Städten vergleichbare Anlage. 98 Prozent der Haushalte erhalten durch die Leitungen warme Heizungen und warmes Wasser – ideale Bedingungen für eine Wärmewende. Deutschlands größtes Fernwärmenetz in Berlin versorgt dagegen nur 30 Prozent der Haushalte. Eine klimaneutrale Wärmeversorgung lässt sich dadurch sehr viel kleinteiliger und schwieriger umsetzen.

Wer an Kopenhagen denkt, dem fällt aber vermutlich etwas anderes ein, nämlich die Fahrradkultur. Als „City of Cyclists“, Stadt der Radfahrer, bezeichnet sich Dänemarks Hauptstadt und schraubt mit dem Umbau der Verkehrsinfrastruktur kontinuierlich die Zahl der Radfahrer in die Höhe. Ihr Ziel: 2025 legen die Bewohner 75 Prozent aller Fahrten mit dem Fahrrad, dem Öffentlichen Nahverkehr oder zu Fuß zurück. Bis 2018 kletterte der Anteil bereits auf 68 Prozent. Im Berufsverkehr strebt die Verwaltung sogar eine Fahrradquote von 50 Prozent an und hat diese schon so gut wie erreicht. Auch der Nahverkehr soll dann 20 Prozent mehr Fahrgäste als noch 2009 transportieren, natürlich klimaneutral. Dafür sorgt unter anderem die vor wenigen Monaten eröffnete neue U-Bahnlinie Cityringen, die auf 17 Stationen mehrere Viertel mit der Innenstadt verbindet.

Klimaneutral statt emissionsfrei

2023 könnte das Ziel der klimaneutralen Stadt schon erreicht sein, rechnen Experten vor. „Aber die Frage ist, ob man das korrekt berechnet. In dieser Hinsicht gibt es Kritik“, sagt Kopenhagen-Experte Perau und trifft damit einen wunden Punkt. Bei allem Fahrradverkehr und einem gut ausgebauten Nahverkehr werden in fünf Jahren weiter Benziner und Diesel durch Kopenhagen fahren und selbst die modernste Müllverbrennungsanlage stößt Treibhausgase aus. Die Stadtverwaltung weiß darum, auch wenn sie es nicht auf die ersten Seiten ihres Klimaplans schreibt.

Ohnehin bedeutet klimaneutral nicht emissionsfrei, sondern lediglich, dass genauso viele Emissionen ausgeglichen oder gebunden wie ausgestoßen werden. Ein Gegenrechnen von Emissionen. Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass die 2025 verbliebenen Emissionen im Verkehr entstehen und Kopenhagen sie durch Exporte von überschüssigem Ökostrom ausgleichen kann. Kopenhagener Wind- und Biomassekraftwerke verdrängen dann Kohlestrom in anderen Landesteilen und sparen Emissionen, so das Kalkül. Aktuell geht diese Rechnung auf, Kohle liefert knapp 20 Prozent des dänischen Stroms. Doch bis 2030 vollzieht Dänemark seinen Kohleausstieg, hat die Regierung jüngst beschlossen. Spätestens dann stimmt die Klima-Rechnung Kopenhagens nicht mehr. „Klimaneutralität wird deshalb zu einem beweglichen Ziel für Kopenhagen“, heißt es entsprechend aus Politik und Verwaltung. Eine dauerhaft klimaneutrale Stadt könne nur gelingen, wenn man nach 2025 nicht die Arbeit einstelle, sondern kontinuierlich an der Reduktion der Emissionen arbeite. Clemens Weiß

Dieser Artikel erschien zuerst in der aktuellen Print-Ausgabe der energiezukunft – Das Thema: Urbane Energiewende.


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