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Zuviel Feinstaub in der LuftNachhaltige Verkehrswende statt Fahrverbote gefordert

Maßnahmen wie kleinräumige Fahrverbote bringen kaum Entlastung von CO2, Feinstaub und Stickoxiden, sagen Wissenschaftler der Akademie Leopoldina. Sie raten der Bundesregierung zu einer grundlegenden Verkehrswende statt kurzfristigem Aktionismus.

11.04.2019 – In vielen Städten werden die Grenzwerte für Stickstoffoxide überschritten, in einigen deutschen Städten gelten bereits Dieselfahrverbote – meist nur für einzelne Straßenabschnitte. Von solch kurzfristigen oder kleinräumigen Maßnahmen sei keine wesentliche Entlastung von Feinstaub und Stickoxiden zu erwarten, kritisieren Forscher der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Für eine bessere Luftqualität brauchen wir statt Einzelmaßnahmen eine bundesweite Strategie und eine nachhaltige Verkehrswende, fordern die Wissenschaftler in einer aktuellen Stellungnahme.

Debatte um Grenzwerte wieder versachlichen

Vor kurzem erst hatten mehr als hundert Lungenspezialisten den gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffoxide in Frage gestellt und damit eine neue Debatte um Grenzwerte für Schadstoffbelastungen ausgelöst. Doch schon nach kurzer Zeit entlarvten Wissenschaftler die Daten der Lungenärzte als unseriös. Dem deutschen Verkehrsminister allerdings kam die Stellungnahme der Ärzte sehr entgegen – er nahm sie zum Anlass dafür, eine Neubewertung der Grenzwerte auf EU-Ebene zu fordern. Eine 2008 beschlossene EU-Richtlinie gibt den rechtlichen Rahmen für die deutsche Luftreinhaltepolitik und damit auch der Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub vor. Um die Debatte wieder zu versachlichen, hatte die Bundesregierung die Leopoldina Akademie mit einer neuen Studie zum Thema beauftragt.

In ihrem Abschlussbericht kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass eine auf Stickstoffdioxid zugespitzte Diskussion nicht zielführend sei. „Lokale Maßnahmen und kurzfristiger Aktionismus“ seien zudem nicht geeignet, um die Luftqualität nachhaltig zu verbessern. So gelten etwa Fahrverbote nur für bestimmte Straßenabschnitte, das führe zu einer Verkehrsverlagerung in andere Straßen und Stadtgebiete – damit wird auch die Luftverschmutzung lediglich in andere Gebiete verlagert.

Feinstaub im Fokus

In Deutschland komme es vor allem bei den Stickstoffoxiden zu Überschreitungen des relativ strengen Grenzwerts – der Grenzwert für Feinstaub dagegen werde fast flächendeckend eingehalten. Das liege allerdings daran, erläutern die Forscher, dass dieser Grenzwert weniger streng angesetzt ist. Doch gerade Feinstaub sei deutlich schädlicher für die Gesundheit – die Partikel mit einer Größe von weniger als 2,5 Mikrometern gelangen über die Lungen in die Blutgefäße: Dort verursachen sie Entzündungen und Atembeschwerden mit erheblichen Folgeerkrankungen.

Alle Verursacher berücksichtigen, Messmethoden anpassen

Die Experten der Leopoldina raten nun dazu, weitere Anstrengungen zur Luftreinhaltung insbesondere auf die Feinstaub-Reduktion zu konzentrieren. Dabei seien im Straßenverkehr Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nicht die einzige Quelle für Feinstaub – man müsse auch den Abrieb von Reifen, Straßenbelag und Bremsbelägen berücksichtigen. Zur Feinstaubbelastung tragen auch Verbrennungsprozesse im Zusammenhang mit Energieversorgung und Haushalt, Landwirtschaft und Industrie bei. Einige dieser Bereiche seien bislang noch gar nicht gesetzlich geregelt.

Um alle Verursacher von Feinstaub und anderen Luftschadstoffen zu berücksichtigen, fordern die Wissenschaftler deshalb eine bundesweite ressortübergreifende Strategie zur Luftreinhaltung. Statt kleinräumigen und temporären Maßnahmen wie etwa Fahrverboten sollten vielmehr konzertierte Maßnahmen greifen, etwa zur Verbesserung der Brennstoffqualität und der Abgasreinigung – die hätten bereits über die letzten Jahrzehnte hinweg in Deutschland zu einer stetig besseren Luftqualität geführt.

Die bisherigen Messmethoden halten die Experten zudem für unzureichend und daher wenig zielführend. Die Messungen von Stickstoffdioxid und Feinstaub seien zwar genormt und die Aufstellung der Messstationen gesetzlich geregelt. Doch auch kleine Änderungen der Aufstellungsorte, die innerhalb gesetzlicher Spielräume liegen, könnten bereits zu Unterschieden in den Ergebnissen führen, so die Kritik der Forscher. Dabei gebe es auch noch international gesehen unterschiedliche Aufstellungsbedingungen, das macht die Vergleichbarkeit der Messergebnisse nicht einfacher.

Ohne Verkehrswende geht es nicht

Die von der EU festgelegten bestehenden Grenzwerte halten die Wissenschaftler grundsätzlich für angemessen. Allerdings sei es wissenschaftlich gesehen nicht wirklich möglich, exakte Grenzwerte zu definieren, unterhalb derer keine Beeinträchtigung der Gesundheit durch Stickoxid- und Feinstaubemissionen zu erwarten wäre. Die Stickoxid-Belastung durch den Verkehr in Deutschland sei in den vergangenen Jahrzehnten zwar tendenziell gesunken, vor allem durch den Austausch alter mit moderneren Fahrzeugmodellen. Die Forscher warnen aber davor, alle Dieselfahrzeuge schrittweise gegen Benziner gleicher Gewichtsklasse und Motorleistung auszutauschen: dadurch könnte zwar die Stickoxid-Belastung noch weiter sinken, dafür würden jedoch CO2-Emissionen wieder zunehmen.

Deutschland kann seine internationalen Verpflichtungen zur CO2-Reduktion daher nur mit einer nachhaltigen Verkehrswende erreichen, betonen die Wissenschaftler der Leopoldina – emissionsarme Formen der Mobilität müssen weiterentwickelt werden und nun rasch auf den Markt kommen. Das wäre nicht nur gut für den Klimaschutz, sondern davon könnte auch die deutsche Wirtschaft profitieren. „Die nötige Verkehrswende senkt zugleich beim Feinstaub die Risiken für die Gesundheit der Menschen und beim CO2 die Risiken der globalen Erwärmung“, sagt Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und einer der Autoren der Stellungnahme. „Es geht um gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten. Und als Ökonom sage ich: Die deutsche Auto-Industrie kann profitieren, wenn sie statt zu bremsen entschlossen in saubere Antriebe wie etwa in die Elektromobilität investiert.“ Bundesverkehrsminister Scheuer kommentierte die Stellungnahme der Wissenschaftler: „Grenzwerte dürfen nicht politisch-ideologisch festgesetzt sein. Sie müssen erreichbar sein. Wir müssen Fahrverbote vermeiden, zum Beispiel durch Förderprogramme für gute Luft.“ Wie die gute Luft denn nun gefördert werden soll, sagte er nicht. na


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