Schutz vor EntwaldungZertifikate aus dem Waldschutz massiv überschätzt

Bergwald in Peru
Das Waldschutzgebiet Alto Mayo in Peru. (Foto: JYB Devot auf Wikimedia / CC BY-SA 4.0)

Um Treibhausgasemissionen zu kompensieren, kaufen Unternehmen häufig auf freiwilliger Basis Zertifikate von Waldschutzprojekten. Doch Wälder werden damit weit weniger vor Abholzung geschützt als angenommen. Dem Klimaschutz ist damit nicht gedient.

31.08.2023 – Viele Firmen kompensieren freiwillig ihre Treibhausgas-Emissionen, indem sie Zertifikate aus Waldschutzprojekten erwerben – doch diese halten meist nicht, was sie versprechen. Projekte, die angeblich tropischen Regenwald vor der Abholzung schützen, vermeiden viel weniger Emissionen als angegeben. Ein Forscherteam hat 26 solcher Projekte in sechs südamerikanischen und afrikanischen Ländern näher untersucht und die geschützten Flächen mit vergleichbaren ungeschützten Flächen in der Region verglichen. Mit ihrer Studie untermauern sie die seit langem geübte Kritik, dass Emissionseinsparungen mit Zertifikaten aus dem Waldschutz massiv überschätzt werden.

„Wir haben festgestellt, dass die meisten Projekte die Entwaldung nicht signifikant reduziert haben. Bei den Projekten, bei denen dies der Fall war, waren die Reduzierungen wesentlich geringer als behauptet“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie.  Nur etwa sechs Prozent der CO2-Zertifikate aus den untersuchten Projekten sind tatsächlich mit vermiedenen Emissionen verknüpft.

Zertifizierer wählen häufig einfach zu schützende Flächen

Zu bestimmen, wie viele Emissionen ein Waldschutzprojekt einspart, ist schwierig, da nie sicher ist, was ohne das Projekt geschehen wäre. Zum Beispiel hätte eventuell ein neues Gesetz die Abholzung ohnehin verringert. Zertifizierer berechnen die Einsparungen, indem sie Abholzungstrends größerer Waldflächen in die Zukunft fortschreiben und so bestimmen, wie viel der Schutz einer Teilfläche bringt. Das ist den Autorinnen und Autoren der Studie zufolge problematisch: Die Umstände könnten sich ändern, die Berechnungen würden aber für zehn Jahre festgelegt. Außerdem würden oft Flächen gewählt, die ohnehin einfacher zu schützen sind. Insgesamt lasse dieses Verfahren viel Freiraum, um Projekten möglichst viele Einsparungen zuzuschreiben und somit möglichst viele Zertifikate zu verkaufen.

Die Autorinnen und Autoren bestimmten die Einsparungen, indem sie für jedes Projekt Kontrollflächen auswählten. Diese ähneln den Projektflächen unter anderem in ihrer historischen Abholzungsrate, stehen aber nicht unter Schutz. Die Ergebnisse aus diesem Vergleich: Nur bei etwa einem Drittel der Projekte (8 von 26) war die Abholzungsrate geringer als auf den Kontrollflächen. Die meisten Projekte schützen den Wald also nicht effektiv. Selbst die erfolgreichen Projekte vermieden weniger Emissionen als sie angegeben hatten – mit einer Ausnahme – und generierten somit zu viele CO2-Zertifikate. Die Forschenden fordern daher bessere Verfahren für die Zertifizierung von Waldschutzprojekten.

Wenig Nutzen für den Klimaschutz, aber ökonomisch effektiv für Betreiber

„Was viele vermutet und an einzelnen Projekten auch beobachtet haben, ist jetzt durch Zahlen belegt“, konstatiert Michael Köhl, Professor für Weltforstwirtschaft von der Universität Hamburg. „Die Projekte sind ineffektiv für den Klimaschutz, aber ökonomisch effektiv für die Betreiber. Solange Projektbetreiber ihre Referenzflächen selbst auswählen können, wird sich daran nichts ändern.“ Köhl plädiert dafür, dass Referenzflächen nicht durch Projektbetreiber ausgewählt werden sollten.

Kompensation grundsätzlich auf den Prüfstand stellen

Für Hannes Böttcher, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Öko-Institut, macht die Studie das grundsätzliche Problem deutlich. Böttcher stellt die Idee der Kompensation auf der Ebene von Unternehmen oder gar Produkten sogar in Frage. „Die Klimakompensation sollte auf keinen Fall dazu genutzt werden, klimaschädliche Geschäftsmodelle länger aufrecht zu erhalten. Wenn es in einem Unternehmen nicht und nur schwer vermeidbare Emissionen gibt, sollten diese nicht durch sehr günstige und – wie die Studie ja zeigt – oftmals problematische Zertifikate ausgeglichen werden, da dadurch jeglicher Anreiz zur weiteren Vermeidung genommen wird. Stattdessen sollten Unternehmen in die Verbesserung des Klimaschutzes investieren, aber nicht durch Kompensation, sondern durch die Finanzierung von Klimaschutz ohne Gegenrechnung.“

Lebensbedingungen vor Ort einbeziehen

Eine zusätzliche Problemlage entsteht, wenn Waldschutzprojekte sozioökonomische Indikatoren ignorieren. Darauf weist Sven Günter hin, der am Thünen-Institut den Arbeitsbereich Waldwirtschaft weltweit leitet. Die in der Studie gemachten Vorschläge für ein besseres Wirkungsmonitoring bezögen sich „nur auf C02-Einsparpotentiale und nicht auf sozioökonomische Kenngrößen nachhaltiger Entwicklung oder die Analyse veränderter Ursache-Wirkungsbeziehungen – sogenannte direkte oder indirekte Treiber von Entwaldung und Degradierung.“

Es gibt eine Vielzahl an direkten und indirekten Ursachen für Entwaldung. Insbesondere die indirekten Ursachen wie Bevölkerungsentwicklung, Armut, Korruption, mangelnde Planungsgrundlagen, Rechtssicherheit oder eine unstabile politische Ausgangssituation hängen von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtsituation eines Landes ab. „Ein einzelnes Klimaprojekt ist zeitlich und räumlich begrenzt und kann diese indirekten Ursachen im besten Fall punktuell beeinflussen, aber nicht lösen. Projekte, welche diese indirekten Ursachen ignorieren, scheitern häufig oder verdrängen bisherige klimaschädliche Bewirtschaftungspraktiken auf andere Flächen. Mit einfachen Worten zusammengefasst: Nachhaltige Klimaeffekte benötigen mehr Zeit und eine umfassendere gesellschaftlich-wirtschaftliche Transformation“, so das Plädoyer von Günter.

Zum Hintergrund: Im freiwilligen Kohlenstoffmarkt können Firmen oder Privatpersonen CO2-Zertifikate kaufen, zum Beispiel, um mit „Klimaneutralität“ zu werben. Damit investieren sie in Projekte, die Emissionen vermeiden – etwa indem sie Wälder vor der Abholzung schützen oder trockengelegte Moore vernässen. Andere Projekte generieren negative Emissionen, zum Beispiel indem sie Wälder pflanzen. Wichtig ist die Unterscheidung dieses Systems vom Emissionshandel, wie er etwa in der EU gilt: Beim Europäischen Emissionshandel gibt es ein festgelegtes Kontigent an Zertifikaten, das jährlich verringert wird. Firmen bestimmter Branchen sind dazu verpflichtet, für ihre Emissionen Zertifikate zu erwerben. So sinken die Emissionen in den betroffenen Branchen zwangsläufig. In diesem System können Firmen keine Zertifikate aus Waldschutzprojekten nutzen. pf

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