Menü öffnen

Soziale GerechtigkeitEnergiewende – aber bitte gerecht!

Energieprojekt „Malchower Aue“
Auch in einem Viertel mit niedrigen Mieten wie Hohenschönhausen in Berlin kann Solarstrom vom Dach zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen und die Stromkosten der Bewohner senken. Umgesetzt wurde das Energieprojekt „Malchower Aue“ von den Berliner Stadtwerken auf vier Gebäuden der Wohnungsbaugenossenschaft NEUES BERLIN (Foto: © Stadtwerke Berlin/Moritz Thau)

Klimaschutz auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit – das ist der traurige Status Quo in Deutschland. Dabei gibt es zahlreiche Ideen, um einkommensschwache Haushalte zu entlasten und trotzdem die Energiewende voranzutreiben.

25.11.2020 – Mehr als die Hälfte der Bevölkerung empfindet die Energiewende als ungerecht – und nur jeder Fünfte als gerecht. Dabei sollte Klimaschutz doch eigentlich als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und sozial gerecht gestaltet werden. Und tatsächlich: Obwohl Menschen mit einem geringen Einkommen einen vergleichsweise kleinen CO2-Fußabdruck haben, müssen sie für den Klimaschutz tief in die Tasche greifen.

Über Steuern zahlen sie die Emissionen der Besserverdiener mit, schultern überproportional hohe Kosten der Energiewende und entlasten dabei sogar noch die Industrie. Gleichzeitig profitieren sie am wenigsten von der Energiewende, da sie sich weder eine erneuerbare Eigenproduktion noch grüne Investments leisten können. Doch woran liegt es, dass ausgerechnet Menschen mit einem geringen Einkommen von den Maßnahmen gegen die Klimakrise finanziell besonders stark betroffen sind?

Entwicklung der EEG-Umlage

Eine wesentliche Ungerechtigkeit der Energiewende entsteht durch das Design der EEG-Umlage. Während sie im Jahr 2009 bei 1,3 Cent pro Kilowattstunde lag, kletterte die Umlage in den Folgejahren rasant an und erreichte 2017 mit fast sieben Cent ihren vorläufigen Höchstwert. Damit stieg ihr Anteil an den Stromkosten für Haushalte auf etwa ein Viertel. Zur Entlastung der Bevölkerung aufgrund der Corona-Krise wird die EEG-Umlage im Jahr 2021 auf 6,5 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt, im Jahr 2022 sogar auf 6,0 Cent.

Ungerechte Verteilung

Finanziert wird die EEG-Umlage zwar von allen Stromverbrauchern – jedoch nicht in gleicher Höhe. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit gibt es seit Jahren Sonderregelungen für die stromintensive Industrie. Sie zahlt nur ein Bruchteil der eigentlichen Umlage. Aufkommen müssen dafür dann alle anderen Verbraucher, irgendwie muss die Finanzierungslücke schließlich geschlossen werden. Damit zahlen private Haushalte für die Industriepolitik Deutschlands, was – wenn überhaupt – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Steuerzahler wäre, gestaffelt nach ihrem Einkommen. Zwar wirken die Energiepreise in Deutschland durchaus regressiv, wodurch ärmere Haushalte absolut weniger Geld für Energie ausgeben, jedoch machen die Ausgaben einen größeren Anteil ihres verfügbaren Einkommen aus. Damit trifft eine Erhöhung der EEG-Umlage ärmere Bevölkerungsschichten deutlich härter als alle anderen Verbraucher.

Die EEG-Umlage wurde im Jahr 2000 eingeführt, um die Energiewende anzukurbeln und den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu finanzieren. Seitdem bekommen Wind- oder Solaranlagenbetreiber eine festgelegte Einspeisevergütung, die die Wirtschaftlichkeit der Anlagen gewährleisten soll. Allerdings hat sich die Höhe der EEG-Umlage schon vor Jahren vom Zubau der Erneuerbaren entkoppelt. Treiber der Umlage war im letzten Jahrzehnt die immer größere Differenz aus Vergütung für die Betreiber und Einnahmen an der Strombörse. Der Zwangsverkauf des EEG-Stroms an der Börse hat zu einem gewaltigen Überangebot geführt, die Preise sind gesunken.

In den letzten zwanzig Jahren hat die Schere zwischen Arm und Reich bei den Energieausgaben deutlich zugenommen. Im Jahr 2011 haben einkommensschwächere Haushalte schon fast zwölf Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Energiekosten aufgewendet – 1998 waren es noch rund sieben Prozent. Von einer Steigerung des Strompreises werden sie dabei doppelt so stark getroffen, wie die Haushalte mit einem höheren Einkommen. Diese Gruppe der Bevölkerung wendete 2011 nur etwas über sechs Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Energiekosten auf – und 1998 sogar nur vier Prozent. Die Kosten der Energiewende belasten damit ärmere Bevölkerungsschichten überproportional hoch. Dadurch hat seit 1998 auch die Anzahl der von Energiearmut betroffenen Haushalte, die mindestens zehn Prozent ihres Einkommens für Energiekosten aufwenden, deutlich zugenommen. Fast 40 Millionen Menschen konnten es sich 2018 in Europa nicht mehr leisten, ihre Wohnung angemessen warm zu halten.

Energiewende sozial gerecht gestalten

Die Energiewende kann zur sozialen Gerechtigkeit beitragen, wenn sie klug ausgestaltet ist„Die Energiewende kann zur sozialen Gerechtigkeit beitragen, wenn sie klug ausgestaltet ist“, sagt Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschunge.V. (DIW Berlin). „Das ist sie derzeit nicht.“ Erst eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien könne Umwelt- und Klimaschäden vermeiden und nebenbei auch die Ungerechtigkeiten zwischen den „heutigen und künftigen Generationen und die Ungerechtigkeiten zwischen den Reichen und den Armen, den Starken und den Schwachen“ beenden. Dafür fordert Kemfert das Herunterfahren der zahlreichen Industrieausnahmen bei der EEG-Umlage. Unternehmen sollten nur dann einen Anspruch auf reduzierte Abgaben erhalten, wenn sie sich energiesparend verhalten. „Zudem kann die Stromsteuer gesenkt werden. Einkommensschwachen Haushalten sollte man vor allem durch einen Klimabonus und faires Einkommen helfen, sowie preiswerten und komfortablen ÖPNV und mehr Geld fürs Energiesparen.“

Ein sozial gerechter Klimaschutz könne, meint Kemfert, vor allem durch Kostenwahrheit und Einpreisung von Klima- und Umweltschäden hergestellt werden. Eigentlich gilt in Deutschland das sogenannte Verursacherprinzip, nach dem der Verursacher für die Kosten der Beseitigung seiner Umweltverschmutzung aufkommen muss – doch es wird nicht angewandt. So zahlen einkommensschwache Haushalte über umweltschädliche Subventionen und umfangreiche Industrieausnahmen das CO2-intensive Wirtschaften von Unternehmen mit. Fossile Brennstoffe werden hierzulande mit stolzen 37 Milliarden Euro unterstützt, Flugbenzin mit Steuervergünstigungen in Höhe von 12,5 Milliarden Euro. Das Dieselprivileg kostet die Steuerzahler jedes Jahr 11,5 Milliarden Euro, und energieintensive Konzerne freuen sich über 5,4 Milliarden Euro Entlastung. Für all diese Kosten zahlt im Zweifel auch die Familie, die selbst nie ins Flugzeug steigt, kein Auto hat und versucht, ihre Stromrechnung so gering wie möglich zu halten.

Man stelle sich vor, alle Menschen müssen fortan den Schaden bezahlen, den sie anrichten.Die gute Nachricht: Auch in Deutschland kann der Klimaschutz sozial gerecht gestaltet werden. Zum Beispiel mit einer Klimaprämie – oder auch Pro-Kopf-Auszahlung. Kemfert spielt dies gedanklich einmal durch: „Man stelle sich vor, alle Menschen müssen fortan den Schaden bezahlen, den sie anrichten. Man stelle sich vor, man würde die derzeit oft steuerbefreiten Klimaschädlinge wie Kerosin, Diesel, Benzin und Heizöl an den verursachten Klimawandel-Folgekosten realistisch beteiligen. Und am selben Tag würde man damit beginnen, den Menschen das Geld, das ihnen jahrzehntelang heimlich aus den Taschen gezogen wurde, zurückzugeben – als Klimabonus oder Klimaprämie. Dann hätte man die soziale Gerechtigkeit, die man braucht.“ Die Prämien von Haushalten mit niedrigen Einkommen würden die Steuerbelastungen übersteigen, während Besserverdiener je nach Lebensstil etwas tiefer in die Tasche greifen müssten.

Einkommensschwache Haushalte entlasten

Eine weitere Möglichkeit zur Erreichung von mehr sozialer Gerechtigkeit in Klimaschutz und Energiewende sieht die Wissenschaft in einer speziell ausgestalteten CO2-Bepreisung. Für eine klimaneutrale Energieversorgung ist längst klar: ohne einen Preis für Kohlenstoffdioxid wird es nicht gehen. Dabei werden die sogenannten externen Kosten – also Kosten für Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschäden – auf die Energiepreise aufgeschlagen. Der Preis für Strom aus Erneuerbaren Energien bliebe stabil, der von Kohlestrom würde hingegen steigen. Insgesamt würden sämtliche fossile Brennstoffe wie Benzin oder Heizöl deutlich teurer werden. Und wen würden die Kostensteigerungen besonders hart treffen? Mal wieder die ärmeren Haushalte. Denn sie wohnen eher in schlecht isolierten Mietwohnungen und können sich besonders energieeffiziente Geräte nicht leisten. Doch es gibt eine Lösung.

Um durch eine CO2-Bepreisung, die für den Kampf gegen die Klimakrise in den nächsten Jahren unersetzlich sein wird, die sozialen Ungleichheiten nicht noch weiter zu verschärfen, sehen viele Konzepte eine Rückerstattung von den Einnahmen vor. Im Rahmen der bereits von Kemfert vorgestellten Klimaprämie würden alle Bürger unabhängig von ihrem Einkommen einen einheitlichen Geldbetrag erhalten. Besonders stark stiege dadurch das verfügbare Einkommen einkommensschwacher Haushalte, die soziale Gerechtigkeit könnte verbessert werden – zusammen mit dem Klimaschutz.

Andere Vorschläge weichen von der einkommensunabhängigen Pro-Kopf-Erstattung ab. So empfiehlt zum Beispiel das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) die Einnahmen aus einer CO2-Bepreisung für zwei Ziele zu nutzen: Zum einen für die weitere Stärkung der Energiewende, zum anderen zur relativen Besserstellung der besonders belasteten Haushalte. Die Potsdamer Wissenschaftler sprechen sich deshalb für die Sicherstellung eines stabilen Strompreises, für Zuschüsse beim Kauf energieeffizienter Haushalts- und Wärmetechnologien sowie für eine umfassende Unterstützung sozialen Wohnungsbaus mit hohem Effizienzstandard aus.

Ob mittels einer Klimaprämie oder speziell ausgestalteten CO2-Bepreisung: Die Beispiele zeigen, dass sich Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit nicht ausschließen müssen. Im Gegenteil, sie lassen sich sehr gut miteinander verknüpfen. Dabei darf auf keinen Fall vergessen werden, dass auch die beste Energiepolitik eine gerechte Sozialpolitik nicht ersetzen kann. Im Rahmen einer Gesamtstrategie können die beiden Politikbereiche am selben Strang ziehen – und einen sozial gerechten Klimaschutz möglich machen. Joschua Katz


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft