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Biogas in IndienAlles andere als ein Strohfeuer

Das aus Stroh erzeugte Biogas wird vor Ort zu CNG aufbereitet und an Tankstellen in der Region verteilt. (Foto: Jörg Böthling)

Biogas im großen Stil: Mit deutscher Technologie wird im nordostindischen Bundesstaat Punjab Stroh vergoren. Das erzeugte Biogas wird vor Ort zu CNG aufbereitet und an Tankstellen in der Region verteilt.

14.04.2023 – Was für eine fruchtbare Ebene: Kein Berg, kein Hügel, nicht einmal eine sanfte Kuppe. Es ist einfach nur flach, inmitten sattgrüner Felder im Herzen des indischen Bundesstaates Punjab. Während es weiter nördlich, in den Ausläufern des Himalayas, Mitte Januar noch schneit, steigen die Temperaturen im Punjab im Laufe des Tages schon mal auf über 15 Grad Celsius an.

Allerdings fällt das Thermometer in der Nacht oft empfindlich, manchmal sogar knapp unter null Grad Celsius. Dann werfen die Mitarbeiter von Verbio India in ihrem Guesthouse unweit der Bioraffinerie schon mal den elektrischen Ölradiator an, um – trotz dicker Schlafdecke –nicht zu frieren. Kaum zu glauben, dass an gleicher Stelle, nur ein paar Monate später, Hitzewellen mit weit über 40 Grad Celsius vollkommen normal sind.

Der Teleskop-Radlader auf dem Gelände der nagelneuen Verbio Bioraffinerie in der Nähe der Stadt Lehragaga piept ununterbrochen. Der Fahrer holt unablässig neue Großrundballen von einer zwölf Meter hohen Strohmiete heraus, um sie in die Vergärungsstraße zu bringen. Gleich mehrere Mieten von 100 Metern Länge befinden sich auf dem elf Hektar großen Betriebsgelände. In den Ballen befindet sich das Stroh von Reis, und auch, wenngleich deutlich weniger, Weizen.

Es sind nach Angaben von Betriebsleiter Pankaj Jain seit Betriebsbeginn rund 40.000 Tonnen Stroh, die man von rund 1.000 Landwirten im engeren Umkreis erfasst hat. Das ist ein gewaltiges Volumen, weshalb das Stroh nicht nur direkt an den acht Fermentern der Anlage deponiert ist, sondern man noch vier weitere Zwischenlager eingerichtet hat, um das strohige Gärmaterial, abgedeckt mit Planen, zu stapeln. Die dahinterstehende Logistik, die dafür sorgt, dass das Stroh am Ende trocken von den Feldern geholt und in guter Qualität bis zum Fermenter gebracht wird, ist enorm. Und sicherlich auch einer der wichtigsten Schlüssel dafür, damit die erste Strohvergärungsanlage dieser Art in Indien, die mit viel Polit-Prominenz im Jahr 2022 eingeweiht wurde, nachhaltig Erfolg haben soll.

Welcome into the Greenzone

Das 80-köpfige Team von Verbio India versprüht derweil positiven Pragmatismus. „Welcome into the Greenzone“ steht am Eingang zur Bioenergie-Anlage, die satte 25 Millionen Euro Investitionen erforderte. Vorbei am grünen Pferd von Verbio herrscht reger Verkehr zu und weg von der Biogasproduktionsstätte.

Während Strohladungen kommen, verlässt das gereinigte und komprimierte Methan als Compressed BioGas (CBG), abgefüllt in Standard-Gasflaschen den Ort. Lkws fahren es zu umliegenden Tankstellen, welche sich in Entfernungen von 25 bis zu 100 Kilometern befinden Auch Gärreste werden abtransportiert – mit Lastern, aber auch mit kleinen von Traktoren gezogenen Anhängern. Diese werden als hochwertige Dünger auf die Felder zurückgebracht.

Hohe Erwartungen

Obschon man sich die Bioraffinerie in Lehragaga immer noch im Hochlauf befindet und man erst mit maximal rund 100.000 Tonnen Stroh pro Jahr die Kapazität erreicht haben wird, sind die Erwartungen schon jetzt groß. Von der indischen Politik, aber auch von den Landwirten rundherum.

Das bekommt keiner mehr als Pankaj Jain täglich zu spüren. Der studierte Chemie-Ingenieur ist an diesem nebelverhangenen Morgen ständig zwischen Fermentern, Stroh- und dem anwachsendem Gärrestelager unterwegs, um die Betriebsabläufe im Blick zu behalten. Die Fermenter werden, ein paar Monate nach Betriebsstart, mit rund 60 Tonnen Stroh pro Tag gefüttert.

Die Anlage basiert auf der von Verbio bereits 2014 entwickelten Technologie. Die beiden deutschen Stroh-Biomethan-Anlagen gingen bereits 2014 und 2019 in Betrieb. 2021 folgte dann die Inbetriebnahme einer weiteren baugleichen Anlage in Iowa (USA) und 2022 zog dann Indien nach. Während das Biomethan in Deutschland und den USA über das Erdgasnetz transportiert wird, wird es in Indien direkt in 75 bis 150 Liter großen Standardflaschen abgefüllt, die auf Lkw-Trailern fest installiert sind. Sind die Flaschen eines Trailers abgefüllt, wird er von einem Truck abgeholt und zu einer Tankstelle gebracht.

In Europa heißt dieser Kraftstoff CNG, in Indien jedoch, etwas irreführend, heißt das Produkt Compressed Natural Gas (CNG) – welches auch an der Tankstelle von Vivek Singia, die sich an der Hauptstraße zwischen Sangrur nach Patran befindet, zu bekommen ist. Nichts Spektakuläres. Es gibt Diesel, Benzin und eben Gas. Letzteres ist in Indien ein gängiger Kraftstoff. Dass die Autofahrer an der Tankstelle von Singia zu einem Viertel Bio-CNG tanken, wissen sie allerdings nicht, denn es gibt hier keinen Unterschied zwischen fossilem und erneuerbarem Methan.

Wenn sich die CBG-Ladung an der Tankstelle dem Ende neigt, geht der Trailer mit den leeren Gasflaschen wieder zurück zur Biogasanlage von Verbio India in Lehragaga. Ein Kreislauf, der schon nach kurzer Anlaufzeit gut funktioniert. Auch wenn die Produktionsmenge noch um ein Dreifaches stiege, wäre die CBG-Distribution logistisch kein Problem.

Verschiedene Modelle in der Testphase

Komplexer ist die Logistik für Stroh und Gärreste. „Es befinden sich noch verschiedene Modelle im Test. Das Stroh kann über Lohnunternehmen oder durch eine eigene Logistik erfasst werden“, sagt Ashish Kumar, Geschäftsführer von Verbio India. Kumar ist für ein paar Tage von der Hauptstadt des Bundesstaates Punjab, Chandigarh, wo sich das Headoffice von Verbio India befindet, gekommen, um das Thema Strohbergung mit einzelnen Landwirten als auch mit ganzen Dorfgemeinschaften direkt vor Ort zu diskutieren.

Kumar hat nach seinem Militärdienst bei der indischen Marine in Leipzig das Fach International Business studiert und anschließend eine längere Zeit in München bei einer Unternehmensberatung (EAC) gearbeitet. Wie er zu Verbio gestoßen ist? „Mich hat der Pioniergeist beeindruckt, die kurzen Entscheidungswege und die flache Hierarchie“, antwortet der Endvierziger spontan in Englisch. Er ist fest davon überzeugt, dass die Strohvergärung in vielen Regionen Indiens in Zukunft großen Erfolg haben wird. Weshalb? „Allein die Tatsache, dass das flächendeckende Verbrennen von Reisstroh den Punjab nach der Ernte bisher in giftige Rauchwolken eintaucht, mit unserer Form der Verwertung ein Ende finden wird. Dieser Aspekt ist sehr wichtig für uns“, unterstreicht Kumar.

Aber auch die Tatsache, dass Verbio viele Jobs im ländlichen Raum schaffe, spreche für das Geschäftsmodell. Ein gutes Beispiel für neue Jobs ist beispielsweise Manseet Singh, der auf dem 3,5 Kilometer entfernten externen Strohlager einen Job als Radlader-Fahrer hat. „Meine Familie hat im Dorf Bhutal Kalan eine kleine Farm mit zwei Hektar“, erzählt der 27-Jährige vor einer Strohpyramide stehend. Sein Einkommen nimmt den ökonomischen Druck von der Kleinbauernfamilie.

Bewusstsein für nachhaltige Energieerzeugung stärken

Zudem ist das Argument einer nachhaltigen Energieerzeugung von Bedeutung, wenngleich es in Indien noch nicht längst nicht den gesellschaftlichen Stellenwert hat wie in Europa. Obgleich die Biogaserzeugung für den Kraftstoffsektor mit fixierten Tarifen innerhalb eines flexiblen Preiskorridors ökonomisch abgesichert ist, fehlt es noch an Transparenz im Markt. Denn wer ein Gas-Auto in Punjab betankt, weiß nicht, ob das Gas aus Qatar, Russland oder sonst wo herkommt oder ob es aus dem Stroh umliegender Felder erzeugt worden ist. Entsprechend erfährt das Bio-CNG keinen höheren Preis an der Zapfsäule.

Dennoch gehöre Biogas, so das klare Bekenntnis der indischen Zentralregierung und dem zuständigen Ministerium für neue und erneuerbare Energie in New Delhi, zu einem wichtigen Baustein auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren, bestenfalls klimaneutralen Energieerzeugung.

Großer Anteil der Energieerzeugung aus Biomasse

So spielt Biomasse insgesamt eine unglaublich wichtige Rolle in der Energieversorgung Indiens: rund ein Drittel basiert auf Nachwachsendem. Dabei stellen die Hunderttausenden Mini-Biogasanlagen, die in den letzten Jahrzehnten vom Kap Komorin im Süden bis in die Berge von Darjeeling installiert worden sind und deren Biogas vor allem fürs Kochen genutzt werden, sowie die vorrangig in den letzten Jahren entstandenen Großanlagen für die Stromgewinnung und für die Kraftstoffproduktion keinen Widerspruch dar. Beides existiert parallel nebeneinander – wie auf dem Hof von Darshan Singh zu beobachten ist.

Singhs Familie vergärt den Dung ihrer zehn Kühe und deren Nachzucht schon seit vielen Jahren mit einer kleinen simplen Hofanlage; die Gasmenge deckt den Kochenergiebedarf problemlos. Singh, der mit seiner Familie rund 18 Hektar bewirtschaftet, kennt sich also aus eigener Erfahrung mit dem Thema Biogas aus. Nicht zuletzt deshalb begrüßt er die große Verbio-Vergärungsanlage, die nur drei Kilometer von seinem Hof entfernt gebaut worden ist. „Unser Reisstroh gebe ich dort gerne ab. Unsere Rinder fressen das aufgrund des hohen Silikat-Anteils sowieso nur sehr ungern. Von daher habe ich es bisher direkt nach der Ernte fast immer auf dem Feld verbrannt, um ein sauberes Saatbeet für den nachfolgenden Weizen zu erhalten“, sagt Singh.

Das eigene Weizenstroh würde er dagegen nicht abgeben wollen. „Zum einen brauche ich einen Teil davon für meine Tiere und mit dem Rest kann ich auf dem Strohmarkt einen guten Preis erzielen“, erklärt Singh. Und wie ist es mit dem Humusgehalt seiner Böden, wenn er zwei Ernten pro Jahr einfährt und die gesamte Biomasse verbrennt bzw. abführt? Tatsächlich schwächele die Organik in den Böden seiner Felder, räumt Singh kleinlaut ein. So wie fast überall auf vielen Feldern im Punjab (übersetzt „Fünf-Strom-Land“), welche aber mit ausreichend Wasser aus Kanälen und zusätzlich über eigene Brunnen das ganze Jahr versorgt sind. Dies kaschiert vieles. „Aber es gibt ja auch Mineraldünger, was von der Regierung subventioniert wird“, meint Singh, der aber unabhängig davon auch Gärreste von Verbio annehmen will. „Vorausgesetzt ich bekomme sie umsonst.“

Dünger-Lobby blockiert nachhaltige Landwirtschaft

„Wir sind immer noch in einer NPK-Wirtschaft“, kritisiert indes Verbio-Manager Kumar. Die Dünger-Lobby habe nach wie vor einen großen Einfluss auf die indische Landwirtschaftspolitik und blockiere eine nachhaltigere Bewirtschaftung. Weswegen auch die Indian Biogas Association erst vor Kurzem ein Programm einforderte, bei dem der Kauf von Mineraldünger mit dem Erwerb von Gärresten gekoppelt werden müsse.

Eine solche Forderung findet bei Kumar sofort Zustimmung, weil viele Biogasanlagen durch die fehlende Wertschätzung von Gärresten gestresst sind und ihr Organik derzeit nur mit großem Aufwand und hohen Kosten verteilt bekommen. „Es braucht langfristig einen geschlossenen Kreislauf von Stroh, Energieerzeugung und Gärresten, um die durch die intensive Bewirtschaftung der letzten Jahrzehnte arg strapazierten Böden Punjabs wiederzubeleben“, ist Kumar überzeugt.

Er bekommt an diesem Punkt vom Vice Chancellor der Punjab Agricultural University, Dr. S. S. Gosal, in Ludhiana volle Rückendeckung. „Der Humusgehalt hat in den letzten Jahren abgenommen und die dramatisch fallenden Grundwasserstände, verursacht durch flächendeckenden Reisanbau, zwingen uns zum Umdenken“, so Gosal in seinem Büro auf dem riesigen Campus inmitten von Ludhiana. „Wir haben in der Vergangenheit den Fokus immer auf die Pflanze gehabt, jetzt konzentrieren wir uns mehr und mehr auf den Boden und die Interaktionen im System generell.“ Der Sinneswandel ist auch eine Chance für Biogas in Indien – als integraler Bestandteil einer nachhaltigen Landwirtschaft.
Dierk Jensen


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