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Nachgefragt
17. August 2022

„Energiegemeinschaften sind ein tolles Modell, um mehr Gendergerechtigkeit zu schaffen“

Die Energiewende bereitet den Weg in eine klimagerechte Zukunft für alle. Dezentrale Erneuerbare Energien haben zudem großes Potenzial, bestehende Ungleichheiten auf vielen Ebenen zu verringern. Bei der Geschlechtergerechtigkeit ist da noch Luft nach oben.

Katharina Habersbrunner ist Vorstandsmitglied und Projektmanagerin für geschlechtergerechte Energiepolitik bei Women Engage for a Common Future (WECF).

Katharina Habersbrunner ist Vorstandsmitglied und Projektmanagerin für geschlechtergerechte Energiepolitik bei Women Engage for a Common Future (WECF).
Katharina Habersbrunner
Bild: Katharina Habersbrunner

Frau Habersbrunner, wie sieht Ihre Arbeit bei WECF aus?

Wir sind sehr aktiv bei der UNFCCC, also der Klimaabteilung der UN, die die jährlichen Klimakonferenzen, die Conference of the parties, kurz COPs organisiert. Da ist die Zivilgesellschaft in sogenannten Mayor Groups vertreten. Es gibt auch eine Women and Gender Constituency. So haben wir ein weltweites Netzwerk von Organisationen, Einrichtungen und Frauenorganisationen, die wir regelmäßig treffen. Mit ihnen zusammen organisieren wir Projekte und entwickeln politische Forderungen.

Im Energiebereich des WECF sind wir ein Team von acht Kolleg:innen und setzen Energieprojekte um, das heißt dass wir zum Beispiel PV-Anlagen planen und implementieren. Wir schauen vor Ort, welche Energieträger verfügbar sind und genutzt werden, welche Erneuerbare Energie für die Situation passen würde, und wer vor Ort entscheidet. Wir machen also ein sogenannten „Needs-Assessment“. In Afrika haben wir bisher Projekte in Uganda, Äthiopien, Marocco und Togo gemacht. Wenn möglich, konzentrieren wir uns gerne auf Energiegemeinschaften, weil wir als NGO Bottom-Up Bewegungen fördern und vertrauensvolle Zusammenarbeit sehr wichtig ist. Energiegemeinschaften sind ein tolles Modell, das noch nicht ausgereizt ist, um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, zwischen arm und reich, Stadt und Land und vor allem auch Geschlechtergerechtigkeit.

Die Ergebnisse der Projekte stellen wir dann bei UN-Konferenzen vor, zum Beispiel auch bei der Klimakonferenz. Hier können wir für verschiedene Länder konkret aufzeigen, mit welchen Maßnahmen klimapolitische Ziele erreicht werden können. Wir arbeiten also auch auf der politischen Ebene.

 

Ist der WECF überall auf der Welt aktiv?

Unsere Fokusländer sind Osteuropa und Afrika. Generell haben wir viele Projekte im globalen Süden, aber wir hatten schon immer auch Projekte in Europa. Ab und zu haben wir auch kleinere Projekte in Südamerika, aber eigentlich wollen wir uns eher fokussieren. Ein neues Land kennenzulernen, die Situation der Frauen, der Energieversorgung, die ganze Kultur, das ist viel Arbeit. Das ist schon in Afrika so: Energieeffiziente Öfen sind in Äthiopien ganz anders als in Uganda. Und die Technologien, den Kontext zu kennen, das ist wichtig. Die Situation ist überall anders, je nachdem, welche Stämme in der Region Politiker:innen hervorbringen, welche Kultur sich entwickelt hat, welche Religion dominant ist, wie arm oder reich ein Land ist, was angebaut und gegessen wird und wie und wann gekocht wird. Die Länder, in denen wir arbeiten, liegen schon geographisch weit auseinander: Uganda ist Ostafrika, Togo Westafrika und Äthiopien liegt am Horn von Afrika. Bei letzterem bestimmt unter anderem die Nähe zu Ägypten die Energieversorgung.

In Uganda haben wir seit 15 Jahren schon sehr gute Partnerschaften. Dort ist es zum Beispiel gut möglich, auf Gebäuden PV zu installieren als Off-grid-Anlagen.  Es gibt dort viele Gebiete, die entweder gar nicht am Netz sind oder in denen der Strom oft ausfällt. Die Solardächer sorgen entweder dafür, dass überhaupt Strom da ist, teure und umweltschädliche Dieselgeneratoren ersetzt werden können oder eben das Netz stabiler wird.

In Äthiopien arbeiten wir mit einer großen Kaffeegenossenschaft zusammen und nicht primär mit einer Frauenorganisation. Das ist eine ganz andere Erfahrung, aber auch sehr erfolgreich. In diesem Fall verfolgen wir das Konzept „productive use of renewable energy“. Das bedeutet, dass Erneuerbare Energien für bestehende Produktionsketten verwendet werden, für Landwirtschaft, um die Produktion zu verbessern, zu vergrößern, zu vereinfachen, weniger fossile Energieträger zu nutzen. Bei der Kaffeeproduktion wird hier Wasser nun mit Solarpumpen für die Reinigung der Bohnen gepumpt statt mit Dieselgeneratoren und die Bohnen mit PV-Strom getrocknet. Zukünftig kann die Bewässerung auch mit PV-Strom geschehen und mit „smart-irrigation“ Technologien dafür gesorgt werden, dass die Pflanzen ausreichend bewässert werden, aber so wenig Wasser wie möglich verbraucht wird.

 

Was unterscheidet die Zusammenarbeit mit Frauenorganisationen von der Arbeit mit anderen?

Unser Ziel ist eine gendergerechte Welt, in der alle Menschen gleichen Zugang zu Chancen und Ressourcen haben. Frauenorganisationen haben ein Bewusstsein für bestehende Ungerechtigkeiten und kennen Methoden, diese Ungerechtigkeiten zu reduzieren. Um diese Ungleichheiten geht es uns, auch bei den Erneuerbaren Energien. Eine gendergerechte Gesellschaft ist für alle positiv, nicht nur für Frauen.

Ich gebe mal ein Beispiel aus Deutschland: Hier gibt es aktuell ein Förderprogramm für Elektromobilität. Das ist grundsätzlich gut. Elektromobilität ist wichtig, die Entwicklung brauchen wir. Wir wissen aber auch, dass grundsätzlich mehr Männer die Förderung in Anspruch nehmen und davon profitieren. Weil sie mehr und größere Autos fahren, mehr Geld für Autos ausgeben, und grundsätzlich mehr Geld haben. Auch das wäre in Ordnung – wenn das so geplant wäre. Das glaube ich aber nicht.

Deshalb ist es wichtig, sich zu überlegen, wer von was profitiert. Um eben nicht unbewusst Ungleichheitsmuster zu reproduzieren. Menschen, die für Frauenorganisationen arbeiten, sind sich dessen eher bewusst und haben teilweise die Zahlen und Argumente für eine gendergerechte Planung von Projekten und Programmen.

 

Sind in Umweltbewegungen nicht viele Frauen aktiv? Man denke an Greta Thunberg…

Frauen sind sehr aktiv, ja. Aber eben nicht gleichberechtigt repräsentiert und mitgedacht. In Deutschland wird oft gesagt, dass wir mit Gleichberechtigung gar kein Problem mehr haben. Also, dass wir schon gleichberechtigt sind, übertreiben mit der Quote, Männer keine Chance mehr haben. Das stimmt laut Statistik einfach nicht.

Die Energiegenossenschaften in Deutschland zum Beispiel: Das ist eine Erfolgsgeschichte. Aber unsere Energiegemeinschaften sind so maskulin und so alt. Das ist eine Generationenfrage und eine des Genderns. Wenn wir uns Homepages anschauen, sieht man oft drei Männer als Vorstand. Das sind Bilder, die etwas transportieren. Sie formen unsere Ideen und Gedanken. Dabei kann man mit Kommunikation viel erreichen – oder eben nicht erreichen. Wir sollten die Wichtigkeit von Kommunikation besser verstehen und überlegen, wen wir erreichen wollen, auch jüngere Menschen, mehr Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund. Wenn wir das erreichen, können wir vermutlich auch die Akzeptanz der Energiewende in der breiten Gesellschaft erhöhen.

Die Heidelberger Bürgerwerke sind ein gutes Beispiel, das sieht schon ganz anders aus. Sie haben eine schöne Kommunikationskampagne „Sonnenstadt Heidelberg“ organisiert und so eine breite Bevölkerungsschicht angesprochen.

 

Was kann man tun, um mehr Frauen für Energiegemeinschaften zu begeistern?

Frauenorganisationen haben oft andere Strategien und Instrumente, um andere Frauen anzusprechen und zu rekrutieren. Es geht da gar nicht nur um Vorstandsgremien, sondern auch darum, dass man sich Ziele setzt. Zum Beispiel, einen bestimmten Anteil Frauen in diesem oder jenem Bereich oder im Vorstand zu haben.

Um Frauen zu interessieren, gibt es ganz unterschiedliche Instrumente. Es ist gut, die spezifischen Hürden für Frauen anzuerkennen. Dazu gehört zum Beispiel, dass Frauen oft Zeitarmut haben, da sie viel mehr unbezahlte „care-Arbeit“ für die Familie übernehmen. Gut funktioniert der Einsatz einer sogenannten „awareness-person“, die darauf achtet, wer wie viel redet. Redebeiträge bekommen bei Diskussionen so ähnlichen Raum, ohne strikt zu regulieren. Es ist auch gut, wenn jemand auf Diskriminierung achtet. Denn das passiert – und Menschen wissen oft gar nicht, dass sie diskriminieren. Es ist in den Köpfen so drin.

Seminare und Veranstaltungen zu Gendergerechtigkeit können da helfen. Sie zeigen, was erreicht werden könnte, wenn unsere Gesellschaft gendergerechter wäre. Dass wir erfolgreicher und nachhaltiger sind, wenn wir gemischte Teams haben. Das kann man einer Energiegemeinschaft anbieten: Bewusstsein zu schaffen und zu schauen, was man umsetzen kann. Bisher wird es gut aufgegriffen. Im Bündnis Bürgerenergie haben wir das Thema auch aufgegriffen und RESCoop, das ist der europäische Dachverband der Energiegenossenschaften, hat eine Gender-Power Working Group. Da haben wir eine Vorlage – ein sogenanntes Mission Statement – erarbeitet, das Energiegemeinschaften in ihre Satzung übernehmen können. Wir sehen, dass Dachorganisationen eine wichtige Rolle als Vorreiter übernehmen können. Wir wollen eine Energiewende für alle. Alle sollen die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen.

 

Das Interview führte Julia Broich


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