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Nachgefragt
15. Mai 2023

„Höfe stilllegen ist ein Akt der Verzweiflung“

Niederländische Gerichte haben die Regierung zum Handeln gezwungen. Sie will nun Tierhaltungsbetriebe aufkaufen und stilllegen. Von der EU bekam sie dafür grünes Licht. Warum das keine Blaupause für Europa sein sollte, erläutert Martin Häusling im Interview.

Martin Häusling ist agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament.

Martin Häusling ist agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament.
Foto: Martin Häusling

Herr Häusling, ist die mit staatlichen Beihilfen geplante Stilllegung von Tierhaltungsbetrieben in den Niederlanden als Beispiel oder Auftakt für ähnliche Maßnahmen in anderen Ländern zu sehen?

Ich sehe das weder als systematisches Vorgehen noch als Vorbild für andere Mitgliedsländer. Es ist eher ein Akt der Verzweiflung. Um die Minderungsziele für Stickstoff-Emissionen zu erreichen, muss die Tierhaltung tatsächlich radikal eingeschränkt werden. Jedoch hat die jahrelange Untätigkeit und die Missachtung von Normen das Land in eine Ecke manövriert, wo freiwillige Maßnahmen nur noch bedingt funktionieren. Die in den Niederlanden geplanten Maßnahmen können keine Blaupause für Europa sein, wie wir in Zukunft Landwirtschaft umweltgerecht gestalten wollen.

Gibt es Parallelen zu Deutschland?

Wir haben in Deutschland durchaus Problemregionen, wo es nicht viel anders aussieht mit den Umweltbelastungen aus der Landwirtschaft. Rheinland-Pfalz sticht hervor mit seinen Gemüse- und Weinbauregionen, aber auch die Tierhaltung in Niedersachsen und teilweise in Bayern. Deutschland ist wegen seiner mangelhaften Umsetzung der Nitratrichtlinie bei der EU bereits negativ aufgefallen. Die Richtlinie wurde unter der großen Koalition und mit der FDP 20 Jahre lang ignoriert. Ein Vertragsverletzungsverfahren wurde eröffnet, ruht allerdings derzeit. Wir haben mehrere Chancen verpasst, zuletzt bei der Überarbeitung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP).

Wo wären denn die Stellschrauben gewesen?

Tatsächlich gab es aus der Politik Signale, die Tierhaltung zu intensivieren – um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Viele Bauern haben entsprechende Investitionen getätigt und sich darauf verlassen, dass strengere Umweltvorgaben wohl nicht kommen werden. Für die deutschen Bauern waren die niederländischen Betriebe jahrelang ein Vorbild. Seht her, die sind wettbewerbsfähig, die sind marktorientiert. Jetzt ist das holländische Modell der Intensivierung an die Wand gefahren und die Steuerzahler und betroffenen Bauern sollen es ausbaden. Insofern verstehe ich auch den Unmut der Bauern – gleichzeitig gibt es Bestrebungen im Europäischen Parlament, die Umweltgesetze wieder zu lockern.

Müsste die EU-Kommission härter durchgreifen?

Insgesamt haben wir in der europäischen Union ein Vollzugsdefizit bei der Einhaltung der Umweltgesetzgebung, und gerade an den Agrarsektor traut man sich nicht so richtig ran. Spanien ist der nächste Hotspot, dort wurde die Tierhaltung extrem ausgeweitet.

Gibt es auch positive Beispiele?

Dänemark kann hier genannt werden. Dort gibt es auch intensive Landwirtschaft. Aber Dänemark hat andere Wege gewählt: Pestizide besteuert und Vorgaben zur Düngemittelreduzierung gemacht. Sozusagen im Konsens und in der vorgelagerten Ebene gehandelt.

Wie ist die Position der europäischen Grünen zu der Stilllegung von Höfen?

Ich halte das nicht für zielführend. Meine holländischen Kollegen sehen das ähnlich, sehen aber auch, dass mit dieser Maßnahme etwas Druck aus dem Kessel genommen wird. Aber langfristig wird das nicht reichen, zumal auch hier Freiwilligkeit vorausgesetzt wird. Nur wer das Angebot annimmt, muss seinen Hof dauerhaft stilllegen. Die Maßnahme ändert aber nichts am System – wir müssen von der Intensivierung runter.

Interessant ist auch der Ursprung der Regierungspläne…

Ja, denn keineswegs die Europäische Kommission hat hier auf den Tisch gehauen, sondern niederländische Gerichte haben die Einhaltung der Umweltgesetze zur Auflage gemacht. Das ist jetzt nicht unbedingt eine Auszeichnung für die Institution der europäischen Union.

Die EU hat den Beihilfen zugestimmt – was passiert jetzt?

Das ist Sache der niederländischen Regierung. Weil zusätzliches Geld in den Agrarsektor fließt, musste die niederländische Regierung diese Beihilfe von der EU-Kommission genehmigen lassen. Ansonsten hat die EU hier keine weitere Befugnis oder Aufgabe.

Das Gespräch führte Petra Franke.


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