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Nachgefragt
27. Juli 2023

„Junger Mann, wie stellen Sie sich das vor?“

Den Stromanbieter wechseln: heute Standard, vor 25 Jahren noch ein Abenteuer. Für die Kunden, aber auch für naturstrom als Energiewende-Startup. Über harte Gründerjahre und späte Erfolge unterhalten sich Vorstandschef Oliver Hummel, Gründungsvorstand Ralf Bischof und der langjährige Vorstandsvorsitzende Dr. Thomas E. Banning.

Thomas E. Banning, Geschäftsführer NaturEnergy / Oliver Hummel, Vorstandsvorsitzender naturstrom AG / Ralf Bischof, Gründungsvorstand naturstrom (v.l.n.r.)

Thomas E. Banning, Geschäftsführer NaturEnergy / Oliver Hummel, Vorstandsvorsitzender naturstrom AG / Ralf Bischof, Gründungsvorstand naturstrom (v.l.n.r.)
25 Jahre naturstrom
Bild: naturstrom AG

Einen Tag vor dem 25. naturstrom-Geburtstag gingen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz. Stand der Atomausstieg schon bei der Gründung mit auf der Agenda?

Bischof: Der tauchte in der Vision natürlich auf, die unmittelbaren Herausforderungen waren allerdings andere. Die EU hatte 1997 ihre Mitgliedstaaten dazu verdonnert, die nationalen Strommärkte zu liberalisieren. Diese Chance haben wir beim Schopf ergriffen – und damit zugleich die Vorwärtsverteidigung angetreten. Denn die etablierte Energiewirtschaft und weite Teile der Politik hatten mit den seit rund 60 Jahren bestehenden Gebietsmonopolen gut gelebt. Als klar war, dass die Liberalisierung kommen würde, stellte daher die FDP das Stromeinspeisungsgesetz zur Disposition, das feste Vergütungen für Betreiber von Ökostromanlagen vorsah. Da wurde einigen in der Erneuerbaren-Szene klar: Wir müssen einen ergänzenden Weg schaffen, unseren Strom selbst zu den Endkund:innen zu bringen. Und zugleich deutlich machen, dass dies das Einspeisegesetz noch lange nicht ersetzen kann.

Ein zentrales Qualitätsversprechen von naturstrom ist die Neuanlagenförderung. Hat die Einsicht, dass das damals ohnehin unzureichende Stromeinspeisungsgesetz auf wackeligen Füßen steht, zu dieser Idee geführt?

Banning: Für Ökostromanlagen, die unter dem damaligen Stromeinspeisungsgesetz nicht wirtschaftlich zu betreiben sind, musste es irgendeine Art Lückenfüller geben. Diese Erkenntnis hatte sich in den Umwelt- und Ökoenergieverbänden irgendwann durchgesetzt. Als naturstrom gegründet wurde, kam dann schnell die Idee auf, über eine an den Stromabsatz gekoppelte Förderung für neue Ökostromanlagen diese Lücke zu schließen.

Wenige Jahre später hat dann das Erneuerbare-Energien-Gesetz dafür gesorgt, dass viele Anlagen eine auskömmliche Einspeisevergütung erhalten.

Hummel: Genau. Und deshalbist es wichtig, dass die Neuanlagenförderung immer mit der Zeit gegangen ist. Anfangs hat naturstrom direkte Zuschüsse je Kilowattstunde gezahlt, damit sich die Anlagen überhaupt betreiben lassen. In späteren Jahren ging es dann darum, Projekte von Bürgerenergie-Akteuren durch Darlehen oder Minderheitsbeteiligungen zu ermöglichen – oder zunehmend dann auch eigene Anlagen zu errichten.Das Geld der Kund:innen soll einfach einen möglichst großen Impact für die Energiewende haben.

Stichwort Bürgerenergie: Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit Bürgerenergie-Akteuren für naturstrom?

Banning: Eine zentrale! Denn dabei geht es ganz grundlegend um eine Demokratisierung der Energiewirtschaft: Die relative Kleinteiligkeit der Erneuerbaren Energien gegenüber den fossilen Großkraftwerken hat es in den letzten rund zwanzig Jahren allein in Deutschland Millionen Menschen ermöglicht, eine wirklich zukunftsfähige, enkeltaugliche Energieversorgung dieses Landes aktiv mitzugestalten. Mir war und ist es ein persönliches Anliegen, dass naturstrom Teil dieser Entwicklung ist und engagierte Bürger:innen gezielt unterstützt.

Bei den ersten Projekten Mitte der Nullerjahre waren die Dimensionen ganz andere als heute. Gab es damals einen Masterplan, wie viele Ökostromanlagen welcher Größe naturstrom in 10 oder 20 Jahren errichtet haben will?

Banning: [lacht] Ich glaube, das haben wir nie quantifiziert.

Bischof: Ach, schicke Wachstumskurven habe ich in meinen jungen Jahren bei naturstrom viele gemalt!

Banning: Zumindest die Zielsetzung, nicht ein reiner Ökostromhändler bleiben zu wollen, gab es sehr früh. Die hatten Ralf Bischof, als er noch Vorstand war, und ich damals als Aufsichtsratsvorsitzender gemeinsam definiert und den Aktionär:innen vorgestellt. Also den 20 bis 30 Leuten, die damals zu unseren Hauptversammlungen in irgendeinen Volkshochschul-Raum kamen.

Nicht nur bei den Hauptversammlungen, auch im Tagesgeschäft wurden ja zunächst kleinere Brötchen gebacken.

Bischof: Was gerade in den ersten ein, zwei Jahren der völlig verkorksten Liberalisierung geschuldet war. 90 bis 95 Prozent der Stadtwerke, von denen wir Kund:innen zu uns ummelden wollten, haben das erst einmal abgelehnt: „Nee, geht nicht.“ „Also ja, Sie haben zwar irgendwie ein Anrecht auf die Ummeldung, aber wir können das nicht.“ Das waren die Auskünfte.

Und dann?

Bischof: In der Regel musste ich dann allein zu den Versorgern hinfahren. Und dann saß ich da vier, fünf Leuten gegenüber: Rechtsabteilung, Kundenservice, Vorstand, alle da. Die haben dann gefragt: Und, junger Mann, wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Zum Glück war ich gut präpariert. Wir haben unsere paar Kund:innen dann immer bekommen, die Stadtwerke wollten wohl ihre Ruhe haben. So gesehen lief es also ganz gut, aber es war unglaublich mühsam.

Die Anfangsjahre im damals nur unzureichend liberalisierten Markt waren schwer. Wann war denn für naturstrom der Durchbruch geschafft?

Hummel: 2006 und 2007 waren die entscheidenden Jahre, und zwar aus zwei Gründen. Erstens kam durch den Stern-Report und den vierten UN-Klimabericht der Klimawandel endgültig im öffentlichen Bewusstsein an. An dem Thema war kein Vorbeikommen mehr. Und zweitens hatten 2006 die AKW-Betreiber begonnen, offensiv den Atomausstieg infrage zu stellen. Als Reaktion darauf hatte sich die Initiative „Atomausstieg selber machen“ gegründet, an der alle großen deutschen Umweltverbände beteiligt waren. In dem damals noch unheimlich nischigen Ökostrommarkt hat uns das einen enormen Anschub gegeben und uns aus dem Seitwärtstrend rausgeholt.

Banning: Die Diskussion um den Ausstieg aus dem Atomausstieg nahm dann ja weiter Fahrt auf. 2010 wollte die schwarz-gelbe Bundesregierung mit aller Gewalt den Konsens aufkündigen. Es gab zwei riesige Demonstrationen in Berlin, mit bis zu 100.000 Demonstrierenden – und wir waren mittendrin. Und anders als früher war auch klar: Wir wissen nicht nur, dass wir aussteigen wollen, sondern wir wissen auch, wo wir einsteigen wollen!

Bei einem internen Workshop zur Unternehmensvision war 1999 zu lesen, naturstrom wolle „Schrittmacher bei der Zukunft der Erneuerbaren Energien“ sein, wie ein altes Polaroid belegt. Hat naturstrom diesen Anspruch eingelöst?

Banning: Auf jeden Fall. Die Ökostrombelieferung aus förderfreien Wind- und Solaranlagen, Mieterstrom, Nahwärme mit Solarthermie, Sektorenkopplung im Quartier, Sharing-Konzepte mit Lastenrädern – wir waren und sind in ganz vielen Bereichen sehr weit vorne mit dabei, oft genug waren wir tatsächlich die Ersten.

Hummel: Bemerkenswert finde ich außerdem, wie sehr sich naturstrom treu geblieben ist. Die Essenz dieses Workshops von 1999 – also das formulierte Selbstverständnis und der Auftrag, der sich daraus ableitet – ist auch heute noch gültig. Diese Konstanz ist mir wichtig. Und nach mehr als 20 Jahren bei naturstrom bin ich auch ein Stück weit stolz darauf, dass wir uns bei allen Neuerungen und bei allem Wachstum diesen Kern bewahrt haben.

Das Interview führte Tim Loppe.


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