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MobilitätDie Verkehrswende rauscht an Deutschland vorbei

Bild aus dem inneren eines Gebäudes mit Fahrradspuren, auf denen Fahrradfahrer fahren.
In Utrecht steht das größte Fahrradparkhaus der Welt. Auf 17.000 m2 ist Platz für 12.500 Fahrräder. (© Gemeente Utrecht / Foto: Petra Appelhof)

Während in Deutschland die CO2-Emissionen in den meisten Sektoren zurückgehen, steigen sie im Verkehrsbereich unaufhörlich an. Höchste Zeit also für eine schnelle und nachhaltige Mobilitätswende. Wie es besser geht, zeigen andere Länder in Europa, angefangen bei Norwegen.

04.12.2019 – „Deutschland hat Norwegen bei den E-Autos überholt“, twitterte stolz das Social-Media-Team der CDU im Sommer. Und tatsächlich: 48.000 E-Autos wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 2019 verkauft, dem stehen 44.000 in Norwegen gegenüber. Doch der Vergleich hinkt. Auf 82 Millionen Deutsche kommen gerade einmal 5,3 Millionen Norweger. So sind gerade mal 2,6 Prozent der neuen Autos in Deutschland elektrisch, in Norwegen beträgt ihr Anteil dagegen stolze 56,2 Prozent.

Woher kommt diese Diskrepanz? Schon früh wurden in dem skandinavischem Land Elektroautos gegenüber Verbrennern gefördert. Während beim Kauf eines Diesels oder Benziners je nach Gewicht und Abgasklasse eine sog. Kaufsteuer von bis zu 10.000 Euro anfällt, entfällt diese bei Elektromobilen. Auch die Mehrwertsteuer von 25 Prozent müssen Käufer nicht zahlen. Darüber hinaus sparen sie 50 Prozent der Kfz-Steuer. Und bis vor kurzem waren E-Autos von Gebühren für Straßenmaut, Fähren oder Parken befreit. Aktuell müssen sie gerade einmal die Hälfte zahlen. Ein riesiges Förderpaket, bei dem Deutschland mit seiner Umweltprämie nicht mithalten kann. Auch in dem im September vorgelegten Klimapaket der Bundesregierung fehlt der große Wurf. Zwar erklären die Verantwortlichen, die Prämie für kleinere E-Autos ab 2021 anzuheben – aber wie stark, das bleibt offen. Zumindest bei der KfZ-Steuer könnten sich in zwei Jahren die Kosten für Verbrenner verdoppeln.

Beim Ausbau der Ladesäulen hingegen sind die Pläne deutlicher. In Deutschland gibt es inzwischen mehr als 17.000 öffentlich zugängliche Ladestationen mit über 45.500 Ladepunkten. Und Verkehrsminister Andreas Scheuer will öffentliche wie private Ladestellen weiter fördern. „Um die Klimaschutzziele zu erreichen, brauchen wir bis 2030 auf deutschen Straßen 10 Millionen Elektro-Pkw, 500.000 Elektro-Nutzfahrzeuge und 300.000 Ladepunkte“, so Scheuer. Im Klimapaket ist sogar von einer Million Ladepunkte bis 2030 die Rede. Dafür will der Verkehrsminister mehr als eine Milliarde Euro investieren und die gesetzlichen Regelungen zum Bau von Ladesäulen erleichtern. Pläne, die Scheuer in Folge eines Autogipfels mit der Automobilindustrie präsentierte und die sogleich Kritik hervorriefen.

Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbarer Energien, verwies darauf, dass alternative Antriebe ohne den Nachweis von 100 Prozent Erneuerbare Energien „ein PR-Gag“ blieben. Denn auf Grundlage des aktuellen deutschen Strommix fällt der Klimavorteil von E-Autos gegenüber Verbrennern geringer aus. Darüber hinaus würde ein einfaches Ersetzen der Antriebstechniken nicht die Probleme von verstopften Straßen lösen. Für eine echte Mobilitätswende braucht es daher den Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, sowie der Radinfrastruktur.

Die Niederländer setzen voll aufs Fahrrad

In vielen deutschen Städten versuchen zivilgesellschaftliche Initiativen mit Bürgerbegehren, die Politik zum Aufbau einer fahrradfreundlichen Stadt zu bewegen. Ihren Ursprung haben die sogenannten „Radentscheide“ in Berlin, wo ein Volksbegehren mit über 100.000 Unterschriften dazu führte, dass der Berliner Senat ein Mobilitätsgesetz erarbeitet, in dem unter anderem die Steigerung eines „wahrnehmbaren Radverkehrsanteils“ im öffentlichen Raum festgeschrieben ist. Allein 2019 und 2020 sollen dafür 100 Millionen Euro bereitstehen. Doch nach etwas mehr als einem Jahr hapert es gewaltig an der Umsetzung. Das Netzwerk Changing Cities –aus den Initiatoren des Berliner Bürgerbegehrens hervorgegangen – und der ADFC Berlin, brachen Gespräche mit dem Berliner Senat ab. Die Fahrradaktivisten konnten die Verschleppung des Gesetzes nicht mehr mittragen, wie Ragnhild Sørensen von Changing Cities erläutert „Es gibt immer noch eine Menge Menschen in der Berliner Verwaltung und der Politik, die trotz Mobilitätsgesetz nicht bereit sind, den Schritt in die Zukunft zu wagen. Sie wollen den Status quo um jeden Preis erhalten, denn sie spüren instinktiv, dass es um Grundsätzliches geht: um das Rütteln an alten Privilegien, um neue Beteiligungsverfahren, um Transparenz und Verbindlichkeit.“

Ganz andere Wege gehen seit Jahren Städte in den Niederlanden. So wurde in Utrecht kürzlich das größte Fahrradparkhaus der Welt eröffnet und bietet direkt am Hauptbahnhof Platz für 12.500 Fahrräder. Platz, der dringend nötig ist, denn jeden Tag sind etwa 125.000 Radfahrer in Utrecht unterwegs – ungefähr ein Drittel der Bevölkerung. Zum Vergleich: In Berlin sind gerade einmal 15 Prozent mit dem Rad unterwegs – 32 Prozent dagegen mit dem Auto, wobei 50 Prozent der Autofahrten weniger als fünf Kilometer lang sind. Wege, die mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können. In Utrecht ist das längst Realität. Bei Strecken bis zu 7,5 Kilometer pendeln 43 Prozent der Einwohner in und um die Stadt herum. In der ganzen Region sind es immerhin 25 Prozent. Das liegt daran, dass nicht nur im Stadtzentrum breite und sichere Fahrradwege zum Radeln einladen, sondern auch Superhighways für Räder den urbanen mit dem ländlichen Raum verbinden.

Das war nicht immer so. In den Siebzigerjahren setzte Utrecht voll aufs Auto und betonierte u. a.  einen Kanal für eine Autobahn komplett zu. Bauten, die nun aufwendig zurückgebaut werden, um Fahrradfahrern wieder mehr Raum zu geben. Ein 245 Kilometer langes Netz vom Rest des Verkehrs getrennter Radwege wurde bereits geschaffen. Dabei geben Zahlen zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen des Radverkehrs den Utrechter Stadtplanern recht. Das Fahrrad spart der Stadt demnach 250 Millionen Euro jährlich. Die Zahl beruht auf der Annahme, dass die Fahrradkilometer ansonsten mit Auto oder öffentlichem Nahverkehr zurückgelegt worden wären. Weniger Staus, bessere Luft und gesündere Menschen führen demnach zu einer produktiven und lebenswerten Stadt.

Die Schweiz zeigt, was auf der Schiene geht

Manche Strecken sind allerdings zu weit, um sie mit dem Fahrrad zurückzulegen. Für eine nachhaltige Mobilitätswende könnte hier der öffentliche Nah- und Fernverkehr bereitstehen. Doch auch da hapert es in Deutschland. Ein Grund: die niedrigen pro Kopf-Investitionen des Staates in die Schieneninfrastruktur. Mit 77 Euro pro Einwohner liegt Deutschland nur auf Platz acht in Europa. „Die Richtung stimmt, die Geschwindigkeit nicht“, beklagt Dirk Flege vom Bündnis Allianz pro Schiene. Zwar steigen die Investitionen, aber um die von der Regierung angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen zu erreichen, müsste der Bund sein finanzielles Engagement verdoppeln. Denn mit Verspätungen und geringer Taktung ist der Nah- und Fernverkehr für viele nicht attraktiv genug. Ganz zu schweigen davon, dass auf manchen Strecken der Schienenverkehr komplett eingestellt wurde. Auch öffentliche Busse sind vor allem in ländlichen Regionen eine Rarität.

Wie es anders geht, zeigt die Schweiz. 365 Euro pro Kopf investiert der Staat jährlich in die Schieneninfrastruktur. Das hat Auswirkungen auf die Mobilität der Einwohner. Über 2.300 Kilometer legt der durchschnittliche Schweizer jedes Jahr mit der Bahn zurück. Weltweit hat nur Japan einen besseren Wert. Der Dachverband des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz rühmt sich wohl zu Recht für seine Attraktivität. So unterhält die Schweiz das dichteste Eisenbahnnetz der Welt und Ortschaften ohne Eisenbahnanschluss sind generell durch Busse angebunden. Das viele Geld für die Schieneninfrastruktur wirkt sich derweil nicht nur positiv auf die Fahrgastzahlen aus, auch der Güterverkehr profitiert. Während in Deutschland gerade einmal 17 Prozent aller Güter auf der Schiene transportiert werden, sind es in der Schweiz inzwischen 41 Prozent. Für Lkw herrscht – im Gegensatz zu Deutschland – ein generelles Nachtfahrverbot auf Schweizer Straßen. Gütertransporte hingegen dürfen auch nachts fahren. Schon das macht es für viele Logistikunternehmen attraktiv, auf die Bahn zu setzen. Und: Staus gibt es nicht, eine pünktliche Lieferung kann die Schweizer Bahn fast immer garantieren. Manuel Först

Dieser Text ist auch in der neuen Print-Ausgabe der energiezukunft erschienen, Seite 26-28.


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