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Straße statt SchieneVerkehrswende in Europa systematisch torpediert

Ein Backsteingebäude mit der Aufschrift "Hohenberg" an einer Bahntrasse
Wie hier im österreichischen Hohenberg, wurden in Europa seit 1995 fast 2600 Bahnhöfe und Haltestellen vorübergehend oder dauerhaft geschlossen. (Bild: AlexHauss2608, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Seit 1995 wurde in Europa deutlich mehr in den Straßen- und Flugverkehr im Vergleich zur Schiene investiert. Die Folge sind stetig steigende Emissionen. Immerhin: die Kehrtwende in einigen Ländern ist geschafft, Deutschland gehört noch nicht dazu.

21.09.2023 – Es ist nicht so, dass in den vergangenen Jahrzehnten in Europa in die Schieneninfrastruktur investiert wurde. Doch für jeden neu gebauten Kilometer Schiene, wurden an anderer Stelle Bahnhöfe und Gleise stillgelegt. Für jeden Kilometer, der zwischen 1995 und 2020 aus dem europäischen Schienennetz gestrichen wurde, wurden zwei Kilometer neue Autobahnen gebaut. Dies geht aus einer Analyse des Wuppertal Institut und der T3 Transportation Think Tank, im Auftrag von Greenpeace hervor.

Demnach gaben die 27 EU-Staaten, sowie Norwegen, die Schweiz und Großbritannien zwischen 1995 und 2018 zwar 930 Milliarden Euro für die Schieneninfrastruktur aus, im gleichen Zeitraum aber auch 1,5 Billionen für den Ausbau des Straßennetzes. Ein Missverhältnis von 66 Prozent zugunsten des Straßenausbaus. Nimmt man die 130 Milliarden Euro an Ausgaben für Flughafeninfrastruktur hinzu, liegt das Missverhältnis zugunsten klimaschädlicher Verkehrsinfrastruktur sogar bei 80 Prozent.

Europa spart den klimafreundlichen Schienenverkehr kaputt, während der Kontinent zum Brennpunkt der Klimakrise wird", konstatiert Lena Donat, Verkehrsexpertin von Greenpeace. Ein marodes Schienennetz, zu viele Autos und LKWs auf den Straßen und eine klaffende Lücke beim Klimaschutz seien das Ergebnis dieser falschen Verkehrspolitik. Während die Länge der Autobahnen und Schnellstraßen seit 1995 um 60 Prozent (+30.999 Kilometer) gestiegen ist, ging die Länge des europäischen Schienennetzes um 6,5 Prozent (-15.650 Kilometer) zurück.

Kein anderes Land hat mehr Zugstrecken stillgelegt

Vor allem regionale Eisenbahnstrecken wurden stillgelegt. Ganz vorne dabei in dieser unrühmlichen Liste: Deutschland. Das Verkehrsbündnis „Allianz pro Schiene“ schätzt, dass seit 1995 auf netto 2.700 Kilometern Schiene der Personenverkehr eingestellt wurde. Für Personen- und Güterverkehr zusammen waren es bis 2020 sogar 6.700 Kilometer weniger, auf 38.400 Kilometer. Mit einem Anteil von 40 Prozent aller in Europa stillgelegter Bahnstrecken, hat kein anderes Land mehr Zugstrecken stillgelegt.

Im gleichen Zeitraum wuchs derweil das deutsche Autobahnnetz um 18 Prozent. Über 2.000 Kilometer neue Autobahnen wurden gebaut – in absoluten Zahlen der größte Zuwachs nach Spanien, Frankreich und Portugal. Auch wurden in Deutschland seit 1995 die meisten neuen Flughäfen mit einem Aufkommen von mindestens 150.000 Fluggästen pro Jahr eröffnet. Das Verhältnis zwischen Straßen- und Schieneninfrastruktur ist eine Folge von mehr als doppelt so hoher Investitionen in Straßen. Zwischen 1995 und 2021 - dem gesamten Zeitraum, für den nationale Daten verfügbar sind - investierte Deutschland 329 Milliarden Euro in Straßen und 160 Milliarden Euro in die Schiene.

Zumindest beim Verhältnis der Investitionen ist in Deutschland inzwischen eine Trendwende erkennbar. Laut Auswertung von Allianz pro Schiene wurden hierzulande im vergangenen Jahr etwas mehr Gelder in Erhalt, Aus- und Neubau des Schienennetzes (52 Prozent) als in Fernstraßen (48 Prozent) gesteckt. Doch im Vergleich zu 2021 sind die Pro-Kopf-Investitionen insgesamt etwas gesunken, von 124 Euro auf 114 Euro pro Kopf. Zum Vergleich: Österreich investierte 319 Euro pro Kopf und die Investitionen in den Verkehr lagen bei 72 Prozent zugunsten der Schiene.

Mehr Geld, weniger Strecke

Auch im vergleichbaren europäischen Zeitraum zwischen 1995 und 2018 investierte Österreich deutlich mehr (+162 Prozent) ins Schienennetz, übertroffen nur noch von Belgien (+210 Prozent). Und trotzdem ging die Gesamtlänge des Eisenbahnnetzes in Österreich um 10 Prozent zurück. Wie in anderen Ländern auch, wurde vor allem in Hochgeschwindigkeitsstrecken investiert. Jahrelang war Österreich zudem das einzig relevante Land in Europa mit gut ausgebauten und ausgestatteten Nachtzugverbindungen.

Das Reisen über Nacht im Schlafwagen erlebt inzwischen europaweit eine Renaissance. Mit ihren Nightjets baut die österreichische Bundesbahn ihr Angebot in viele Länder Europas weiter aus. Berlin wird zunehmend zum Drehkreuz für Nachtzugreisen. Fahrten sind bereits nach Schweden, Österreich, Ungarn, Niederlande, Belgien und in die Schweiz möglich. Ab Dezember geht es zudem über Nacht nach Paris. Eigene Züge setzt die Deutsche Bahn für diese Verbindungen bislang nicht ein, sondern kooperiert mit Partnern. Laut Haushaltsentwurf für 2024 will die Ampel-Koalition ab kommendem Jahr die Mittel für die Schiene wieder deutlich erhöhen, um fast drei Milliarden Euro oder gut 31 Prozent, auf 12,1 Milliarden Euro. Geld das ab 2024 unter anderem aus der steigenden Lkw-Maut kommen soll. Mittel, die angesichts maroder Strecken und Züge, sowie unzureichender Verbindungen, dringend benötigt werden.

Greenpeace fordert, neben dem Ausbau von Fernstrecken, Regionalverbindungen nicht außer Acht zu lassen. "Deutschland hat sein Schienennetz in drei Jahrzehnten systematisch ausgeblutet", sagt Donat. "Stillgelegte Bahnstrecken müssen wieder betrieben werden, damit mehr Menschen Zugang zu klimafreundlicher Mobilität haben. Sie dürfen nicht dazu gezwungen werden, ein Auto zu besitzen oder zuhause zu bleiben." Laut Analyse von Wuppertal Institut und T3, könnten in ganz Europa von 13.717 Kilometern stillgelegter Eisenbahnstrecken Mehr als die Hälfte davon, schätzungsweise 7.300 Kilometer, relativ leicht wieder in Betrieb genommen werden, da sie noch für den Güterverkehr oder touristische Zwecke genutzt werden. mg


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