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TaxonomieEine Abstimmung mit Signalkraft

Menschen applaudieren in einem Saal, während vorne auf einer Tafel ein Ergebnis einer Abstimmung eingeblendet wird.
Die Mehrheit der Abgeordneten der beiden Ausschüsse stimmte am gestrigen Dienstag gegen die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie. (Bild: © European Union 2022 - Source : EP, Alain ROLLAND)

Noch hat das EU-Parlament die Taxonomie und Einstufung von Atomkraft und Gas als nachhaltig nicht abgelehnt. Doch eine gemeinsame Resolution zweier Ausschüsse ist ein deutlicher Fingerzeig Richtung finaler Abstimmung im Juli.

15.06.2022 – Per delegierten Rechtsakt hatte die EU-Kommission Anfang Februar entschieden Atomkraft und Erdgas als sogenannte Brückentechnologien in die EU-Taxonomie aufzunehmen, die als Leitfaden für Investoren fungiert und die Finanzierung von sauberen Technologien für den Übergang in eine nachhaltige und klimaneutrale Wirtschaft fördern soll, indem bestimmte Technologien als nachhaltig eingestuft werden. Unternehmen sollen künftig Rechenschaftsberichte über nachhaltige Investitionen abliefern. Ziel ist es, dass nachhaltig eingestufte Vorhaben leichter an notwendige Finanzmittel kommen.

Im Gegensatz zum normalen EU-Gesetzgebungsverfahren, müssen EU-Parlament und EU-Rat einem delegierten Rechtsakt nicht zustimmen und können keine Änderungsvorschläge machen. Sie können jedoch ein Veto einlegen, was die Umsetzung der Taxonomie in dieser Form blockieren würde. Im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU, bräuchte es eine verstärkte qualifizierte Mehrheit von mindestens 72 Prozent der Mitgliedsstaaten (in der Praxis sind das aktuell 20 von 27 EU-Staaten), die 65 Prozent der Gesamtbevölkerung in der EU vertreten. Deutschland hat zwar angekündigt gegen den Rechtsakt zu stimmen, eine entsprechende Mehrheit aber wird sich voraussichtlich nicht zusammenfinden.

Auch im EU-Parlament sah es lange so aus, als wäre die Mehrheit der Abgeordneten für den delegierten Rechtsakt der EU-Kommission und die Einstufung von Atomkraft und Gas als nachhaltig. Doch der Krieg in der Ukraine und die Abhängigkeit von russischem Gas, aber auch Uran für Atomkraftwerke, scheint einige Parlamentarier zum Umdenken zu bewegen. Die Fraktion der Europäischen Volksparteien EVP etwa ist gespalten und hat den Fraktionszwang für die Abstimmung aufgehoben, wie die Welt berichtet. Von der Fraktion der Grünen, Greens/EFA, ist seit Monaten bekannt, dass sie geschlossen gegen die Taxonomie votieren werden. Die Sozialdemokraten von der Fraktion S&D haben dies inzwischen auch angekündigt. Die liberale Renew Europe und die Fraktion der Linken ist ebenso wie die EVP gespalten. Mindestens 353, der aktuell 705 Abgeordneten müssten ein Veto einlegen und die Taxonomieverordnung der EU-Kommission wäre Geschichte.

76 zu 62

Am gestrigen Dienstag kamen die Ausschüsse für Umwelt (ENVI) und Wirtschaft (ECON) im Europaparlament zusammen, um über eine entsprechende Resolution abzustimmen. 142 Abgeordnete der beiden Ausschüsse gaben ihr Votum ab und zeigten wohin die finale Abstimmung im EU-Parlament zwischen dem 4. Und 7. Juli gehen könnte. 76 Abgeordnete stimmten für die Resolution und damit gegen die Taxonomieverordnung in dieser Form. Demgegenüber standen 62 Abgeordnete und vier Enthaltungen.

Vor allem in den Reihen der Grünen, die von Anfang an gegen den delegierten Rechtsakt waren, gab es nach der Abstimmung positive Stimmen. Rasmus Andresen, Grünen/EFA-Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, sagte: „Umwelt- und Wirtschaftsausschuss senden ein klares Signal an die EU-Kommission. Sie muss ihre schädlichen Pläne begraben, Atom und Gas in die Taxonomie aufzunehmen.“ Und Michael Bloss, Grünen/EFA-Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie und stellvertretendes Mitglied im Umweltausschuss, ergänzte: „Die EU hat die Chance, eine globale Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel zu übernehmen und den Goldstandard für Investitionen in die klimaneutrale Wirtschaft setzen.“

Bas Eickhout, Mitglied beider Ausschüsse und Berichterstatter des Parlaments für die Taxonomieverordnung, sagte mit Blick auf die anstehende Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments: „Die heutige Abstimmung zeigt, dass viele Abgeordnete im EU-Parlament verstanden haben, dass Atomkraft und Gas nicht nachhaltig sind, es jedoch nach wie vor ein enges Rennen ist. Wir brauchen massive Investitionen in den Ausbau von Erneuerbaren Energien, nicht in Energien der Vergangenheit.“

Juristisch falsch?

Auch Umweltverbände zeigten sich erfreut über das Abstimmungsergebnis und wiesen auf die schädlichen Auswirkungen einer Taxonomie in dieser Form hin. „Mit Erdgas und Atom könnten Milliarden von Euro an Investitionen die nachhaltige Transformation ausbremsen und die Energieabhängigkeit der EU weiter zementieren“, so Matthias Kopp, Leiter Sustainable Finance beim WWF Deutschland. Die Deutsche Umwelthilfe wies mittels eines in Auftrag gegebenen Gutachtens darauf hin, dass die Einstufung von Atomkraft und fossilem Gas als nachhaltige Investitionen ohnehin gegen die EU-Taxonomieverordnung verstoßen würde.

Demnach würden Erdgaskraftwerke grundsätzlich als Übergangstechnologie in Frage kommen, Die konkreten Kriterien, die die Europäische Kommission für den Betrieb der Kraftwerke auch nach 2030 festschreiben will, seien jedoch in hohem Maße geeignet, Entwicklung und Einführung CO2-armer Alternativen und insbesondere den Ausbau und die Entwicklung Erneuerbarer Energien zu behindern sowie zu Lock-In-Effekten ebenfalls mit Blick auf Ausbau und Entwicklung Erneuerbarer Energien zu führen. Die Einstufung der Nutzung der Atomenergie als „ökologisch nachhaltig“ komme zudem unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt in Betracht.

Die EU-Mitgliedsländer Österreich und Luxemburg haben bereits eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt, sollten die EU-Parlamentarier mehrheitlich doch für den delegierten Rechtsakt der EU-Kommission stimmen. Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler von den Grünen sagte Anfang Februar, Die Taxonomie-Entscheidung der EU-Kommission sei ein „Greenwashing-Programm für Atomenergie und fossiles Erdgas“ und zudem juristisch falsch, da eine solche Entscheidung und Einordnung von Atomenergie und Gas nicht in den alleinigen Kompetenzbereich der EU-Kommission falle. mf


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