Menü öffnen

COP26„Es muss Sanktionsmechanismen geben“

Ein Mann mit Brille, schwarzen Jacket und rot-weißen Hemd
Bild: © UFZ

Der Klimaökonom Reimund Schwarze bewertet die COP26 in Glasgow als wichtigen Zwischenschritt. Was bei kommenden Klimakonferenzen geschehen muss und warum Deutschland in einer Bringschuld steht, erläutert er im Interview.

15.11.2021 – Professor Reimund Schwarze ist Klimaökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ, Leipzig und war bei der Klimakonferenz in Glasgow als Beobachter vor Ort.

Nach der 24. Klimakonferenz in Kattowitz sagten sie, das Ergebnis könne sich sehen lassen, die letzte COP in Madrid gilt in vielen Augen als gescheitert. Wie fällt ihr Resümee dieses Mal aus?

Es ist ein wichtiger Zwischenschritt. Ich bin zum Teil sogar positiv überrascht von den Ergebnissen. Das Regelwerk zum Pariser Klimaabkommen wurde endlich beschlossen – im Besonderen der Artikel 6 und dass es im Emissionshandel auf zwischenstaatlicher Ebene keine Doppelzählungen von Klimaschutzmaßnahmen geben darf.

Nehmen Sie das Beispiel der Anerkennung von Emissionsgutschriften bei der Zahlung von Aufforstungsprogrammen in anderen Ländern. Dort wo die Aufforstung stattfindet, darf sich das Land diese Klimaschutzmaßnahme nicht zusätzlich gutschreiben. Und das gilt schon ab der ersten Gutschrift. Zuvor war gefordert worden, dass sich Trägerländer, also dort wo die Klimaschutzmaßnahme umgesetzt wird, die Emissionseinsparung in einem laufenden 5-Jahres-Zyklus der Klimaschutzpläne zusätzlich anrechnen lassen können.

Wer hat diese Einschränkung gefordert und warum?

Brasilien war immer die Partei, die am meisten auf Flexibilisierung gedrängt hat mit der Begründung, dass es Übergangslösungen in der Zeit des Aufbaus entsprechender nationaler Institutionen braucht.

Es sollen auch alte Emissionszertifikate des sogenannten Clean Development Mechanismus übernommen werden, wodurch die Wirksamkeit von Klimaschutzmaßnahmen geschmälert werden könnte.

Ja, aber die Anerkennung alter Rechte ist jetzt auf die Periode zwischen 2013 und 2020 beschränkt. Ältere Emissionsgutschriften, die im Verdacht stehen nur „heiße Luft“ produziert zu haben, werden damit entwertet. Und selbst die jüngeren Emissionsrechte dürfen nur einmal bei den Klimaplänen der Trägerländer verwendet werden und bekommen das Siegel „Pre-2021“ als Signal minderer Qualität für die Käuferländer.Zugleich gibt es im neuen Regelwerk jetzt eine starke Empfehlung, dass auch Abschläge gemacht werden zugunsten der Umwelt. Das heißt für eine Tonne reduzierten Emissionsausstoß soll nicht eine Tonne Emissionsminderung gutgeschrieben, sondern ein Teil der Natur angerechnet werden. Diese bekommen das Gütesiegel „Paris-Abkommen konform“.

Unternehmen und Privatleute müssen sich aber nicht an die Regeln des Artikel 6 halten.

Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen kann nur auf zwischenstaatlicher Ebene Regeln festlegen und Akteure binden, die über die nationalen Kontaktstellen Emissionsgutschriften handeln. Für alles andere wird aber ein weltweit gültiges Siegel geschaffen, an dem sie sich orientieren und wonach sie aussuchen können. So werden Klassen von Emissionsgutschriften geschaffen. Solche, die nach den Regeln der UN ausgezeichnet sind und andere, die man als Ramsch bezeichnen kann, da sie selbstbestimmt sind und große Schlupflöcher haben. Wenn Unternehmen nach den Regeln der UN handeln, können sie mit dem entsprechenden Siegel für sich werben.

Nun muss es auch darum gehen Artikel 6 und das gesamte Regelwerk transparent überprüfbar zu machen.

Dafür werden gerade bei der UN die Kapazitäten aufgebaut. Auch das wurde bei der COP beschlossen und mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet. Hinsichtlich der Transparenz erkennt der Klimapakt von Glasgow die besondere Bedeutung für das Pariser Abkommen an. Manche bezeichnen den Transparenzrahmen als dessen "Rückgrat". Die jetzt vereinbarten Modalitäten verlangen einheitliche Berichtstabellen für die Meldung der Treibhausgasen und nach einer Übergangszeit auch gemeinsame Tabellenformate für die Verfolgung der Fortschritte bei den Klimaplänen der Staaten.

Wie bewerten Sie die Initiativen und Zusagen, die im Laufe der COP verkündet wurden – etwa Stopp von Entwaldung, Ende des Verbrenners, Stopp fossiler Projekte im Ausland und Ende von Öl- und Gasförderung?

Das ist eine Anerkennung, dass wir uns über die Klimasensitivität des Globus getäuscht haben. Die Erde kippt schneller als viele Wissenschaftler es lange erwartet haben. Darauf muss man jetzt mit einem beschleunigten Verfahren reagieren. Der bisherige, rein dokumentengetriebene UN-Modus ist da einfach zu langsam. Daher begrüße ich das Instrument der vorgeschalteten „Initiativen der Willigen“ auf Ebene der Staatschefs in hohem Maße. Das Verfahren soll schon im nächsten Jahr wiederholt werden. Hier in Glasgow wurde gezeigt, wie diese Initiativen mit dem UN-Prozess verzahnt werden können.

Bei Nicht-Einhaltung der Zusagen drohen den Staaten aber bislang keine Nachteile.

Das ist etwas, was bei kommenden Klimakonferenzen geklärt werden muss. Es muss  Sanktionsmechanismen geben, die bei Nichteinhaltung der versprochenen Maßnahmen und Ziele greifen. Das könnten Handelssanktionen sein. Wobei im Umkehrschluss auch Begünstigungen bei Einhaltung der Zusagen und des Regelwerks eingeführt werden sollten.

Könnte dieses Thema schon im kommenden Jahr bei der COP27 in Ägypten angegangen werden?

Ich denke eher das ist ein Thema, was in zwei Jahren auf dem Plan stehen wird. Nächstes Jahr wird es erstmal darum gehen, dass einige Länder höhere Ambitionen in Form der revidierten NDCs, der nationalen Klimapläne, einreichen müssen. Daneben wurde im Abschlusstext der diesjährigen COP auch festgehalten, dass beim jährlichen Klimagipfel in New York, NDCs der Staaten regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden sollen.

Wie sehen Sie die Debatte um die Klimahilfen für besonders stark vom Klimawandel betroffene Entwicklungsländer?   

Dass die Klimahilfen für betroffene Staaten voraussichtlich im nächsten Jahr erstmals die schon für 2020 versprochene Schwelle von 100 Milliarden US-Dollar jährlich erreichen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch für die Zukunft müssen diese Hilfen noch erhöht werden und es muss viel mehr Geld in Adaptation, das heißt in Anpassungsmaßnahmen fließen. Bei der letzten Bestandsaufnahme 2019 flossen 95 Prozent der Gelder in die Mitigation, also in Eindämmungsstrategien gegen den Klimawandel und nur fünf Prozent in Anpassungsmaßnahmen. Das ist ein zu großes Ungleichgewicht. Dass ein neuer Anpassungsfonds für Verluste und Schäden, mit Ausnahme von Deutschland und einigen europäischen Regionalregierungen aus Schottland und Wallonien, von der EU und anderen Industrieländern nicht mitgetragen wurde, finde ich dagegen nicht beklagenswert.

Warum?

Zum einen glaube ich, dass ein entsprechender Fonds, der als Entschädigung und finanzieller Ausgleich reicher Staaten an arme vom Klimawandel betroffene Länder gilt, für die Weiterentwicklung des UN-Prozess sich als schwierig erweisen könnte. Wir gehen da in den zwischenstaatlichen Haftungsbereich, der zusätzliche Verteilungskämpfe auslösen und Kooperation bei Klimaverhandlungen weiter gefährden könnte. Zum anderen befürchte ich, dass entsprechende Gelder nicht bei den Betroffenen landen, sondern in dubiosen nationalen Kanälen der Empfängerländer versickern würden.

Das sehen wir auch jetzt bei den Recovery-Geldern im Zuge der Corona-Pandemie. Bei Schäden und Verlusten durch den Klimawandel ist es besser im akuten Fall humanitäre Hilfe schnell und unkompliziert bereitzustellen, die direkt bei den Betroffenen ankommt.

Formulierungen zum Kohleausstieg und zur Beendigung fossiler Subventionen wurden auf den letzten Metern noch einmal abgeschwächt. Wie konnte das passieren?

Es zeigte sich wieder einmal, dass nationale Interessen am Ende dann doch bestimmend waren. Das ist erschütternd. Auch ich habe geschluckt als ich das gehört habe. Umso wichtiger ist es jetzt zu ermitteln, wie man trotz bestimmender nationaler Interessen zu Lösungen für das Große und Ganze kommt. Das bedeutet unter anderem, dass andere Staaten jetzt beim Kohleausstieg vorangehen und Beispiele setzen müssen, wie der Übergang gerecht gestaltet werden kann.

Und da kommen wir zu Deutschland.

Die deutsche Delegation hat nicht gerade brilliert bei der diesjährigen COP. Wer wie Deutschland mit einem Kohleausstieg 2038 zu kämpfen hat und gleichzeitig Indien überzeugen will schon im Hinblick auf 2030 massiv in ihre Kohleenergie einzugreifen, hat die Argumente nicht unbedingt auf seiner Seite. Auch der fehlende Beitritt zur Allianz des Aus für Verbrenner zu 2035, sowie der halbherzige Beitritt zum Ausstieg aus Öl- und Gas, schlagen hier negativ nieder.

Nun agierte die deutsche Delegation als Teil der noch geschäftsführenden Bundesregierung und musste zugleich ein künftiges Ampel-Bündnis im Blick haben.

Das machte es natürlich nicht einfach. Auch die internationale Staatengemeinschaft erkennt diese Sonderlage an. Umso höher sind die Erwartungen, dass eine künftige Regierung unter Beteiligung der Grünen deutlich ambitionierter auftritt. Auch wenn im Abschlusstext nur noch von einer schrittweisen Verringerung der Kohlekraft die Rede ist, der weltweite Kohleausstieg ist eingeleitet und Deutschland muss in dieser Hinsicht vorangehen und den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen. Deutschland ist in einer Bringschuld gegenüber den „Initiativen der Willigen“ für mehr Klimaschutz.

Das Interview führte Manuel Först


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft