Erdgas: Lobbygetriebene deutsche Gaspolitik
Mit der anstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft läuft Europa Gefahr in eine fortwährende Abhängigkeit von fossilem Gas zu rutschen. Recherchen zeigen, wie sehr deutsche Politik von der Gas-Lobby beeinflusst ist.
25.06.2020 – Es wird vor allem der Bericht „Dialogprozess Gas 2030“ sein, der den Ton für die anstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft vorgibt, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Nach Recherchen der Umweltorganisation ist das Papier maßgeblich durch die Erdgaslobby beeinflusst. Im Dezember 2018 implementiert, spielte sich der Dialogprozess des Bundeswirtschaftsministeriums monatelang in Arbeitskreistreffen hinter verschlossenen Türen ab. Laut DUH fanden die Treffen „in einer exklusiven Runde aus Unternehmenslobbyist*innen und Beamt*innen statt; nicht einmal das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit war eingeladen.“
Zwar wurden Umweltorganisationen auf die Treffen aufmerksam und nach Intervention schließlich im Juni 2019 zu Sitzungen eingeladen, doch zu diesem Zeitpunkt war es den NGOs nicht mehr möglich entscheidend auf den Bericht Einfluss zu nehmen. Auch eine unabhängige Studie des Umweltbundesamtes (UBA) fand nicht Eingang in eine erste Bilanz im Oktober 2019. Das UBA kam zu dem Schluss, dass bei Einhaltung der Klimaziele der Gasbedarf zurückgehen werde. Eine Analyse hingegen, die im Abschlussbericht Verwendung fand, geht von einem steigenden Gasbedarf in den nächsten Jahren aus. In Auftrag gegeben wurde diese Analyse von der Nord Stream 2 AG.
Hinter der Nord Stream 2 AG steht ein Konsortium des russischen Gasgiganten Gazprom mit finanzieller Unterstützung weiterer europäischer Energiekonzerne: Uniper, Wintershell DEA, Shell, OMV und Engie. Gemeinsam sind sie für die Pipeline Nord Stream 2 verantwortlich, die nach ihrer Fertigstellung russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland transportieren soll. Und das Konsortium hat einflussreiche Lobbyisten, mit engen Verbindungen in die deutsche Politik.
Prominentester Vertreter ist Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, aktuell Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und Aufsichtsratsvorsitzender beim russischen Ölkonzern Rosneft. Mehrfach wetterte er gegen Kritiker der Pipeline, wie die USA und die EU-Kommission. Cheflobbyistin von Nord Stream indes ist mit Marion Schaller eine ehemalige Referatsleiterin des Bundeswirtschaftsministeriums im Bereich der Energiepolitik.
Wasserstoffstrategie mit fossilen Schlupflöchern
Darüber nahm die Erdgaslobby offensichtlich Einfluss auf die kürzlich veröffentlichte Wasserstoffstrategie der Bundesregierung. Zwar liegt der Fokus auf dem Ausbau von grünem Wasserstoff, doch die DUH bemängelt, dass die Strategie zahlreiche Schlupflöcher für die Gewinnung von Wasserstoff aus fossilem Gas lässt. Neben Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien wird auch die Wasserstoffgewinnung aus fossilem Gas mit CO2-Abscheidung als sauber und zukunftsträchtig propagiert.
Wasserstoff soll nach dem Willen der Bundesregierung in Zukunft möglichst breitflächig eingesetzt werden, von der Industrie über den Verkehr bis hin zur Gebäudeheizung. Das steigert die Nachfrage. Und wo Erneuerbare Energien zur Gewinnung nicht ausreichen, wird fossiles Gas eingesetzt, befürchtet die DUH. Auch das Kohleausstiegsgesetz sieht bislang Millionen-Boni für Erdgas vor.
Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft wird Deutschland voraussichtlich auch die Europäische Wasserstoffstrategie entscheidend beeinflussen. Diese soll Anfang Juli vorgelegt werden. Laut Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz bei der DUH, zeige ein Leak der EU-Wasserstoffstrategie deutliche Parallelen zur deutschen Version. „Auch hier liegt der Fokus auf grünem Wasserstoff, doch auch hier wird die fossile, blaue Version des Energieträgers nicht ausgeschlossen. Das zeigt, dass der Einfluss der Gaslobby weit über Deutschlands Grenzen hinausreicht“, so Zerger. mf