Beschleunigte Energiewende: Schulze fordert Ökostromanteil von 80 Prozent bis 2030
Umweltministerin Svenja Schulze spricht sich für eine ambitioniertere Energiewende aus: Bis 2030 braucht Deutschland einen Erneuerbare-Energien-Anteil von 80 Prozent. Die Wind- und Solarenergie müssen schneller ausgebaut werden als bisher geplant.
29.10.2020 – Die Enttäuschung über den kürzlich im Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2021 war groß: Abgesehen von der Ausschreibungspflicht für große Dachanlagen gelang dem Entwurf generell kein Neustart bei der Energiewende. Die Ausbaupfade sind nach wie vor zu niedrig, die EEG-Umlage auf Eigenverbrauch bleibt, die angekündigte Beteiligung von Standortkommunen für Windkraftanlagen steht auf der Kippe und die Übergangsregelung für ausgeförderte Anlagen sind unzureichend. Immerhin gibt es beim Mieterstrom kleine Verbesserungen.
Unzufrieden mit dem Fortschritt bei der Energiewende ist auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung beschuldigt sie Wirtschaftsminister Peter Altmaier, das Thema viel zu lange schleifen gelassen zu haben – genau wie das gesamte EEG. Wenn Deutschland beim Klimaschutz vorankommen will, könne man sich einen Rückbau funktionierender Anlagen nicht erlauben.
Außerdem spricht sich Schulze im Interview für deutlich ambitioniertere Ausbauziele der Erneuerbaren Energien aus. Ein Anteil am Strommix von 65 Prozent bis 2030 galt vor einigen Jahren noch als großer Fortschritt – ist jedoch inzwischen längst überholt. „Noch mit dem Energiekonzept 2010 wurden Zielgrößen für 2020 und 2030 beschlossen, die heute bereits überholt sind: den Anteil von 50 Prozent, den wir für das Jahr 2030 beschlossen hatten, haben wir bereits heute erreicht“, teilt Schulze auf Anfrage der energiezukunft mit. „Dabei sind die Kosten der Stromproduktion gerade bei den noch jungen Technologien Wind und Sonne ganz massiv gesunken.“
Erneuerbaren-Anteil von mindestens 75 Prozent
Dies bedeute allerdings nicht, dass die Energiewende und der Ausbau der Erneuerbaren inzwischen zu Selbstläufern geworden sind. „Die im Koalitionsvertrag vereinbarten 65 Prozent als neuer Zielwert für 2030 waren ein wichtiges Signal“, sagt Schulze. „Nun kommt es darauf an, die unstreitig noch vorhandenen Potenziale zu nutzen.“
Deshalb geht Umweltministerin Schulze davon aus, dass Deutschland bis 2030 einen Ökostromanteil von mindestens 75 Prozent benötigt – vielleicht sogar 80 Prozent. Der genaue Wert hänge von den Entscheidungen der Europäischen Union ab, die ihre neuen Klimaziele auf einzelne Sektoren aufteilen wird. Mit Sicherheit werde der Energiesektor einen wichtigen Anteil daran haben. Hierzulande müsse also schleunigst der Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen weiter angekurbelt werden – deutlich mehr als bislang im EEG geplant.
Schließlich sind die Erneuerbaren Energien nicht nur der Schlüssel zum Erfolg beim Erreichen der Klimaziele im Strommarkt. Auch der Bereich der Elektromobilität braucht zukünftig größere Mengen regenerativ erzeugten Stroms – genau wie Wärmepumpen im Gebäudesektor. Für die geplante deutliche Steigerung der Produktion von grünem Wasserstoff für die Industrie und den Verkehrssektor sind ebenfalls viel höhere erneuerbare Erzeugungskapazitäten nötig. „Hier wäre es beispielsweise sinnvoll, die bestehende anteilige Nutzungspflicht für erneuerbare Wärme im Gebäudebereich um eine Nutzungspflicht für Solaranlagen zur Stromerzeugung auszuweiten“, sagt Schulze der energiezukunft.
Mehr Windkraft in Süddeutschland
Gegenüber der NOZ erklärt Schulze, dass aufgrund der neuen Ausschreibungen für große Dächer die Potenziale von Supermarkt- und Baumarktdächern zukünftig viel besser genutzt werden können. Zukünftig sollten PV-Anlagen für alle Neubauten zum Standard werden, alles andere wäre nicht mehr zeitgemäß. Außerdem müssten in Süddeutschland deutlich mehr Windräder gebaut werden, was in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ja landespolitisch auch unterstützt werde. In Bayern stemme sich jedoch nach wie vor die CSU gegen einen Ausbau der Windkraft.
„Und auch die bestehende erneuerbare Stromerzeugung muss bestmöglich erhalten werden: Beispielsweise werden schon ab 2021 viele Windenergieanlagen aus der bisherigen Förderung fallen“, warnt Schulze auf Anfrage der energiezukunft. „Für die Anlagen, für nicht die Möglichkeit eines Repowering besteht, ist es besonders wichtig und geboten, für die technisch verbleibenden Betriebsjahre ein wirtschaftlichen Weiterbetrieb zu ermöglichen.“ Grundsätzlich müsse also der Ausbau der Windenergie auch in Süddeutschland ermöglicht und konsequent vorhandene Dachflächen für Photovoltaikanlagen erschlossen werden. „Denn das eigentliche Ziel ist eine vollständige Dekarbonisierung der Stromversorgung deutlich vor dem Jahr 2050.“
Erhöht die EU den Druck?
Und in der nächsten Dekade könnte durch Zielvorgaben der EU deutlich mehr Druck auf die deutsche Energiepolitik aufgebaut werden, als das bisher der Fall war. So forderte das Europäische Parlament Anfang Oktober eine deutliche Verschärfung des EU-Klimaziels bis 2030. Der Ausstoß von Treibhausgasen soll nun nicht mehr um 40 Prozent, sondern um 60 Prozent gesenkt werden. „Zum ersten Mal hat eine Europäische Institution ein Klimaziel für 2030 beschlossen, das eine 60-prozentige CO2-Reduktion vorsieht, verglichen mit 1990“, kommentiert der Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament Michael Bloss.
Selbst bei einem Klimaziel von 55 Prozent weniger Treibhausgasen gehen Experten davon aus, dass Deutschland schon bis 2030 fast komplett aus der Kohle aussteigen müsste. Dabei hatte man sich gerade erst auf einen endgültigen Kohleausstieg im Jahr 2038 geeinigt – was angesichts neuer möglicher Klimaziele viel zu spät kommen würde. jk