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KlimakriseWie Atomenergie von der EU den Stempel „Nachhaltig“ erhält

Protest am 8.April .2016 gegen einen Transport von Uranerzkonzentrat von Hamburg in die südfranzösische Atomfabrik Narbonne/Malvésie.  Zwei Aktivistinnen haben sich von einer Fußgängerbrücke abgeseilt und dort ein Banner entrollt mit der Aufschrift „Urantransporte stoppen! Sofort!“
Protest am 8.April .2016 gegen einen Transport von Uranerzkonzentrat von Hamburg in die südfranzösische Atomfabrik Narbonne/Malvésie. (Foto: Robin Wood / Flickr / CC BY 4.0)

Wenn die Atomlobby die Zukunft der Atomenergie bewertet, kommt dabei Klimaschutz heraus. Die EU-Kommission steht wegen der Prüfung der Rolle von Atomkraft als Nachhaltige Investition in der Kritik – es prüft die eigene Abteilung für Nuklearforschung.

21.07.2020 – Haben viele Menschen jahrzehntelang die Atomkraft bekämpft ist es ein Schlag ins Gesicht, wenn nun unter dem Deckmantel von „Klimaschutz“ Atomenergie als ernsthafte Energiegewinnung der Zukunft gehandelt wird – und zwar aus den unterschiedlichsten Lagern. Der Kohle-Protest hat in der öffentlichen Diskussion den Atom-Protest abgelöst – der Atomlobby kommt das zupass.

Die EU-Kommission ist nun wegen ihrer Prüfung der Rolle von Atomenergie als „Nachhaltige Investition“ in die Kritik geraten – denn prüfen soll die eigene Abteilung für Nuklearforschung. Die Grünen-Abgeordnete im deutschen Bundestag Sylvia Kotting-Uhl findet das „absurd“ und hat das, so berichtet Euractiv, in einem Beschwerdebrief an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen formuliert.

Es geht um die weitere EU-Finanzierung von Atomenergie im Zusammenhang mit den Klimazielen von Paris. 2019 einigten sich die EU-Mitgliedstaaten bezüglich des Rahmenwerks für grüne, nachhaltige Investitionen, das ab 2021 in Kraft treten soll, auf einen Kompromiss – darin sind Erdgas und Atomenergie als sogenannte Übergangstechnologien der Energiewende zulässig. Kotting-Uhl, auch Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, kritisiert in ihrem Brief die Entscheidung der Kommission, ihre eigene gemeinsame Forschungsstelle (JRC) damit zu beauftragen, die Umweltverträglichkeit von Atomenergie zu überprüfen. Das JRC ist historisch aus dem Euratom-Programm der EU hervorgegangen und wird laut Euractiv bis heute von Euratom mitfinanziert. Daher sei die Behörde befangen, so die grüne MdB Kotting-Uhl und „auf keinen Fall in der Lage, hier eine objektive Entscheidung zu fällen.“

Bei der Einigung auf einen Kompromiss zur nachhaltigen Finanzstrategie der EU waren vor allem Atommacht Frankreich und auch Großbritannien federführend, Atomenergie als umweltfreundlich zu klassifizieren und damit in Zukunft weiterhin Investitionen und Förderung in diesem Bereich zuzulassen. Eher kritisch sah das die technische Expertengruppe, die den Vorschlag zur EU-Taxonomie erarbeitet hatte. Man einigte sich darauf, von der Kommission prüfen zu lassen, inwiefern Kernenergie als „schädlich“ oder als „schadensmindernd“ gelten könne. „Abgebrannter Brennstoff, aber auch dessen Wiederaufbereitung, der europaweit zehntausende Tonnen an radioaktivem Abfall verursacht, die dann für unüberschaubare Zeiten gelagert werden müssen“, könne nicht als nachhaltige Investition gelten, schreibt Kotting-Uhl.

Frankreich hat viel zu verlieren

Mit der Abschaltung des AKW Fessenheim wurde gerade erst ein jahrelanger Streit zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz beigelegt. Doch der Streit zwischen Deutschland und Frankreich geht weiter, denn während in Deutschland der Atomausstieg beschlossen ist (dafür allerdings der Kohleausstieg zu spät kommt), kämpft Frankreich mit seinem atomaren Erbe. 56 zum Teil sehr alte Reaktoren versorgen das Land mit Energie, der Ausbau Erneuerbarer Energien geht viel zu langsam voran und Frankreich investiert in neue „nachhaltige“ Meiler. Um diese strahlende Zukunft weiter zu finanzieren, ist es für Frankreich wichtig, dass diese aus EU-Sicht als „Nachhaltige Investitionen für den Klimaschutz“ gelten.

Das JRC versicherte indes auf Anfrage, berichtet Euractiv, ein neutrales, wissenschaftliches Gremium zu sein, das Analysen im Bereich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes durchführt. Doch die Behörde wurde Ende der 50er Jahre im Rahmen des Europäischen Atomprogramms gegründet, mit dem Forschungsauftrag, bessere und sichere Reaktortypen zu entwerfen. Kotting-Uhl bleibt daher skeptisch. „Die Atomenergie angesichts ihrer Historie als nachhaltig zu bezeichnen, ist ignorant“, heißt es in dem Brief. Jedem Mitgliedsstaat stehe es bislang ohnehin frei, in Atomenergie zu investieren – doch die EU dürfe diese Investitionen nicht aktiv fördern.

Vom Abbau bis zur Entsorgung – Atomenergie ist ein Umwelt-Desaster

Beim AKW-Rückbau fällt bekanntlich Atommüll in rauen Mengen an, für den es kein fertiggestelltes, sicheres Endlager gibt; und auch schwächer radioaktiv belastete Materialien sind das Ergebnis aus dem Rückbau. Derzeit entsteht im niedersächsischen Salzgitter das Endlager Konrad – es ist das erste atomrechtlich genehmigte Endlager in Deutschland schwach- und mittelradioaktiver Abfälle. Dort soll ab 2027 die Endlagerung beginnen. Derweil wird Atommüll in Zwischenlagern oft unter freiem Himmel in Fässern gelagert die munter vor sich hin rosten und für Umwelt und Mensch hochgefährlich sind.

Nachhaltig schädlich

Nicht nur die Lagerung von Atommüll ist ein umweltschädliches Desaster und alles andere als nachhaltig– sondern auch die Gewinnung von Uran. In der öffentlichen Diskussion werde in der Regel zwischen fossiler, erneuerbarer und nuklearer Energiegewinnung unterschieden, schreibt der Umweltschutzverband BUND. Ein Irrtum. Denn dabei werde schlichtweg vergessen, dass auch Uran ein fossiler Energieträger ist und damit „endlich“. Zudem werde Uran für Atomkraftwerke unter hohem Ressourcenverbrauch, Umweltzerstörung und oft menschenverachtenden Arbeitsbedingungen mit schweren gesundheitlichen Folgen in vielen Regionen der Welt abgebaut. Atomenergie ist also in der Tat nachhaltig – nachhaltig lebensfeindlich und umweltzerstörend für eine sehr, sehr lange Zeit. na


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