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Energiewende-Barometer 2019Wie sich die Energiewende erfolgreich fortsetzen lässt

Grafik zur Entwicklung Energieerzeugung und Strombedarf 2010 – 2030 – 2050 auf der Basis von Szenarioberechnungen des Fraunhofer IEE in 2019
Entwicklung Energieerzeugung und Strombedarf 2010 – 2030 – 2050 auf der Basis von Szenarioberechnungen des Fraunhofer IEE in 2019: Das deutsche Energiesystem verbrauchte 2010 über 4.000 TWh fast ausschließlich fossile Primärenergie, davon wurden 2.900 TWh importiert. Strom wird der zukünftige Primärenergieträger und die direkte Stromnutzung bringt hohe Effizienzgewinne. Biomasse, Solar- und Geothermie weisen dagegen nur geringe Anteile auf. (Quelle: © Fraunhofer)

Die nächste Phase der Energiewende verlangt die umfassende Einbeziehung der Sektoren Verkehr, Wärme und Industrie in den Transformationsprozess des Energiesystems, sind sich Fraunhofer Forscher einig. Dazu muss die Politik jetzt endlich handeln.

13.05.2019 – „Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet voran, aber zu langsam“, stellen die Energie-Experten der Fraunhofer-Institute ISE, ISI und IEE in ihrem Barometer der Energiewende 2019 gemeinsam fest und fordern eine entscheidende Kurskorrektur, um die Energiewende in allen Sektoren tatsächlich zu schaffen. Der Abschied von den fossilen Energien muss schneller vorangehen, Erneuerbare in allen Sektoren – Wärme, Kälte, Produktion, Mobilität und Transport – für eine CO2-neutrale Versorgung sorgen. Mit dieser Forderung sind sie nicht allein, von Wissenschaftlern über Ökonomen bis hin zu Schülern von Fridays for Future ist man sich einig: Die Möglichkeiten und Maßnahmen sind fertig formuliert, doch die Politik mauert.

Mit dem Barometer bewertet das Fraunhofer IEE jährlich den Stand der deutschen Energiewende. Die ausgewählten Indikatoren beschreiben das Energiesystem in seinen verschiedenen technischen Dimensionen – Endenergie, Windenergie, Photovoltaik, Ausgleichskraftwerke, Bioenergie, Power-to-Gas, Batterien, Wärmesektor, Mobilitätssektor und Investitionstätigkeit.

Der Ausbau von Wind- und Solarenergie geht zu langsam voran

„Die deutsche Energiewende ist – physikalisch gesprochen – an einer Phasengrenze angekommen und so, wie bei einem Phasenübergang der weitere Temperaturanstieg ins Stocken gerät, ist bei der Energiewende die weitere Ersetzung fossiler Energiequellen ins Stocken geraten“, beschreibt Prof. Clemens Hoffmann, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel, die aktuelle Lage. Die gegenwärtigen Installationsraten für die erneuerbaren Energiequellen würden absehbar nicht mehr den Verlust von Erzeugungsleistung durch die altersbedingt ausscheidenden Wind- und Solaranlagen überschreiten.

„Der Zubau in der Windenergie lag 2018 bei 3,82 Gigawatt Leistung für Onshore und Offshore zusammen“, berichtet Hoffmann. „Um die in Paris vereinbarten Klimaziele einer 95prozentigen Minderung von Treibhausgasen noch erreichen zu können, müssen wir nach unseren Szenario-Modellierungen diese Rate bis 2030 auf rund 11 Gigawatt pro Jahr, also etwa das Dreifache, steigern.“

Bei der Photovoltaik lag der Zubau im vergangenen Jahr 2018 bei 2,3 Gigawatt. „Hier muss der notwendige Zielzubau bis 2030 auf rund 8,5 Gigawatt pro Jahr, also etwa das 3,5 fache, wachsen“, bilanziert Hoffmann. „Das deutsche Energiesystem verbrauchte 2010 über 4.000 Terawattstunden fast ausschließlich fossile Primärenergie, davon wurden 2.900 Terawattstunden importiert. Der zukünftige Hauptprimärenergieträger wird Strom aus Wind und Sonne sein. Und die direkte Stromnutzung bringt hohe Effizienzgewinne. Darauf muss die Energiewende ausgerichtet werden“, umreißt Hoffmann die Zielsetzung.

Neben dem Stromsektor müssten nun Verkehr und Wärme stärker miteinbezogen und massiv ausgebaut werden, ergänzt Prof. Hans-Martin Henning, Leiter des Fraunhofer ISE in Freiburg und Sprecher der Fraunhofer-Allianz Energie „Die Kosten für Photovoltaik und Windenergie sind in der ersten Phase der Energiewende drastisch gesunken – die Gestehungskosten sind mittlerweile konkurrenzfähig“, stellt Henning fest. Das sei erreicht worden, ohne das Versorgungssystem wesentlich umzubauen.

Ökostrom und -wärme kombinieren

Wärmepumpen sind nach Meinung der Fraunhofer Wissenschaftler ein zentrales Bindeglied für die Kopplung von Strom- und Wärmesektor. „Gebäude lassen sich damit effizient mit erneuerbarem Strom beheizen, weil sie zusätzlich zur eingesetzten elektrischen Energie bis zu drei weitere Anteile aus der Umweltwärme gewinnen“, erläutert Henning. Zudem lassen sich Wärmepumpen auch zum Kühlen nutzen. Auch aus diesem Grund werden sie künftig eine größere Rolle spielen, wenn unsere Sommer heißer werden.“

In Verbindung mit Wärmespeichern ließe sich der Strombezug flexibilisieren, kommunale Nahwärmenetze und Wärmespeicher auf Siedlungs- und Quartiersebene gehören zur Zukunft der Wärmeversorgung. Ein Hindernis bei der Einführung dieser Technologien sei der teilweise große Aufwand für bauliche Veränderungen, sagen die Forscher. Gerade deshalb muss vorausschauend und nachhaltig geplant werden.

Schwieriges Thema Mobilität

Im Sektor Mobilität halten auch die Fraunhofer Forscher eine Elektrifizierung für den sinnvollsten Weg und nehmen dabei alle Antriebskonzepte in den Blick – batterie-elektrische Fahrzeuge und Brennstoffzellenfahrzeuge sowie unterschiedliche Hybridlösungen mit Verbrennungstechnik. Kombiniert mit sinnvollen Leih- und Mietkonzepten sollte das zu einer höheren Diversifizierung im Verkehr führen.

Gut transportierbare synthetische Energieträger könnten vorteilhaft in Regionen mit sehr hohen Ressourcenpotenzialen für Solarenergie und Windenergie hergestellt werden. „Die elektrolytische Herstellung von Wasserstoff aus erneuerbarem Strom wird zu einer Schlüsseltechnologie“, ist Henning überzeugt. Damit könnten große Mengen ansonsten nicht nutzbaren erneuerbaren Stroms einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden, außerdem könnte Wasserstoff in verschiedenen Anwendungsfeldern als Endenergie genutzt werden.

Politik bleibt entscheidende Stellschraube

Wichtiger als alle technologischen Prozesse, die ja ohnehin auf einem guten Weg sind, sei aber die Entwicklung der Randbedingungen für die Energiemärkte. „Es sollte ein Marktdesign angestrebt werden, das zur Integration der Sektoren beiträgt, dem volatilen Charakter der erneuerbaren Energien als zukünftige tragende Rolle der Energieerzeugung gerecht wird und marktwirtschaftliche Anreize zur Reduktion von Treibhausgasemissionen setzt“, fasst Prof. Ragwitz das Ergebnis und die Ziele noch einmal zusammen.

Das europäische Handelssystem für Treibhausgasemissionsrechte (ETS) hält er vom Grundsatz her für ein gutes Instrument zur Umsetzung dieser Ziele, da es die Mengen für derartige Emissionen hart begrenze. „Es wurde im Jahr 2003 eine historische Einigung innerhalb der Europäischen Union zur Installation dieses Systems erzielt“, begründet er seine Meinung, „so dass es sinnvoll ist, auf diesem Instrument aufzusetzen und es weiter zu entwickeln. Außerdem brauchen wir eine Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Endenergieträger, um Anreize für Lastverschiebungen, Sektorenkopplung und den Einsatz von Speichern zu geben“, ergänzt Ragwitz noch.

Energiewende-Chancen nicht aus der Hand geben

Zu den Schlüsseltechnologien im Bereich der Energiewandlung zählen aus heutiger Sicht vor allem Photovoltaik, Windenergie, Batterietechnik, Wärmepumpen, Wasserstofftechnik (Elektrolyse und Brennstoffzellen), Techniken zur Herstellung synthetischer Energieträger und Chemikalien sowie Carbon Capture Technologien (z. B. für die Polymerchemiesynthese). Dazu kommen Netztechnologien einschließlich Leistungselektronik sowie Digitalisierungstechniken und ihre Anwendung im Energiebereich, fasst Henning noch einmal die Forschungs- und Handlungsfelder zusammen und gibt ein weiteres Signal an die Politik: „Ohne über die Wertschöpfungsketten für die Schlüsseltechnologien der zukünftigen Energieversorgung zu verfügen, wird es schwer gelingen, ein langfristig wettbewerbsfähiges und nachhaltiges Energiesystem aufzubauen“, betont der Energie-Experte.

Fazit der Fraunhofer Forscher bestätigt viele andere Experten-Studien

Die nächste Phase der Energiewende verlangt die umfassende Einbeziehung der Sektoren Verkehr, Wärme und Industrie in den Transformationsprozess des Energiesystems, fassen die Wissenschaftler ihre Ergebnisse noch einmal zusammen und richten sie an die Politik. Neben dem zügigen Ausbau einer CO2-freien Energieerzeugung bedeute dies eine beschleunigte Sanierung von Gebäuden, die Elektrifizierung der Wärmeerzeugung und der Mobilität sowie die Entwicklung und Umsetzung CO2-emissionsfreier Industrieprozesse. Allem voran steht aber der politische Wille und die gesellschaftliche Akzeptanz: Doch während die Zustimmung in der Bevölkerung wächst, hakt es am Willen der politischen Entscheider weiterhin gewaltig. na


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