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Käse, fast klimaneutralAus Molke wird Biogas

Hauke Koll in seiner Pellwormer Käserei. (Foto: Dierk Jensen)
Hauke Koll in seiner Pellwormer Käserei. (Foto: Dierk Jensen)

Wo Käse produziert wird, da fällt auch Molke an. Diese sinnvoll zu verwerten gestaltet sich an manchen Orten als schwierig. Wenn nun keine stoffliche Verwertung möglich ist, dann lässt sich der wertvolle Abfall aber energetisch durch eine Vergärung nutzen. Wie auf der Nordseeinsel Pellworm.

07.10.2020 – Er ist ein Mann der Ausdauer. Nach einem langen Arbeitstag in seiner Pellwormer Käserei läuft er schon mal locker eine Strecke in der Länge eines halben Marathons. Kein Zweifel, Hauke Koll ist mit seinen 55 Jahren fit wie ein neuer Turnschuh. Das muss er letztlich auch sein, um sein großes Arbeitspensum in der Insel Käserei Pellworm, die er mit seiner Frau Maike und den drei erwachsenen Kindern Leve, Ove und Christine neben der Betriebsstätte in Ostenfeld als Familienbetrieb seit 2016 betreibt, auch bewältigen zu können. So stellen er und sein kleines Team ein handwerklich geprägtes Schnittkäsesortiment her, das durch verschiedene Geschmacks- und Reifegrade überzeugt. Unter Produktnamen wie „Deichgraf“ und „Rungholt“ erfreuen sich seine Käseprodukte großer Beliebtheit bei Insulanern wie bei den Touristen, die mehrmals in der Woche vor dem Verkaufsstand in der Käserei Schlange stehen. Darüber hinaus wird der Pellwormer Käse auch auf dem Festland vermarktet.

„Rund 100 Tonnen Käse stellen wir hier jährlich her“, erzählt Koll beim Arbeitsfrühstück in seinem Pellwormer Büro. Mehrere selbstproduzierte Schnittkäse offeriert er – darunter auch eine Sorte mit Bockshornklee. Für seine Inselproduktion benötigte Koll bisher jährlich rund 900.000 Liter Kuhmilch, die er von zwei Biobetrieben auf Pellworm bezieht; zusätzlich verarbeitet er in einem Jahr rund 100.000 Liter Ziegenmilch vom Festland. Zum Vergleich: Die etwas mehr als ein Dutzend übrigen Milchviehhalter auf der Insel erzeugen gegenwärtig rund neun Millionen Liter Milch, die in der Meierei in Witzwort aufbereitet wird. Derzeit ist die Nachfrage etwas schwächer als sonst, „auch uns hat Corona nicht ganz verschont“, so Koll.

Aber unabhängig von den temporären Auswirkungen der Pandemie fallen bei der Inselkäserei normalerweise bei einer Million Liter zu Käse verarbeiteter Milch rund 900.000 Liter Molke an. Wohin aber mit dem anfallenden Nebenprodukt? „Die Landwirte auf der Insel haben dafür keine Verwendung, so dass ich die Molke bisher mit großem logistischem Aufwand aufs Festland bringen musste“, seufzt Koll, „die Entsorgung der Molke hat uns daher in der Vergangenheit viel Geld gekostet.“

Damit soll nun aber bald Schluss sein. Mit einer Molkevergärungsanlage der Firma Almawatech GmbH aus dem südhessischen Babenhausen will Käsehandwerker Koll dem Problem nun auf die Pelle rücken. Vor drei Jahren hat er sich die erste dieser Art in Deutschland im Allgäu bei einem Kollegen angeschaut. „Das hat mich überzeugt“, bekräftigt Koll, kann er doch mit der Vergärungsanlage zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen ermöglicht die Vergärung mit nachgelagerter Abwasseraufbereitung eine problemlose Einleitung in die öffentliche Kanalisation des Abwassers bei einem Chemischen Sauerstoffbedarf (CSB)-Wert von 800 mg/l. Zum anderen gibt es den durchaus positiven Nebeneffekt, dass bei der anaeroben Vergärung nämlich Biogas anfällt, das über einen Brennkessel energetisch im Betrieb nutzen kann.

„Auf einem Liter Molke mit einer durchschnittlichen CSB-Konzentration von 70.000 mg/l entsteht eine Gasmenge von 40 Liter, davon 50-60 Prozent Methan, das entspricht ca. 20 bis 24 Liter Methan“, rechnet Johanna Hüther, Mitglied der Geschäftsführung der mittelständischen Almawatech GmbH vor. Im Fall der Pellwormer Käserei wären das am Ende umgerechnet eine Methanmenge, die ungefähr die gleiche Energie wie 18.000 Liter Heizöl aufweist. Das ist ungefähr die Heizölmenge, die Koll bisher für das Pasteurisieren der Milch, der Warmwasseraufbereitung als auch fürs Heizen der Büroräume verbraucht hat. „Wir können in Zukunft also mit der Vergärung der Molke unseren Wärmebedarf fast komplett abdecken“, kalkuliert Koll, „damit haben wir dann eine mehr oder weniger klimaneutrale Produktion.“ Das klingt in Zeiten einer zwar von der Politik immer wieder beschworene, aber an vielen Stellen doch ins Stocken geratenen Energiewende ziemlich überzeugend.

Für das Pioniervorhaben auf der Nordseeinsel – es  ist die erste von Almawatech - sind direkt am Käsereigebäude vier Behälter mit Hilfe lokaler Firmen errichtet worden: Molketank, Fermenter, Nachgärer und Schlammbehälter, in dem bei einer Molkemenge von ca. einer Million Liter jährlich 30.000 bis 50.000 Liter Klärschlamm anfallen, der problemlos auf die Felder gebracht werden kann. Das erzeugte Gas wird schließlich über eine Leitung zur benachbarten Gastherme transportiert. Auch die Beschickung eines kleinen Blockheizkraftwerkes war in den Planungen erörtert worden, aber im Fall von Pellworm nicht zum Einsatz gekommen, weil die Gasmenge einfach zu gering sei. 

Sowohl die Inselgemeinde, Aktivregion Uthlande, das Land Schleswig-Holstein als auch die EU leisten finanzielle Unterstützung. Rund 30 Prozent der Investition wird von der öffentlichen Hand gefördert. Dennoch ist das Vorhaben kein Pappenstiel. „Eine Anlage bestehend aus der Biogasstufe und der nachfolgenden Abwasserbehandlung für etwa 5.000 Liter Molke pro Tag ist je nach regionaler Situation mit 350.000 bis 400.000 Euro zu kalkulieren. Dazu kommt noch der Umbau oder die Einrichtung einer Biogasheizanlage“, beziffert Johanna Hüther vom Hersteller den enormen finanziellen Aufwand. Nichtsdestoweniger sieht die Babenhausener Spezialfirma für ihre Anlagentechnik einen Markt. Und zwar überall dort, wo für Molkereien eine direkte Molkeverwertung entweder im Lebensmittelbereich oder in der Tierfütterung nicht möglich bzw. nicht wirtschaftlich ist, macht eine Vergärung Sinn. „Gerade durch den Rückgang bei der mittelgroßen Schweinemast als Abnehmer werden immer mehr Betriebe Schwierigkeiten beim Molkeabsatz haben“, meint Hüther und fügt zugleich hinzu, „natürlich muss es auch eine sinnvolle Verwendung für das Methangas geben.“

Dies ist auf Pellworm der Fall. Allerdings braucht das ganze Projekt eine lange Laufzeit, damit es sich am Ende über den Imagegewinn für die Käseprodukte hinaus tatsächlich trägt und rechnet. Dabei ist Luft nach oben. So kann die Anlage von ihrer Kapazität her bis zu zwei Millionen Liter Molke abwassergerecht verarbeiten und damit perspektivisch auch andere Gebäude in der unmittelbaren Nachbarschaft klimaneutral mit Bioenergie versorgen. An Perspektiven fehlt es wahrlich nicht, die begrenzenden Faktoren liegen woanders. Dierk Jensen

Wie wird aus Molke Biogas?

Die Molkevergärungsanlage ist so konzipiert, dass sie aus der Molke während einer Verweilzeit von ca. 30 Tagen alle vergärbaren Bestandteile entzieht und in Biogas umwandelt. Dieser Prozess, der bei 25 bis 37 Grad Celsius stattfindet, ist mit dem Vergärprozess in konventionellen Biogasanlagen vergleichbar. Um die völlig feststofffreie Molke zu vergären, benötigt es jedoch besondere Starterkulturen in Form von anaeroben Pellets, die aus dem Sektor der Kartoffel- oder Papierindustrie bezogen werden können. Nur mit Hilfe dieser Startbiomasse kann der Gärprozess der Molke in Gang kommen.

Auch nach der Bearbeitung im Biogasreaktor hat die Molke aber noch eine organische Restbelastung (CSB), so dass sie nicht ohne weitere Behandlung in die öffentliche Kanalisation abgeleitet werden kann. Dazu kommen die Belastungen bei Ammoniumstickstoff und Phosphat, die über den Grenzwerten der deutschen Abwasserverordnungen liegen. Deshalb wird in der zweiten Behandlungsstufe eine biologische Abwasserbehandlung mit einer Nitrifikation/Denitrifikation zum Ammoniumabbau, eine Phosphatfällstufe und eine sogenannte Belebungsstufe eingesetzt – vergleichbar mit Klärstufen wie sie in großen, kommunalen Klärwerken im Einsatz sind. Der anaerobe Gärprozess ist in der Lage, rund 95 Prozent der organischen Kohlenstofffracht umzuwandeln. Die Belastungen mit Ammoniumstickstoff und Phosphat werden in der zweiten Behandlungsstufe vorbehandelt. Die Wasserqualität am Ablauf der Gesamtanlage unterschreitet dann die Grenzwerte der kommunalen Satzung.


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