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Oder-KatastropheForscher empfehlen Ausbau-Stopp der Oder

Luftaufnahme von Frankfurt an der Oder, gut zu sehen der Fluss mit Buhnen
Luftbild von Frankfurt (Oder) und Słubice. Gut zu sehen: die quer in die Oder hineinragenden Buhnen. Sie sollen in einem großen Teil des Flussverlaufes erneuert und zum Teil ausgebaut werden (Foto: Willi Wallroth auf Wikimedia / CC0 1.0)

Der Ausbau der Oder beiderseits des Flusses gehört auf den Prüfstand, die naturnahen Lebensräume müssen geschützt werden, so die eindeutige Empfehlung der Forscher:innen des IGB. Mit sechs konkreten Vorschlägen wenden sie sich an die Politik.

20.09.2022 – Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) unterstützt mit eigenen Untersuchungen die Suche nach den Ursachen für das Fischsterben in der Oder. Die Detailanalyse dauert noch an. Das IGB konnte aber bereits zeigen, dass es sich nicht um ein natürliches Phänomen handelt, sondern die Katastrophe auf menschliches Handeln zurückzuführen ist.

Eine entscheidende Rolle hat dabei die Massenentwicklung der giftigen Brackwasser-Alge Prymnesium parvum gespielt. Zu hohe Salzkonzentrationen infolge industrieller Einleitungen hatten einen künstlichen Lebensraum für diese Alge geschaffen. „In der Oder hat sich diese Alge in einem solchen Ausmaß ausgebreitet, wie es meines Wissens noch nie in unseren Gewässern beobachtet wurde“, erklärt Algen-Experte Jan Köhler vom IGB. Hohe Nährstoffkonzentrationen im Wasser, die ebenfalls auf menschliche Einleitungen zurückgehen, sehr hohe Wassertemperaturen, abschnittsweiser Aufstau und geringe Wasserführung der Oder infolge der anhaltenden Dürrephase boten ihr ideale Wachstumsbedingungen.

Das von der Alge gebildete Gift hatte im August zum Tod zahlreicher Fische, Muscheln und Wasserschnecken geführt. Nun wird die Biomasse der gestorbenen Tiere von Bakterien zersetzt. Dies kann zu extremem Sauerstoffmangel und zu weiteren, nachgelagerten Fischsterben führen, wie sie derzeit in verschiedenen Abschnitten der Oder und ihrer Nebengewässer beobachtet werden.

Belastungsfaktoren reduzieren, flussbauliche Eingriffe beenden

Mehrere Belastungsfaktoren, die allesamt durch menschliches Handeln verursacht wurden, führten schließlich zur Umweltkatastrophe. Sie entfalteten auch deshalb eine solch fatale Wirkung, weil zuvor Ausbaumaßnahmen die natürliche Widerstandsfähigkeit (Resilienz) des Flusses gegenüber hydrologischen und klimatischen Veränderungen reduziert hatten.

Jetzt ist es aus wissenschaftlicher Sicht entscheidend, den Fluss und seine verbliebenen naturnahen Lebensräume zu schützen und wiederherzustellen – anstatt ihn durch zusätzliche flussbauliche Maßnahmen weiter zu regulieren. Schon 2020 hatte das IGB die Politik vor den ökologischen Risiken des Oder-Ausbaus gewarnt.

Renaturierung beste Krisenprävention

Nun empfehlen die IGB-Forschenden erneut, das Ausbauvorhaben beidseits des Flusses auf den Prüfstand zu stellen. Zusätzlich sollten weitere Maßnahmen ergriffen werden, um das Ökosystem der Oder zu stabilisieren und künftig eine nachhaltige Nutzung sicherzustellen. „Die Zukunft der Oder und ihrer Lebewesen wird davon abhängen, ob Politik und Behörden sich dazu entschließen, die natürliche Widerstandsfähigkeit des Ökosystems zu stärken“, unterstreicht IGB-Biologe Jörn Geßner.

Dass Renaturierung die beste Krisenprävention ist, findet auch Christian Wolter, Fischökologe am IGB: „Intakte Flusslandschaften sind eine essenzielle Lebensgrundlage für den Menschen und Zentren der Biodiversität. Um ihre Resilienz und Anpassung an den Klimawandel zu fördern, sind natürliche Prozesse zum Hochwasserschutz und Wasserrückhalt in der Landschaft zu revitalisieren sowie Eingriffe möglichst rückzubauen bzw. zu mildern.“

Die Wissenschaftler:innen formulieren die folgenden sechs forschungsbasierten Handlungsempfehlungen, die im neuen IGB Policy Brief ausführlicher erläutert sind:

1. Beendigung flussbaulicher Maßnahmen zur Vertiefung oder zum Ausbau der Oder
2. Reduzierung von Emissionen: Grenzwerte stofflicher Belastung deutlich senken, Kühlwassernutzung einschränken
3. Renaturierung des Hauptlaufs und Wiedervernetzung mit Nebengewässern
4. Kein Besatz mit gebietsfremden Tieren
5. Stärkung eines international harmonisierten Gewässermanagements
6. Ausweitung eines digitalen Monitoringsystems mit frei zugänglichen Daten

Mit Satellitendaten den Ursachen auf der Spur

Mit neuen präzisen Satelliten-Messdaten konnten Daten-Analysten der Firma EOMAP den Verlauf der Algenblüte zeitlich und örtlich weiter eingrenzen. Dies ist laut Gewässerforschern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) ein zentrales Puzzleteil zur Aufklärung der Katastrophe.

EOMAP kombinierte hochaufgelöste Aufnahmen des Satelliten Dove mit Daten des Satelliten Sentinel-2 und konnte so den detaillierten Verlauf der Algenblüte von Lipki (Polen) bis zur Odermündung darstellen.

Thomas Heege, Geschäftsführer von EOMAP berichtet: „Die größte Ausdehnung erreichte die Algenblüte - je nach Flussabschnitt - bereits zwischen dem 4. und 7. August, viel früher als bisher angenommen. Eine Algenblüte mit geringerer Intensität war bereits um den 24. Juli 15 km südlich von Wroclaw sichtbar, dehnte sich dann aber um den 3. August bei Glogow auf das Doppelte aus.“

Die hoch aufgelösten Raum- und Zeitmuster helfen nicht nur, die Lücken der Wasserproben-Entnahmen zu schließen, sondern erlauben auch, das Ereignis zu rekonstruieren, obwohl Schadstoffwelle oder Algenblüte bereits abgeflossen sind. Ein genereller Vorteil der hohen Auflösung sei auch die detaillierte Analyse kleinerer Gewässer wie Zuflüsse und Speicherbecken. pf


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