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UmweltforschungTalsperren emittieren mehr Kohlenstoff als angenommen

Edersee 2020 - große Bereiche liegen trocken
Die Edersee-Talsperre wird regelmäßig so stark entleert, dass große Bereiche trockenfallen. In diesen Zonen werden große Mengen Kohlenstoff freigesetzt. (Foto: Petra Franke)

Wenn der Wasserspiegel von Talsperren sinkt, setzen die trockenfallenden Zonen viel Kohlenstoff frei. Im globalen Schnitt emittieren Stauseen auf diese Weise etwa doppelt so viel CO2 wie sie speichern – ein bisher unterschätzter Prozess.

27.08.2021 – Die Kohlenstoff-Budgets, die wir noch emittieren dürfen, ohne den kompletten Zusammenbruch unseres Klimasystems zu riskieren, werden knapper. Begehrliche Blicke richten sich auf die Ökosysteme, die Kohlenstoff binden und speichern – Wälder, Böden, Ozeane oder Moore. Auch die Wissenschaft gewinnt immer mehr Erkenntnisse über die sogenannten Kohlenstoffsenken. Bisher wurde ihr Potenzial in den Berechnungen zur Erderwärmung und bei der Formulierung von Klimaschutzzielen zum großen Teil nur geschätzt, weil genaue und über lange Zeiträume erhobene Daten fehlen.

Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich einige Annahmen als falsch. Eine bereits im Mai veröffentlichte Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg hat solch eine Fehleinschätzung in Bezug auf die Kohlenstoff-Emissionen von Talsperren aufgedeckt.

Beim Abbau der Sedimente an der Luft wird Kohlendioxid frei

Talsperren dienen als Reservoire für Trinkwasser, die landwirtschaftliche Bewässerung oder den Betrieb von Wasserkraftanlagen. Bisher ging man davon aus, dass Talsperren ungefähr so viel Kohlenstoff speichern, wie sie in Form von Treibhausgasen an die Atmosphäre abgeben. Die Forscher des UFZ zeigten nun in einer bereits im Mai 2021 erschienenen Studie, dass Talsperren zweimal mehr Kohlenstoff freisetzen als sie speichern.

Ob Laub, Äste oder Algen – Fließgewässer transportieren große Mengen an kohlenstoffhaltigem Material. Wird das Wasser in einer Talsperre gestaut, sinkt das mitgetragene Material nach und nach ab und sammelt sich am Gewässergrund an. „Durch den Sauerstoffmangel laufen die Abbauprozesse dort unten sehr viel langsamer ab. Dadurch wird weniger Kohlendioxid freigesetzt, und der enthaltene Kohlenstoff wird im Sediment der Talsperre längerfristig gespeichert“, erklärt UFZ-Biologe Matthias Koschorreck. Daher ging man bislang davon aus, dass Talsperren durch diese Anreicherungsprozesse mehr Kohlenstoff speichern als sie freisetzen. 

Für die Kohlenstoffbilanz von Gewässern spielen aber nicht nur die von Wasser bedeckten Zonen eine Rolle, sondern insbesondere auch solche, die durch Absinken des Wasserspiegels zeitweise trockenfallen. Das konnte die Arbeitsgruppe um Koschorreck in vorherigen Untersuchungen bereits zeigen. Kommt das zuvor von Wasser bedeckte kohlenstoffhaltige Material mit Luftsauerstoff in Kontakt, werden Abbauprozesse und damit auch die Entstehung von Kohlendioxid stark angetrieben.

„Trockenfallende Gewässerbereiche setzen so erheblich mehr Kohlenstoff frei als vom Wasser bedeckte Bereiche. Wenn Talsperren Wasser ablassen, liegen mitunter große Flächen frei, die bei der Kalkulation der Kohlenstoffbilanz bisher nicht berücksichtigt wurden“, sagt Philipp Keller, Erstautor der Studie. Diese Lücke haben die Forscher vom UFZ gemeinsam mit spanischen Wissenschaftlern des Katalanischen Instituts für Wasserforschung (ICRA) in Girona sowie der Universität Barcelona   nun geschlossen. Die Studie wurde im Fachjournal Nature Geoscience veröffentlicht.

Satellitendaten von mehreren tausend Talsperren

Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscher eine auf Satellitenbildern basierende Datenbank, die die Größe der Wasseroberflächen von rund 6.800 Talsperren weltweit zwischen den Jahren 1985 und 2015 monatlich bereitstellt. So konnten die Wissenschaftler für diese 30 Jahre sehr genau bestimmen, wann, wo und wie lange die Talsperren nicht ganz gefüllt und wie groß die trockengefallenen Flächen jeweils waren. Im Schnitt waren etwa 15 Prozent der gesamten Reservoir-Flächen nicht mit Wasser bedeckt. Mit dieser Zahl rechneten die Wissenschaftler weiter, um die Kohlenstofffreisetzung dieser Flächen zu bestimmen.

Talsperren sind kein Netto-Kohlenstoffspeicher

„Unsere Berechnungen belegen, dass die Kohlenstoff-Emission von Talsperren bislang deutlich unterschätzt wurde: Im globalen Schnitt setzen sie sie doppelt so viel Kohlenstoff frei wie sie speichern“, fasst Koschorreck die Ergebnisse zusammen. Ihr Image als Netto-Kohlenstoffspeicher im globalen Kohlenstoffkreislauf müsse wohl als überholt angesehen werden.

Aber diese Erkenntnis ist nur eine Seite der Medaille. „Wir konnten einerseits klar zeigen, dass das Austrocknen mehr Kohlenstoff gasförmig freisetzt. Wir konnten aber keinen klaren Klimaeffekt der Emissionen nachweisen, weil zwar mehr CO2 emittiert wird, was aber durch geringere Methan-Emissionen ausgeglichen wird“, ergänzt Koschorreck. Die Datenlage bei Methan sei aber nicht so gut wie bei Kohlenstoff.

Bisher waren Stauseen häufig im Fokus aufgrund ihrer Methan-Emissionen, die bei der Zersetzung von pflanzlichen Einträgen und Vegetation am Boden der Stauseen entstehen. Diese Prozesse sind bekannt, ihre Klimawirkung aber nicht ausreichend erforscht.

In mittleren Breiten liegen Flächen häufiger trocken

Die Untersuchungsdaten zeigen darüber hinaus, dass die Stärke der Wasserstandsschwankungen von Talsperren sowohl von ihrer Nutzung als auch von ihrer geografischen Lage abhängig sind. Bei Reservoiren für die Bewässerung waren die Schwankungen ausgeprägter als bei solchen, die für die Erzeugung von Wasserkraft genutzt wurden. An Orten, an denen das jährliche Niederschlagsmuster gleichmäßiger ist – etwa in Richtung der Pole und im Bereich des Äquators –, gab es weniger große Schwankungen des Wasserstands als in den mittleren Breiten, wo größere Flächen der Talsperren oftmals auch über sehr viel längere Zeiträume trockenlagen.

Impulse für Management von Talsperren

Das Forscherteam konnte am Beispiel der Talsperren zeigen, welchen entscheidenden Einfluss trockenfallende Bereiche auf die globale Kohlenstoffbilanz von Gewässern haben. „Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie einen Anstoß geben können, bei der Bilanzierung von Kohlenstoffflüssen natürlicher Binnengewässer künftig auch die trockenfallenden Flächen mit zu berücksichtigen“, sagt Koschorreck.

Darüber hinaus könnten die neuen Erkenntnisse in ein klimaschonenderes Management von Talsperren einfließen. Denn muss das Wasser wegen Wartungsarbeiten abgelassen werden, ist mit Blick auf die Kohlenstofffreisetzung der richtige Zeitpunkt wichtig: Liegen die Arbeiten anstatt im Sommer in den kälteren Monaten, laufen die Abbauprozesse des freiliegenden kohlenstoffhaltigen Materials sehr viel langsamer ab, und die Kohlenstoff-Emission ist deutlich geringer. pf


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