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KommentarWir zahlen den Treibstoff der Bulldozer, die die Wälder abholzen

Luftaufnahme, Kahlschlag inmitten eines Waldes in Indonesien
In Südostasien werden weiterhin Wälder für Palmöl-Plantagen abgeholzt. (Foto: Earthsight/The Gecko Project)

Die vermeintlich unabhängige Zertifizierung für nachhaltiges Holz wird die Entwaldung nicht stoppen. Die Systeme haben strukturelle Schwächen und sind von der Industrie vereinnahmt. Die Zertifizierer dürfen verdächtiges Holz nicht mehr zertifizieren.

16.11.2021 – Wir können von den Waldländern nicht erwarten, dass sie die Bulldozer stoppen, wenn wir weiterhin für den Treibstoff bezahlen. Doch genau das tut die EU, wenn sie kein wirksames Gesetz zum Stopp der Entwaldung erlässt. Die industrielle Agrarwirtschaft ist die größte Ursache für Waldzerstörung. In Südostasien werden Wälder gerodet, um Platz für riesige Monokulturen von Ölpalmen, Kautschuk und Akazien zu schaffen. In Lateinamerika werden sie für Rinderweiden und Soja genutzt. In den meisten Fällen werden die auf diesen Flächen produzierten Waren exportiert. Die größten Abnehmer sind die Länder der reichen Welt.

Die Welt ist inzwischen auf das Problem aufmerksam geworden. Doch die neue, von Großbritannien geleitete Initiative für Wälder, Landwirtschaft, Rohstoffe und Handel (Fact), die auf der COP mit großem Tamtam vorgestellt wurde, ist kaum mehr als eine Gesprächsrunde. Die Ziele "Sondierung von Optionen" und "Förderung des Verständnisses" zeigen, dass die Dringlichkeit der Krise unseres Planeten nicht erkannt wird. Die Initiative ist so bedeutungslos, dass sogar Brasiliens Präsident Jair Bolsonaros, der sich am schamlosesten für die Abholzung der Wälder einsetzt, ihr gerne zustimmt.

Für den 17. November wird ein Gesetzentwurf der EU erwartet, der den enormen Schaden begrenzen soll, den die EU in Übersee durch den Verbrauch von waldgefährdenden Rohstoffen wie Rindfleisch, Soja, Palmöl, Holz und Leder verursacht. Wenn das Gesetz erfolgreich ist, könnte es bahnbrechend sein und den Weg für andere wichtige Märkte ebnen – der erste Schritt, um den Bulldozern endlich den Treibstoff zu entziehen.

Ähnliche Gesetzesentwürfe gibt es im Vereinigten Königreich und in den USA. Aber die EU ist ein viel größerer Markt für die betreffenden Waren, und ihr Ansatz ist ehrgeiziger. Deshalb ist es so wichtig, dass das Gesetz der EU tatsächlich das Problem angeht.

Auch für den Lederhunger der Autoindustrie werden Wälder gerodet

Leider gibt es gibt viele Möglichkeiten, wie es schief gehen könnte: Umwelt- und Menschenrechtsgruppen aus der ganzen Welt haben sich in den letzten Monaten intensiv mit vielen entscheidenden Fragen auseinandergesetzt, z. B. welche Rohstoffe das Gesetz abdeckt, wie Wälder definiert werden, wie mit der Abholzung in der Vergangenheit umgegangen wird, wie die Rechte indigener Völker behandelt werden und ob neben dem Verbrauch auch die Finanzierung einbezogen wird. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es scheint, dass das Gesetz Leder nicht einbezieht - und damit nichts dagegen unternimmt, dass die EU-Autogiganten die illegale Zerstörung des Waldes, in dem ein unkontaktiertes Volk lebt, vorantreiben.

EU-Holzverordnung hat nicht funktioniert

Das neue EU-Gesetz stützt sich auf die bestehende EU-Holzverordnung (EUTR). Dieses Gesetz, das den Verbrauch von illegal in Übersee geschlagenem Holz verhindern soll, ist seit 2013 in Kraft. Aber funktioniert hat es nicht.

Im Vergleich zu früheren Gesetzen, die ethische Fragen im Zusammenhang mit dem Handel mit Rohstoffen regeln sollten, war die EUTR wirklich bahnbrechend. Sie war Vorreiter eines zweigleisigen Ansatzes, bei dem ein allgemeines Verbot für Holz aus illegalen Quellen mit einer parallelen Anforderung an die Importeure gekoppelt wurde. Sie sollten dafür sorgen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen dieses Verbot auf ein "vernachlässigbares" Niveau reduziert wird.

Da es für die Behörden in Europa so schwierig ist festzustellen, ob Waren gegen Gesetze in Übersee verstoßen haben, ist der zweite Teil des Gesetzes, die Sorgfaltspflicht für Importeure, von entscheidender Bedeutung. Mit der Pflicht zur Sorgfalt wird die Beweislast umkehrt. Durchgesickerte Entwürfe des neuen EU-Gesetzes deuten darauf hin, dass es denselben Ansatz verfolgen wird. Das ist eine gute Nachricht. Doch das Problem, wie die Sorgfaltspflicht in der Praxis durchgesetzt wird, besteht weiter.

Mangelhafte Zertifizierungssysteme

Earthsight hat die Umsetzung der EUTR vom ersten Tag an verfolgt. Dabei haben wir immer wieder festgestellt, dass als Nachweis für die Einhaltung der Sorgfaltspflicht bereits gilt, wenn das gekaufte Holz als legal und nachhaltig zertifiziert wurde.  Zahlreiche globale Umweltlabel haben sich infolgedessen etabliert, die auch rege genutzt werden. Rund ein Drittel der weltweiten Produktionswälder gelten inzwischen als nachhaltig. Doch die Zertifizierungssysteme sind grundsätzlich fehlerhaft und so gelangt immer wieder illegales und aus kritischen Quellen stammendes Holz nach Europa.

Im Jahr 2018 deckte Earthsight auf, wie illegales Holz aus der Ukraine nach Europa gelangte – mit dem Siegel des weltweit größten Labels für grünes Holz FSC. Im Jahr 2020 zeigten wir, wie Holz aus dem größten illegalen Holzbetrug dieses Jahrhunderts in Russland von FSCs größtem Konkurrenten PEFC gewaschen wurde und 100.000 Tonnen davon in die EU gelangten. Im Jahr 2021 deckten wir einen weiteren Skandal auf:  In einem FSC-zertifizierten Wald in Sibirien blieb die illegale Abholzung von vier Millionen Bäume durch einen korrupten Politiker und Geschäftsmann bei den Prüfer gänzlich unbemerkt. Das Holz landete in Ikea-Kindermöbeln, die auch in der EU und den USA verkauft werden.

Die Gründe, warum Zertifizierungssysteme die Einhaltung der EUTR nicht gewährleisten können, sind in ihrer DNA verankert. Ausschlaggebend ist, dass die Zertifizierungssysteme Unternehmen so lange als unschuldig betrachten, bis deren Schuld bewiesen ist. Die EU-Holzverordnung und das kommende umfassendere EU-Abholzungsgesetz verlangen hingegen von zertifiziertem Holz den Nachweis, dass nur ein vernachlässigbares Risiko (für illegale Rodung und Verletzung von Menschenrechten) besteht. Die Zertifizierer müssen also genau hinschauen.

Zertifizierer geben sich selbst die Regeln

Für die Zertifizierer ist die gegenwärtige Praxis eine willkommene Ausrede, um nicht tätig werden zu müssen. Als Earthsight aufgedeckt hatte, dass gegen mehrere FSC-zertifizierte Unternehmen in der Ukraine offiziell wegen Korruption auf hoher Ebene ermittelt wurde, beriefen sich die Prüfer genau auf diese Beweislastlogik und erklärten damit ihre Ignoranz sämtlicher öffentlich dokumentierter Gerichtsverfahren. In den Regularien der FSC heißt es ausdrücklich, dass Firmen auch dann weiter im Geschäft bleiben können, wenn die "überwiegende Zahl der Beweise" darauf hindeutet, dass sie sich massiven illegalen Holzeinschlags oder schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben.

Darüber hinaus garantieren die Zertifizierungssysteme nicht einmal das, was sie vorgeben zu tun. Sie sind mit strukturellen Mängeln und Interessenkonflikten behaftet und werden von der Industrie vereinnahmt, so dass illegale geschlagenes Holz und Menschenrechtsverletzungen systematisch im Dunkeln bleiben.

Im Juli 2021 gab die EU offizielle Leitlinien heraus, die von den Behörden der Mitgliedstaaten gebilligt wurden und in denen unmissverständlich festgestellt wird, dass Zertifizierungssysteme nicht dafür taugen, die Legalität von Holz aus der Ukraine zu gewährleisten. Die Unternehmen müssen mehr tun, wenn sie weiterhin Holz aus der Ukraine importieren wollen. Aber die Leitlinien sind nicht verbindlich, und die Probleme der Zertifizierung sind nicht auf die Ukraine beschränkt.

Offener Brief an den FSC

In der Woche vor der COP26 schickten 34 Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Welt einen offenen Brief an den FSC, in dem sie die Organisation dazu aufforderten, ihre Verfahrensweise unverzüglich zu ändern, um der globalen Entwaldungskrise angemessen Rechnung zu tragen.

Unterdessen strömt weiterhin verdächtiges zertifiziertes Holz nach Europa. Dass die EU es versäumt hat, aus dem Fall der Ukraine eine umfassendere Lehre zu ziehen, geht auch aus der mangelhaften EU-Studie über den Einsatz von Zertifizierungssystemen hervor.

Die Studie sollte beurteilen, inwieweit Zertifizierungssysteme die Einhaltung der Rechtsvorschriften gewährleisten können, ließ aber den grundlegenden Unterschied in der Beweislast zwischen den beiden Systemen völlig außer Acht. Infolgedessen wurde die gängige Praxis der Zertifizierer fälschlicherweise positiv bewertet. Dies ist vielleicht nicht überraschend angesichts der Tatsache, dass das mit der Studie beauftragte Unternehmen jährlich Millionen Dollar für die Prüfung von Holzeinschlags- und Holzunternehmen auf der Grundlage eben dieser Zertifizierungssysteme erhält.

Laut einem geleakten Entwurf des neuen EU-Abholzungsgesetzes wird den Zertifizierungssystemen kein von vornherein grüner Anstrich gewährt. Die EU-Holzverordnung tut dies auch nicht, blieb in der Praxis aber ein zahnloser Tiger. Obwohl sie die Einhaltung der Vorschriften nicht gewährleisten können, akzeptieren die Behörden in der EU weiterhin mangelhafte Umweltzeichen oder verdächtige Dokumente, die von den Regierungen der Herkunftsländer ausgestellt werden. Und warum? Vielleicht, weil sie nicht bereit sind, die Realität zu akzeptieren, die den vollständigen Importstopp aus bestimmten Ländern zur Folge haben müsste. Davor schrecken die Behörden zurück – möglicherweise auf Druck der milliardenschweren Unternehmen in der EU, die von diesem Holz abhängig sind.

Grüne Label für Soja, Rindfleisch und Palmöl sind noch fehlerhafter als die für Holz

Was für Holz bisher unlösbar war, wird für Soja, Rindfleisch oder Palmöl ein noch größeres Problem sein. Die meisten Rohstoffe, für die das neue Gesetz gelten soll, haben bereits ihre eigenen grünen Gütesiegel. Wie eine große Studie von Greenpeace Anfang des Jahres gezeigt hat, sind diese sogar noch fehlerhafter als die für Holz.

Ohne einen stärkeren Willen der EU-Behörden, die Zertifizierungssysteme in die Pflicht zu nehmen, wird das neue Gesetz lediglich ihren Vormarsch unterstützen. Das Ziel, weniger Wälder in Übersee abzuholzen und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, wird damit sicherlich nicht erreicht. Angesichts der planetarischen Notlage muss die EU es jetzt anpacken und richtig machen. Andernfalls sind die Wälder, die sie zu schützen versucht, dem Untergang geweiht.

Meinungsbeitrag von Sam Lawson, Direktor der britischen Umweltschutzorganisation Earthsight, die sich gegen die unkontrollierte weltweite Waldrodung einsetzt.


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