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Klimaziel 2020Eine Corona-Krise macht keinen Klimaschutz

Seit 1990 sind die CO2-Emissionen in Deutschland um 40,8 Prozent gesunken
Seit 1990 sind die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 40,8 Prozent gesunken. (Foto: Marek Piwnicki on Unsplash)

Das Klimaziel 2020 wurde erreicht, Deutschland hat seine Treibhausgasemissionen seit 1990 um über 40 Prozent reduziert. Geglückt ist das jedoch nicht durch vorbildliche Klimapolitik, sondern vor allem durch die Corona-Krise. Eine Einschätzung.

18.03.2021 – Wie durch ein Wunder wurde es doch noch erreicht, das Klimaziel 2020 der Bundesregierung. Damit konnten die Treibhausgasemissionen seit 1990 um mehr als 40 Prozent gesenkt werden. Doch eigentlich ist dafür kein Wunder verantwortlich, sondern vor allem eine Pandemie. Zumindest auf den letzten Metern.

Im vergangenen Jahr schien es noch praktisch unmöglich, dass Deutschland sein Klimaziel erreichen wird. Doch tatsächlich wurden 2020 nur noch etwa 739 Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen, wie das Umweltbundesamt (UBA) am Montag bekannt gab. Das sind rund 70 Millionen Tonnen weniger als im Jahr 2019, der Rückgang beträgt 8,7 Prozent. Das ist die größte jährliche Minderung seit der deutschen Einheit. Im Vergleich zu 1990 sanken die Emissionen damit um stolze 40,8 Prozent.

Auch wenn es in allen Bereichen Fortschritte gab – insbesondere in der Energiewirtschaft – geht mehr als ein Drittel des gesamten Rückgangs auf die Folgen der Corona-Krise zurück. Vor allem im Verkehrs- und Energiebereich wurde deutlich weniger CO2 ausgestoßen als im Vorjahr.

Energiesektor zeigt wie Klimapolitik wirkt

„Mit der Klimabilanz 2020 macht Deutschland schon im dritten Jahr in Folge Fortschritte beim Klimaschutz“, lobt Bundesumweltministerin Svenja Schulze die vorgestellten Ergebnisse. „Natürlich machen sich in diesem besonderen Jahr auch Pandemie-Effekte bemerkbar, besonders im Verkehrssektor“, gesteht Schulze ein. Jedoch sehe man vor allem im Energiesektor, wie Klimapolitik wirke – der Kohleausstieg komme gut voran. Und das mache Mut für andere Bereiche, in denen es noch viel zu tun gebe.

Wieso die Umweltministerin den Kohleausstieg als Beispiel für eine wirksame deutsche Klimapolitik und damit für das Sinken der Emissionen im Energiebereich heranzieht, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Schließlich sind erst seit dem 1. Januar 2021 die ersten Kraftwerksblöcke stillgelegt worden – und laufen teilweise noch immer als „Reservekapazität“ getarnt weiter. Der Kohleausstieg ist damit keine Begründung für die positive Entwicklung im Stromsektor.

Kein Grund zum Ausruhen„Dass Deutschland sein Klimaziel für 2020 jetzt doch geschafft hat, ist für mich kein Grund zum Ausruhen“, so Schulze weiter. Das höhere EU-Klimaziel werde Deutschland viel abverlangen. „Darum sollte die Bundesregierung jetzt schon das geplante Ausbautempo für Wind- und Sonnenstrom in diesem Jahrzehnt verdoppeln. Auch im Gebäudesektor werden rasch weitere Maßnahmen zu prüfen sein.“ Dafür sorge das neue Klimaschutzgesetz mit seinen verbindlichen Zielen für die einzelnen Sektoren, die nun zum ersten Mal Wirkung entfalten.

Energiewende in allen Sektoren vorantreiben

Da Deutschland die Klimaziele nur aufgrund der Corona-Krise erreichen konnte, fordert der Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) mehr Ambition der Bundesregierung. „Wir dürfen uns beim Klimaschutz nicht auf Krisen mit wirtschaftlichen Einbrüchen stützen, sondern müssen im Gegenteil Klimaschutz mit Standortpolitik und breiter Wertschöpfung verbinden“, sagt Simone Peter, Präsidentin des BEE. „Die Ziele müssen zuverlässig erreicht werden. Für die Zukunft bedeutet das, dass in allen Sektoren die Energiewende verstärkt voranzutreiben ist, und besonders der Gebäudesektor als Schlusslicht auf dem Weg zur Klimaneutralität aufzuholen hat“, so Peter.

Patrick Graichen, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, ist ebenfalls unzufrieden mit der Klimabilanz – trotz des Erreichens des Klimaziels 2020. „Der Gebäudesektor verfehlt sein Sektorziel, ohne die Corona-Pandemie hätte auch der Verkehrssektor sein Ziel verfehlt“, so Graichen. Der Umstieg auf klimafreundliche Wärmepumpen und die energetische Sanierung müssten endlich in Fahrt kommen und die CO-Emissionen im Verkehr nachhaltig gesenkt werden.

Ansonsten sei für die kommenden Jahre zu befürchten, dass die Treibhausgasemissionen in Deutschland wieder steigen. Der aktuelle Ausbau von Erneuerbaren Energien reiche nicht aus, um die in den nächsten zwei Jahren wegfallenden Strommengen der Atomkraftwerke zu kompensieren. „Wir brauchen dringend ein Klima-Sofortprogramm, um das Risiko steigender Emissionen abzuwenden“, fordert Graichen. Das Klimaschutzgesetz müsse überarbeitet werden, damit die in der EU beschlossenen höheren 2030-Klimaschutzziele zu erreichen sind.

Energiesektor verzeichnet größten Rückgang der Emissionen

Den größten Emissionsrückgang verzeichnete der Energiesektor. Gegenüber 2019 wurden 38 Millionen Tonnen weniger CO2 ausgestoßen – eine Minderung um 14,5 Prozent. Damit wurde die im Klimaschutzgesetz festgelegte Emissionsobergrenze von 280 Millionen Tonnen deutlich unterschritten. Zurückzuführen ist die Entwicklung vor allem auf einen geringeren Braun- und Steinkohleanteil an der Stromerzeugung.

Maßgeblich hat zu diesem Fortschritt auch die erfolgreiche Reform des europäischen Emissionshandels beigetragen, die zu einem höheren CO2-Preis geführt hat. Trotz Wirtschaftskrise lag der Durchschnittspreis bei 25 Euro. Im Dezember stieg der Preis für CO2-Zertifikate sogar auf ein neues Allzeithoch von 32 Euro. Außerdem ging aufgrund der Corona-Krise der Stromverbrauch deutlich zurück, fossile Kraftwerke wurden häufiger abgeregelt.

Emissionen im Verkehr deutlich gesunken

Rückläufig war im Jahr 2020 auch der Ausstoß von Treibhausgasen im Verkehr. Mit 146 Millionen Tonnen CO2 wurde nicht nur 19 Millionen Tonnen weniger als 2019 ausgestoßen (minus 11,4 Prozent), sondern auch die im Klimaschutzgesetz festgelegte Emissionsmenge von 150 Millionen Tonnen unterschritten. Der Grund dafür ist naheliegend: Vor allem während des ersten Lockdowns wurde deutlich weniger Auto gefahren, die Absatzzahlen für Kraftstoffe gingen kräftig zurück. Von der gesamten Minderung waren außerdem immerhin zwei Millionen Tonnen darauf zurückzuführen, dass die Zahl der zugelassenen E-Fahrzeuge zugenommen hat. Der CO2-Ausstoß des inländischen Flugverkehrs ging um 60 Prozent zurück.

Der ökologische Verkehrsclub VCD warnt trotzdem davor, aufgrund der Erfolge nun die Anstrengungen beim Klimaschutz zu reduzieren. Nach dem Ende des Lockdowns drohe ein starker Wiederanstieg der Emissionen. „Wegen der Lockdowns sind viele Autofahrten zum Büro entfallen, der Flugverkehr blieb fast komplett am Boden, viele Menschen sind auf das Fahrrad umgestiegen“, sagt Stefan Bajohr, VCD-Bundesvorsitzender. Vor allem auf der Straße nehme der Verkehr längst wieder zu, weswegen spätestens im nächsten Jahr die Emissionen wieder deutlich steigen könnten.

Die Bundesregierung muss ihr Klimaschutzprogramm zügig überarbeiten„Die Bundesregierung muss ihr Klimaschutzprogramm zügig überarbeiten. Für den Verkehr bedeutet das: Die Antriebswende muss beschleunigt und die Alternativen zum eigenen Auto gestärkt werden“, fordert der verkehrspolitische Sprecher des VCD Michael Müller-Görnert. „Was sich im letzten Jahr bewährt hat, sollten wir weiter ausbauen: Statt neuer Autobahnen lieber Pop-up-Radwege schaffen und verstetigen, statt Dienstwagenprivileg und Entfernungspauschale besser Lastenräder und ÖPNV-Abos fördern.“

Im Industriesektor sanken die CO2-Emissionen um 4,6 Prozent – ebenfalls vor allem aufgrund der Pandemie. Auch hier wurden die im Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Mengen unterschritten. Einzig im Gebäudebereich wurden sie überschritten, die Emissionen hatten 2020 nur um 2,8 Prozent abgenommen. Mit 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten lagen die Emissionen damit zwei Millionen Tonnen über der Obergrenze.

In der Landwirtschaft sank der Ausstoß von Treibhausgasen um gut 1,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (minus 2,2 Prozent), im Abfallsektor um etwa 3,8 Prozent. Beide Bereiche lagen damit unter den für 2020 im Klimaschutzgesetz festgelegten Jahresemissionsmengen.

Wie sich die Emissionen im Jahr 2021 entwickeln ist derzeit noch ungewiss. Je nach Länge des derzeitigen Lockdowns, Verschärfung der Maßnahmen zur Einschränkung der Corona-Pandemie und Fortschritt beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie Abschalten von Kohlekraftwerkskapazitäten könnte der Ausstoß von Treibhausgasen erneut niedrig bleiben. Damit das auch langfristig sowie unabhängig von einer Pandemie so bleibt und sich der Abwärtstrend verstetigt, müssen noch einige klimapolitische Weichen gestellt werden. Joschua Katz


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