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Emissionshandel„Klimapolitik ohne CO2-Preis ist wie Medizin ohne Penicillin“

Industrie in Helsinki, Finland
Ist in Deutschland jetzt die Zeit für eine CO2-Bepreisung reif? (Foto: Carlos "Grury" Santos auf Unsplash)

In der Politik ist der CO2-Preis hoch umstritten, obwohl er von Experten als eine zentrale Klimaschutzmaßnahme empfohlen wird. Aktuell scheint jedoch Bewegung in die politische Lethargie zu kommen. Ist jetzt die Zeit für eine CO2-Bepreisung reif?

15.04.2019 – Zur Einhaltung der Klimaziele pochen Wissenschaftler schon lange darauf, dem Ausstoß von Treibhausgasen einen Preis zu geben – und das über alle Wirtschaftsbereiche hinweg. Nur so könne die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt und das Einsparen von Emissionen belohnt werden.

„Aktuell sind die CO2-Preise auf dem Strommarkt noch nicht hoch genug und die Bereiche Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft sind komplett außen vor“, sagte Professor Gernot Klepper vom Institut für Weltwirtschaft beim Pressegespräch des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) am vergangenen Freitag in Berlin. Dabei seien CO2-Preise eine sehr effiziente Möglichkeit, „Klimaschutz dort umzusetzen, wo er am günstigsten ist.“ Das europäische Emissionshandelssystem (ETS) zeichnete sich jahrelange durch einen viel zu niedrigen Zertifikatepreis aus, inzwischen ist dieser immerhin auf etwa 20 Euro gestiegen.

Straßenverkehr und Wärmemarkt nicht erfasst

Selbst mit einem höheren Zertifikatepreis erfasst das ETS nur etwa die Hälfte des ausgestoßenen Kohlendioxids, andere Treibhausgase wie Methan oder Lachgas werden überhaupt nicht berücksichtigt. Gemeinsam mit seinem Team hat Klepper deshalb untersucht, wo die Emissionen, die nicht vom ETS abgedeckt werden, überhaupt entstehen. Das Ergebnis: Ein Großteil der restlichen Treibhausgase entsteht durch den Straßenverkehr (45 Prozent) und im Wärmemarkt (38 Prozent). Die restlichen nicht vom europäischen Emissionshandel berücksichtigen Treibhausgase werden in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor freigesetzt.

Jedoch ließen sich nahezu alle Emissionen in das ETS integrieren, zeigt die Analyse von Klepper und seinem Team. „Dafür schlagen wir vor, die Zertifikatspflicht im Verkehr auf die Anbieter von fossilen Kraftstoffen zu verlagern, also bei den Raffinerien oder Tankstellen anzusetzen“, so Klepper. „Analog dazu wären das im Bereich Wärme etwa die Heizölhändler und bei den Methanemissionen der Landwirtschaft die landwirtschaftlichen Verwaltungen.“

Verbleibende Kohlekraftwerke könnten Kapazitäten erhöhen

Auch der neue Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, macht sich bereits seit Jahren für eine CO2-Bepreisung stark. Obwohl er es einerseits begrüßt, dass die Kohlekommission immerhin einen gesellschaftlichen Konsens schließen konnte, warnt er davor, dass eine rein ordnungsrechtliche Lösung nicht ausreichend sei. So müsse beim Kohleausstieg beachtet werden, dass zunächst nur einzelne Kraftwerke in den nächsten Jahren vom Netz gehen. Die verbleibenden Kohlekraftwerke könnten ihre Leistung daraufhin jedoch erhöhen (Rebound-Effekt), sodass die Treibhausgasemissionen nicht zwangsläufig sinken würden.

„Durch Ordnungsrecht kann kontrolliert werden, welche Kraftwerke wann vom Netz gehen. Es kann jedoch nicht kontrolliert werden, wie stark die verbleibenden Kraftwerke ihre Kapazitäten erhöhen“, so Edenhofer am Freitag in Berlin. „Den Rebound-Effekt kann man nur in den Griff bekommen, wenn es eine CO2-Bepreisung gibt. Ordnungsrecht ist schön und gut, jedoch in vielerlei Hinsicht nicht effektiv genug.“ Deshalb könne die Politik die Emissionen gar nicht ausreichend kontrollieren, solange es noch keinen Preis für CO2 gebe.

Ohne CO2-Preis kein erfolgreicher Kohleausstieg

Sollte man zukünftig dann nur noch auf CO2-Bepreisung statt Ordnungsrecht setzen? Nein, ganz ohne Ordnungsrecht komme man auch nicht aus, gab Edenhofer zu bedenken. „Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf: Ohne einen CO2-Preis wird der Kohleausstieg nicht erfolgreich sein. Klimapolitik ohne CO2-Preis ist wie Medizin ohne Penicillin.“

Allerdings zeichnet sich aktuell etwas Bewegung in der deutschen Debatte um eine CO2-Bepreisung ab. Bereits zum Anfang des Monats berichtete Der Spiegel, dass die Bundesregierung offenbar die Wirtschaftsweisen damit beauftragen wolle, ein Sondergutachten zu den Chancen und Risiken einer CO2-Steuer abzugeben. In der vergangenen Woche führte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dann auch mit der Schweizer Energieministerin Simonetta Sommaruga Gespräche über ihr Modell der CO2-Bepreisung.

Aus der Sicht von Ottmar Edenhofer habe sich gerade ein Zeitfenster geöffnet, in dem umweltpolitisch einiges möglich ist – jedoch vielleicht nur für ein paar Monate. „Ich habe in dieser Sache bereits die Kanzlerin getroffen und bei den Gesprächen die Bereitschaft rausgehört, dass jetzt im Rahmen des Klimakabinetts ernsthaft etwas passieren soll“, sagte Edenhofer am Freitag in Berlin.

Fridays for Future-Bewegung macht die Politik nervös

Aus der Sicht von Edenhofer gebe es aktuell zwei Gründe, warum die deutsche Politik gerade eine CO2-Bepreisung in Betracht zieht:

  1. „Fridays for Future macht die Politik nervös“, so Edenhofer. Die andauernden, stetig wachsenden und viel beachteten Klimastreiks der jungen Generation könnten nicht spurlos an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorbeigehen.
     
  2. Die europarechtlichen Verpflichtungen für die Sektoren, die nicht vom europäischen Emissionshandel abgedeckt werden, könnten die Bundesrepublik teuer zu stehen kommen. Ab 2020 muss Deutschland für seine Verfehlungen bei den Klimazielen Emissionsrechte von anderen EU-Ländern erwerben. Dafür hat die Regierung zwischen 2020 und 2022 bereits Ausgaben in Höhe von 300 Millionen Euro vorgesehen, wie kürzlich bekannt wurde.

Wenn sich Merkel ihren ehemaligen Titel als „Klimakanzlerin“ zum Ende ihrer letzten Amtszeit doch noch zurückholen möchte, bietet sich ihr jetzt eine gute Gelegenheit. Mit der Einführung einer CO2-Bepreisung könnte sie zeigen, dass ihr das Thema Klimaschutz doch wichtiger ist, als es in den letzten Jahren den Anschein hatte. Sie könnte die Weichen dafür stellen, dass Deutschland im nächsten Jahrzehnt nicht erneut seine Klimaziele verfehlt. Sie könnte den vielen jungen Menschen, die aus Sorge um ihre Zukunft jeden Freitag auf die Straße gehen, zeigen, dass sie ihre Ängste ernstnimmt. Die nächsten Monate könnten klimapolitisch also doch noch spannender werden, als manch einer es zum Jahresbeginn gedacht hätte. jk


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