Menü öffnen

KI-Forschung EnergiespeicherDigitale Lösungen für die dezentrale Energiewende im Test

Solarsiedlung mit 70 Niedrigenergie-Häusern am Südhang des Ohrbergs bei Hameln,
Solarsiedlung mit 70 Niedrigenergie-Häusern am Südhang des Ohrbergs bei Hameln, eines der vom ISFH untersuchten Quartiere. (Bildquelle: ISFH)

Mit der Abschaltung der letzten AKWs in Deutschland müssen Erneuerbare Energien weitere Funktionen im Energiesystem übernehmen. Energiespeicher und die Kopplung von Strom- und Wärmemarkt werden relevanter. Forscher arbeiten an digitalen Lösungen.

14.04.2021 – Das Ende der Atomenergie rückt in Deutschland immer näher. Ende 2022 ist es soweit – die letzten sechs Atommeiler gehen vom Netz. Nicht nur der Ausbau Erneuerbarer Energien muss schneller vorangehen, auch Lösungen für die Ökostrom-Speicherung sowie die Kraft-Wärme-Kopplung, also die effiziente Verknüpfung von Strom und Wärmeenergieerzeugung, müssen weiter etabliert werden, Das Bundeswirtschaftsministerium fördert nun einige Forschungsprojekte.

Für den Ausgleich schwankender Stromeinspeisung aus fluktuierenden Erneuerbaren Energien kommt Speichern eine große Bedeutung zu. Wie dezentrale Energieanlagen dabei agieren können, haben Forscher des IT-Instituts OFFIS im kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt ENERA gezeigt, berichtet die Zuse-Gemeinschaft. Dabei ging es vor allem um die Selbstorganisation von Energiespeichern und deren Stromeinspeisung ins Netz.

Von der Bäckerei bis zum Industriebetrieb wurden verschiedene mit Batteriespeichern ausgestattete Unternehmen in einen Feldtest zur Erprobung so genannter Software-Agenten geschickt. „Solche Software-Agenten können eigenständig Entscheidungen treffen und sie lassen sich auch sehr gut steuern“, erläutert Martin Tröschel, OFFIS-Co-Gruppenleiter für „Distributed Artificial Intelligence“, einem Teilbereich der Künstlichen Intelligenz.

Ausgestattet mit den vom OFFIS-Team in die Software eingezogenen Leitplanken durften die Agenten entscheiden, wann die Batteriespeicher die geladene Energie abgeben. Ein maßgebliches Kriterium war das sogenannte „Peak Shaving“, nämlich das „Glätten von Lastspitzen zu Zeiten besonders hoher Stromnachfrage“. Zu solchen Zeiten sei das Einspeisen aus dem Speicher wegen der dann sehr hohen Börsenpreise für Elektrizität besonders attraktiv, berichtet das Forschungsteam. Tröschel erläutert den Unterschied gegenüber heute gängigen Systemen, die zentral gesteuert werden und auf Peak Shaving getrimmt sind: „Das System hat sich im Feldtest erfolgreich vollständig selbst organisiert. Es gibt keine zentrale Instanz, die jedem Speicher einen Fahrplan zuweist, wie das in virtuellen Kraftwerken der Fall ist.“

Die dezentrale Arbeitsweise der Software-Agenten sieht auch die Co-Gruppenleiterin Stefanie Holly bei der weiter steigenden Zahl kleinerer Stromerzeugungsanlagen als Vorteil und sogar als Notwendigkeit für die Umsetzung einer dezentralen Energiewende: „Zentrale Steuerungseinheiten werden bei einer zunehmenden Zahl von Stromerzeugern an ihre Grenzen stoßen.“ Für die Zukunft sieht sie eine der Aufgaben der angewandten Forschung darin, Strommanagern die Skepsis gegenüber Software-Agenten zu nehmen. „Schon heute sind Stromspeicher für viele Industriebetriebe aufgrund der zum Teil sehr hohen Netzentgelte attraktiv“, meint die Expertin.

Einsatz Erneuerbarer vor Ort optimieren

Eine verstärkte regionale Nutzung von Strom aus Erneuerbaren Energien könnte begrenzend auf den Ausbau des Stromnetzes und damit auf Anstiege der Netzentgelte wirken, so die Forscher. Denn regional verbrauchter Strom müsse nicht erst über lange Distanzen transportiert werden. Zudem dürfte der Stromverbrauch künftig durch den Bedarf von Elektroautos, aber auch von Wärmepumpen, die Strom in Heizenergie umwandeln, steigen.

Testlauf im Quartier

Im gerade abgeschlossenen Forschungsprojekt Wind-Solar-Wärmepumpenquartier hat das Institut für Solarenergieforschung Hameln (ISFH) untersucht, wie sich in verschiedenen Szenarien unter Nutzung von thermischen und elektrischen Speichern in Verbindung mit Wärmepumpen der Anteil Erneuerbarer Energien in Wohnquartieren erhöhen lässt. Zwei bestehende Wohnquartiere, eines in Niedersachsen, eines in Bayern, wurden dazu hinsichtlich Strom- und Wärmebedarf sowie -erzeugung vermessen; zudem die Erträge der Solarstromanlagen in den Siedlungen und die Erträge von Windenergieanlagen aus der Region.

„Im Ergebnis zeigte sich, dass man durch eine gut gewählte Betriebsführung einen sehr hohen regionalen Deckungsgrad mit Erneuerbaren Energien erreichen kann, der die Marke von 80 Prozent überschreitet“, resümiert Tobias Ohrdes, Leiter der ISFH-Arbeitsgruppe Elektrische Energiesysteme. Mehr als 60 Prozent des Stromes könnten den Simulationen nach direkt durch Wind- und Photovoltaikstrom gedeckt werden. Durch Batteriespeicher und eine intelligente Steuerung der Wärmepumpen können weitere 20 Prozent des Strombedarfs lokal mit Wind und Sonne gedeckt werden. Wird der Wärmepumpenbetrieb im gesamten Quartier untereinander koordiniert, erhöhe sich die erneuerbare Versorgung gegenüber einem unkoordinierten Betrieb um weitere vier Prozentpunkte.

Solarstromspeicher für Mehrfamilienhäuser nutzbar machen

Wie sich mehrere Wohnparteien eines Mehrfamilienhauses eine Photovoltaikanlage und einen Stromspeicher teilen können, untersuchen indes Forscher im Projekt MELANI, das ebenfalls vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. Die Messtechnik, ein dezentrales Energiemanagement für die teilnehmenden Wohnungsnutzer und Abrechnungsprozesse, stehen dabei im Fokus. Rund 19 Millionen Mietwohnungen gibt es in Deutschland. Zunehmend wird auch in Mehrfamilienhäusern im urbanen Kontext die Energieversorgung regenerativ, etwa durch Photovoltaikanlagen auf dem Gemeinschaftsdach bei Mieterstrom-Projekten. Der Nutzen ließe sich durch einen mit einem Energiemanagement-System kombinierten Stromspeicher, auf den alle Wohnparteien zugreifen können, noch deutlich erhöhen, so der Ausgangsgedanke des Projekts.

Bislang stehen dem Einsatz von Speichern in Mehrfamilienhäusern mehrere Hürden entgegen. Um die aus dem Weg zu räumen, haben sich NATURSTROM, die SMA Solar Technology AG, die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und das elenia Institut für Hochspannungstechnik und Energiesysteme der TU Braunschweig zusammengetan. Die knifflige Aufgabe: Beim Zugriff mehrerer Wohnparteien auf ein und denselben Stromspeicher muss stets exakt bestimmt und abgerechnet werden können, welche Strommengen durch welche Wohnpartei aus der häuslichen Stromerzeugungsanlage, dem Speicher oder aus dem öffentlichen Netz bezogen wurden. Diese Daten müssen eichrechtskonform erhoben werden und den relevanten Marktpartnern im Strommarkt zur Verfügung stehen. Die dafür nötige Messtechnik zu entwickeln, eichrechtskonform auszugestalten und die Messwerte rechtssicher abzurechnen ist hier Kern des Projektes. In gut einem Jahr wollen die Projektierer die bis dahin entwickelte Lösungen in einem Feldtest praktisch umsetzen und erproben und suchen noch nach einer passenden Immobilie. na


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft