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Nachgefragt
22. November 2022

„Der Erwartungsdruck ist mittlerweile sehr hoch“

Die COP27 ist zu Ende. Ein Rückblick auf schwierige Bedingungen für die Zivilgesellschaft, positive und negative Erkenntnisse der Verhandlungen, sowie ein hoffnungsvoller Ausblick auf die nächste Klimakonferenz.

Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch und Teil des Teams auf der 27. Klimakonferenz im ägyptischen Scharm El-Scheich.

Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch und Teil des Teams auf der 27. Klimakonferenz im ägyptischen Scharm El-Scheich.
Ein Mann mit kurzen Haaren, weißen Hemd und dunklem Sakko
Bild: Germanwatch

Auf der COP wurden wiederholt Menschenrechtsverletzungen in Ägypten angeprangert, sowie die Verhinderung von Protesten. Wie war denn die Stimmung diesbezüglich vor Ort?

Ich habe die Stimmung als bedrückt wahrgenommen. Der ägyptische Überwachungsstaat war sehr präsent. Bei internen Strategiebesprechungen der NGOs etwa, wollte oft vermeintlich technisches Personal im Raum sein, um sich vordergründig um die Technik zu kümmern. Wir gehen aber davon aus, dass es sich um Spione des ägyptischen Geheimdienstes handelte. Zudem haben wir von vielen afrikanischen NGOs erfahren, die sich zum Beispiel am Rande der COP an Protesten gegen neue fossile Projekte beteiligt haben, dass diese häufig von vorgeblichen freiwilligen Helfern in Gespräche verwickelt wurden, vermutlich, um an Informationen zu gelangen.

Gab es weitere Schikanen für die Zivilgesellschaft in Scharm El-Scheich?

Insbesondere Aktivist:innen aus dem Globalen Süden wurde die aktive Teilnahme an der COP insgesamt erheblich erschwert. Neben den Bespitzelungen waren es auch überteuerte Hotelpreise, die die Teilnehmer:innen der COP zahlen mussten, obwohl sie teilweise vorher günstigere Pauschalangebote gebucht hatten. Dabei hätte gerade eine COP in einem afrikanischen Land dafür sorgen sollen, dass mehr zivilgesellschaftliche Vertreter:innen vom afrikanischen Kontinent Zugang zu der Konferenz haben. Das ist eigentlich die grundlegende Idee dahinter, die COP immer wieder auf einem anderen Kontinent stattfinden zu lassen. Bei den Klimakonferenzen in Lima und Marrakesch etwa hat das funktioniert. Ob dies bei der nächsten COP in den Vereinigten Arabischen Emiraten funktionieren wird, ist ebenso fraglich.

Wie war denn Ihr Eindruck von der ägyptischen COP-Präsidentschaft in den Verhandlungen selbst?

Ich war enttäuscht von der ägyptischen Präsidentschaft. Die Präsidentschaft hat eigentlich zwei Aufgaben. Das eine ist, dass sie den Prozess organisiert, Kompromisse auslotet, dafür sorgt, dass es am Ende Texte gibt, die jeder mittragen kann, man sich nicht ausgeschlossen fühlt. Das hat sie zumindest zu Anfang der Verhandlung ganz gut gemacht. Der andere Teil ist, selbst eine Vision des Ergebnisses zu haben und das Gewissen der Konferenz zu sein. Eine Präsidentschaft, die ermutigt über den eigenen Schatten zu springen und dafür sorgt, dass am Ende nicht der kleinste gemeinsame Nenner rauskommt, sondern ein gutes Ergebnis. An dem Punkt hat sie völlig versagt. Und gegen Ende hat sie auch den Prozess nicht mehr gut hinbekommen. Dass wir so verspätet fertig geworden sind, liegt auch an der Präsidentschaft. Zudem hatten sehr viele Länder in den letzten Tagen wiederholt gefordert, in der Abschlusserklärung der COP festzuhalten aus allen fossilen Energieträgern, also auch Öl und Gas auszusteigen. Dies ist in den Entwürfen der ägyptischen Präsidentschaft bis zum Schluss nicht aufgetaucht. Damit haben sie sich bis zum Schluss nicht an den vulnerablen und klimapolitisch ambitionierten Ländern orientiert, sondern an Saudi-Arabien, Iran und Russland.

Wie schon auf der COP26 in Glasgow wurde weiterhin eine Abkehr von Kohle festgehalten, aber keine von Öl und Gas. War die Klimakonferenz in Ägypten am Ende ein Erfolg für die fossile Lobby?

Die fossile Lobby ist mit dem Ziel in diese COP gegangen, eine Anerkennung von Gas als vermeintliche Brückentechnologie und eine Abschwächung des 1,5 Grad Klimaziels in die Abschlusserklärung zu bekommen. Beides ist nicht gelungen. Damit haben sie keine Rückschritte im Klimaschutz erreicht, zugleich konnten sie aber Fortschritte verhindern. In einem Entwurf für den Abschlussbericht stand etwa lange der Passus drin, man müsse nun verstärkt die Erneuerbaren Energien ausbauen. Am Ende wurden die Erneuerbaren um „low Carbon“ Energien ergänzt, was viel Interpretationsspielraum zulässt. Auch Kernkraft und Gas mit CO2-Abscheidung könnten darunter fallen. Immerhin kann darunter nicht die Erschließung neuer Gasfelder fallen, denn das passt nicht zu den in dem Absatz geforderten „sofortigen, tiefgreifenden, schnellen und anhaltenden Emissionsreduktionen“.

Sie haben die Länder mit fossiler Agenda erwähnt, wie präsent waren denn fossile Unternehmen auf der COP?

Die waren sehr präsent. Neben der Konferenz gab es ja auch eine Messe, mit vielen Pavillons und Veranstaltungen. Dort war vermeintlich sauberes Gas häufig Thema. Es gibt eine Studie von Global Witness, die über 600 Vertreter:innen von fossilen Unternehmen identifiziert hat. Das ist ein deutlicher Zuwachs gegenüber dem letzten Jahr.

Wie war ihr Eindruck von den Verhandler:innen der deutschen Delegation?

Grundsätzlich erstmal positiv. Deutschland war in internationalen Klimaverhandlungen schon immer ein Akteur, der sich für gute Ergebnisse eingesetzt hat. Das Problem Deutschlands ist die Umsetzung zu Hause, also die internationalen Verpflichtungen zu Hause mit Leben zu füllen. Aktiv vorangetrieben auf dieser COP hat Deutschland das Thema „Loss and Damage“, also die Finanzierung von klimabedingten Schäden und Verlusten in besonders betroffenen Ländern des Globalen Südens. Dieses Thema ist jahrzehntelang von allen Industrieländern, auch Deutschland, abgewehrt worden. Mit der Verkündung eines globalen Schutzschirms und sofortigen Bereitstellung von 170 Millionen Euro hat die Bundesregierung bei dieser Klimakonferenz Bewegung in die Sache gebracht.

Dass unter dem Dach der Vereinten Nationen nun grundsätzlich ein Fonds für „Loss and Damage“ geschaffen wird, ist Teil der Abschlusserklärung. Konkrete Zahlen darüber, wer wann wie viel einzahlt, gibt es aber noch nicht.

Nein, ich glaube, dass wussten alle, dass es erstmal über eine Grundsatzeinigung zur Schaffung eines Fonds ging. Alles weitere soll bis zum Ende der nächsten COP geklärt werden. Auch das halte ich für sehr ambitioniert. Wer kann Auszahlungen erhalten? Wer trifft die Entscheidungen? Solange solche Fragen nicht geklärt sind, wird kein Land vorangehen und riesige Summen bereitstellen. In Anbetracht der Schäden durch klimabedingte Katastrophen sind auch die 170 Millionen Euro der Bundesregierung für den globalen Schutzschirm nur Tropfen auf den heißen Stein. Die USA haben bislang sogar nur 12 Millionen US-Dollar zugesagt. Für das reichste Land der Welt mit den historisch höchsten kumulierten CO2-Emissionen, ist das natürlich viel zu wenig.

Auch China ist inzwischen eine Wirtschaftsmacht und liegt bei den kumulierten CO2-Emissionen global auf Platz zwei. Beim Thema Klimafinanzierung hält sich der Staat aber weiterhin zurück.

Für China ist das Thema Klimafinanzierung bisher eine dunkelrote, dicke Linie. Als freiwillige Leistung sind sie eventuell bereit zur Finanzierung beizutragen, aber nicht verpflichtend. Diese starren Länderkategorien, die vor mehr als 30 Jahren festgelegt wurden und Industrie- sowie Entwicklungsländer definieren, sind heute nicht mehr zeitgemäß. Anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und kumulierten Emissionen müsste China heute einen wesentlichen verpflichtenden Beitrag zur Klimafinanzierung leisten. Diese Diskussion ist mit dem Beschluss von Scharm El-Scheich eröffnet. Wir müssen dabei aber auch kumulierte Pro-Kopf-Emissionen wieder stärker ins Blickfeld rücken. Da liegen die USA und Europa weiterhin vor China – ein starker europäischer und amerikanischer Beitrag bleibt also ebenfalls richtig. Und es gilt in dieser Hinsicht auch die Golfstaaten stärker in Verantwortung zu nehmen, wo die Bevölkerung im Durchschnitt einen noch höheren Pro-Kopf-Ausstoß zu verantworten hat als in allen traditionellen Industriestaaten.

Wie können Europa und die USA das erreichen?

Die alten Industrieländer in Europa, Nordamerika und im Pazifik müssen erstmal ihre Hausaufgaben machen und glaubhaft und gerecht zur Klimafinanzierung beitragen. Bei der Finanzierung von Klimaschutz und Klimaanpassung wollen die Industriestaaten laut ihrer eigenen Prognosen erst im kommenden Jahr die versprochen jährlichen finanziellen Mittel von 100 Millairden erreichen und damit drei Jahre später als zugesagt. Zudem müssen wir über weitere Finanzierungsquellen sprechen, die bedürftigen Ländern zugute kommen. Wir sollten mehr denn je darüber diskutieren, fossile Konzerne global stärker in Verantwortung zu nehmen in Zeiten, in denen diese so hohe Gewinne gemacht haben, wie nie zuvor. Auch die Emissionen des Schiff- und Flugverkehrs gilt es international zu besteuern.

Wie ist ihr Blick auf die kommende COP? Wird sich da etwas bei der Finanzierung von Schäden und Verlusten bewegen?

Es ist deutlich geworden, dass der Erwartungsdruck mittlerweile sehr hoch ist bei dem Thema. Ich halte diese Ein Jahres Zeitschiene für sehr ambitioniert, aber machbar, wenn es auf allen Seiten den Willen zur Einigung gibt. Wir als Zivilgesellschaft müssen da auch weiter Druck machen, wenn es um Detailfragen geht. Ähnlich gut organisiert müssen wir auch beim zweiten wichtigen Thema der Emissionsminderung und damit einhergehend dem Ausstieg aus allen fossilen Energien vorangehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat einen Ausstieg aus allen fossilen Energien „ohne wenn und aber“ angekündigt, zugleich fasst er neue Gaspartnerschaften mit dem Aufbau neuer Gasinfrastruktur, wie etwa mit dem Senegal, ins Auge. Torpediert so etwas nicht die vermeintliche Vorreiterrolle Deutschlands?

Mit einer möglichen Gaspartnerschaft mit dem Senegal hat der Bundeskanzler der deutschen Verhandlungsposition keinen Gefallen getan. Wir haben auf der COP immer wieder erlebt, wie Deutschland und die Europäische Union gefragt wurden, wie ernst sie das wirklich mit der Energiewende meinen, wenn vordergründig über den Ausbau Erneuerbarer Energien und Energieeffizienzmaßnahmen angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gesprochen wird und zugleich weltweit neue LNG-Projekte unterstützt werden. Einigen kommt das scheinheilig vor und die Bereitschaft ambitionierte Vorschläge der EU im Abschlusstext mitzutragen sinkt. Um als ambitionierter und ehrlicher Verhandlungspartner wahrgenommen zu werden, müssen Deutschland und die EU neuen Gasprojekten eine klare Absage erteilen.

Das Interview führte Manuel Grisard


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