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Nachgefragt
08. Dezember 2022

„Wir brauchen starke gesetzliche Vorgaben“

Anna Cavazzini kämpft in Europa an vorderster Front für eine ressourcenschonende Lebensweise, zuletzt für ein Gesetz entwaldungsfreier Lieferketten. Ein Gespräch über den schwierigen Weg zu wirksamen und nachhaltigen Gesetzen in den europäischen Institutionen.

Anna Cavazzini, Bündnis 90/die Grünen, Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europaparlament

Anna Cavazzini, Bündnis 90/die Grünen, Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europaparlament
Eine Frau mit blonden Haaren und buntem Blouson
Bild: Anna Cavazzini

Frau Cavazzini, befinden wir uns in Europa auf einem guten Weg zu einer ressourcenschonenderen Lebensweise?

Fortschritte sind erkennbar, aber noch immer verbraucht Europa Unmengen an Ressourcen, von einer echten Kreislaufwirtschaft sind wir aktuell noch weit entfernt. Klar ist: Nur geschlossene Stoffströme, die Müll zu einem Relikt aus der Vergangenheit machen, verringern unsere Abhängigkeit von Rohstoffen und den Raubbau von Ressourcen. Deshalb brauchen wir jetzt starke, gesetzliche Vorgaben, und dafür kämpfe ich.

Ein Meilenstein war das Gesetz für einheitliche Ladekabel, das Im Mai 2022 verabschiedet wurde und 2024 in Kraft treten wird.

Die Diskussion darüber gibt es auf EU-Ebene schon seit mehr als zehn Jahren. Für jedes Endgerät ein eigenes Ladekabel zu haben, verursacht einen riesigen Ressourcenverbrauch. Die EU-Kommission hat damals vor Regulierungen zurückgeschreckt, obwohl das Parlament schon lange sagt, wir müssen einheitliche Ladekabel gesetzlich vorschreiben. Einige Unternehmen haben sich zwar in den vergangenen Jahren auf den USB-C-Standard geeinigt, aber besonders Apple, mit seinem enormen Marktanteil, hat sich geweigert und gegen entsprechende Regulierungen lobbyiert. Dem hat sich die EU-Kommission lange gebeugt. Doch wir im EU-Parlament haben ebenfalls wiederholt Druck ausgeübt. Und in der stärker werdenden Debatte um Kreislaufwirtschaft und Green Deal haben wir Gehör gefunden. Die Kommission hat einen Gesetzesvorschlag unterbreitet, der schließlich im Parlament verabschiedet wurde. Ich wäre sogar gern noch weiter gegangen, mit einer Verpflichtung, Geräte getrennt von den Ladekabeln zu verkaufen. Doch so weit wollte die Mehrheit im Parlament nicht gehen. Nun besteht in diesem Fall Wahlfreiheit.

Wie äußert sich Widerstand von Unternehmen und Politikern gegen entsprechende Gesetzesvorhaben?

Viele Unternehmen sind längst dabei, nachhaltige und zirkuläre Geschäftsmodelle auszuprobieren und umzusetzen. Denn sie haben verstanden, dass wir angesichts der Klimakrise auf Dauer nicht anders werden wirtschaften können. In der parlamentarischen Arbeit begegnen mir oft Argumente, die verpflichtende Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft als „Überregulierung“ oder „Belastung für die Unternehmen“ ablehnen". Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Mittelfristig bringt es ihnen sogar einen Wettbewerbsvorteil. Diese Debatten zeigen: Der Weg zur Kreislaufwirtschaft ist kein Selbstläufer und braucht öffentlichen und parlamentarischen Druck.

Das Parlament übt zudem weiter Druck auf die Kommission aus, mit einem Maßnahmenbündel das Recht auf Reparatur zu stärken. Was verbirgt sich dahinter?

Wir wollen erreichen, dass Menschen ihre Geräte länger benutzen können, indem etwa eine Gewährleistungspflicht verlängert oder Vorgaben gemacht werden, dass Ersatzteile verfügbar sein müssen und dass diese nicht zu teuer sein dürfen. Produkte müssen so designt werden, dass diese grundsätzlich reparierbar sind, auch von den Verbraucherinnen und Verbrauchern selbst. Zudem müssen Software-Updates länger verfügbar sein. Über ein ganzes Maßnahmenbündel soll das Recht auf Reparatur entstehen, sodass Menschen ihre Geräte länger nutzen und immense Ressourcen und Emissionen gespart werden. Leider hat die EU-Kommission inzwischen die eigentlich für Ende November angekündigten entsprechenden Gesetzesvorschläge vorschoben. Wir Grüne machen weiter Druck, dass sie spätestens im Frühjahr kommen, damit Bürgerinnen und Bürger bald von dem Recht auf Reparatur profitieren können.

Weiter sind die europäischen Institutionen bei der Implementierung nachhaltiger Lieferketten. Bei einem Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten gab es diese Woche eine Einigung in den sogenannten Trilog-Verhandlungen.

Genau. Es ist gut, dass sich Parlament und Rat hier einigen konnten, denn die neuen Vorschriften sind ein Herzstück des Europäischen Green Deals und ein wichtiger Baustein bei dem Ziel, die gravierenden Abholzungsraten weltweit zu bekämpfen. Die Verordnung legt Sorgfaltspflichten für Unternehmen fest, die Rohstoffe und Erzeugnisse auf dem EU-Binnenmarkt platzieren, damit diese nicht mehr zur Entwaldung beitragen. Schließlich verursacht die EU Studien zufolge durch ihre Importe 16 Prozent der weltweiten Regenwaldabholzung. Das ist natürlich hochproblematisch, denn weltweit sind Wälder von Abholzung und den Konsequenzen des Klimawandels bedroht. Dies trägt nicht nur zum Verlust an Artenvielfalt und zur globalen Klimakrise bei, sondern die Abholzung führt außerdem häufig zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber der lokalen und indigenen Bevölkerung.

Wir schwierig waren die Verhandlungen im Trilog?

Die Verhandlungen mit dem Rat haben sich als sehr schwierig gestaltet, aber als Parlament haben wir gut zusammengehalten und konnten so zum Schluss einiges verbessern. Und dennoch bedaure ich es, dass sich sowohl Rat als auch Kommission quer gestellt haben, neben Primärwäldern auch andere bewaldete Flächen in den Geltungsbereich aufzunehmen. Damit fällt beispielsweise der brasilianische Serrado, eine Art Savanne, die bislang nicht darunter, dabei findet dort momentan eine schlimmere Abholzung als im Amazonas-Gebiet statt. Zumindest soll die Kommission aber innerhalb eines Jahres überprüfen, ob andere bewaldete Flächen und dann nach zwei Jahren auch andere Ökosysteme nicht doch einbezogen werden. Ebenso konnte sich das Parlament leider nicht damit durchsetzen, auch Finanzinstitute ins Blickfeld zu nehmen. Dabei wäre auch dies wichtig gewesen, denn Studien belegen, dass europäische Banken mit ihren Investitionen und Krediten viele Unternehmen und Projekte fördern, die global zur Entwaldung beitragen. Damit muss natürlich Schluss sein, aber die Banken scheinen eine gute Lobbygruppe zu haben, denn nicht nur hier, sondern auch im EU-Lieferkettengesetz wurden sie von der Regulierung ausgenommen.  Ich werde mich dafür einsetzen, dass in der Revision der Verordnung die anderen bewaldeten Flächen, andere Ökosysteme und Finanzinstitutionen, aufgenommen werden.

Während es beim Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten um die Produkte geht, nimmt ein europäisches Lieferkettengesetz die Unternehmen direkt ins Blickfeld. Der EU-Ministerrat hat sich zuletzt auf eine Position geeinigt.

Lange haben wir Grüne uns für ein EU-Lieferketten eingesetzt. Anfang des Jahres hat die Kommission endlich einen Vorschlag gemacht, zu dem der Rat Ende November seine Position veröffentlicht hat. Damit wird eine verbindliche menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflicht für Unternehmen eingeführt, die beispielsweise weit über den Geltungsbereich des deutschen Lieferkettengesetzes hinausgeht. So soll die Richtlinie laut Kommission und Rat für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 150 Millionen Euro gelten, in Hochrisikosektoren, wie der Agrarwirtschaft, sogar für Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden. Das hat der Rat nur leicht verändert und deswegen begrüße ich es grundsätzlich, dass der Rat der EU sich auf eine Position einigen konnte.

Allerdings wurde der Kommissionsvorschlag vom Rat insofern eingeschränkt, da nicht mehr die ganze Wertschöpfungskette, sondern das vage Konzept der "Tätigkeitskette" eingeführt wurde. Damit wird die Phase der Nutzung der Produkte des Unternehmens oder der Erbringung von Dienstleistungen ganz weggelassen. Auch die bereits erwähnte Sonderrolle des Finanzsektors sehe ich sehr kritisch.

Wo besteht noch Handlungsbedarf?

Ich und viele andere aus dem EU-Parlament fordern den Einbezug von mehr Unternehmen. Schließlich sollte nicht die Größe hier ausschlaggebend sein, sondern das Risiko von Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in der Lieferkette. Auch muss bei der Haftungsklausel und den Sorgfaltspflichten nachgeschärft werden. Im Kommissionsvorschlag ist da vieles noch vage und der Rat hat die Verordnung in einigen Fällen sogar noch mehr verwässert. So hat sich Deutschland beispielsweise dafür ausgesprochen, dass privat vollzogene Sorgfaltspflichten, sogenannte Brancheninitiativen, Eingang ins Gesetz finden. Dann müssten Unternehmen, die Mitglied in bestimmten Vereinigungen mit eigenen Nachhaltigkeitsrichtlinien sind, nicht den Sorgfaltspflichten der EU-Regelungen nachkommen. Das würde riesige Schlupflöcher kreieren, deswegen bin ich froh, dass sie sich mit der Forderung bis jetzt nicht durchsetzen konnten, aber die Verhandlungen gehen noch weiter und die Gefahr besteht weiterhin.

Das Gespräch führte Manuel Grisard.


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