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VerfassungsbeschwerdeDeutsche Klimapolitik vor Gericht gezerrt

Fridays for Future Demonstration
Seit Jahren fordern Fridays for Future-Demonstranten eine ambitioniertere Klimaschutzpolitik der Bundesregierung. Bisher jedoch ohne Erfolg. (Foto: Leonhard S auf Pixabay)

Seit einem Jahr klagen junge Menschen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung. Sie fordern ein Klimaschutzgesetz, das ihre Grundrechte schützt. Die Politik reagiert mit einer Stellungnahme, die den Klägern nicht weit genug geht.

13.02.2021 – Gestern vor einem Jahr haben neun junge Menschen aus Deutschland im Alter zwischen 15 und 32 Jahren eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie fordern von der Bundesregierung wirksame Klimaschutzmaßnahmen zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius – ansonsten sehen sie ihre Grundrechte in Gefahr. Unterstützt wird die Klimaklage von Greenpeace, Germanwatch und Protect the Planet.

Es ist die junge Generation, die unter den Konsequenzen der Klimakrise am meisten zu leiden hat. Deswegen seien ihre im Grundgesetz verankerten Rechte in Gefahr, wie zum Beispiel das Recht auf Eigentum oder auf freie Wahl von Beruf und Arbeitsplatz, argumentieren die Klägerinnen und Kläger. Ganz zu schweigen vom Recht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit, das durch die Folgen der Klimaerwärmung wie etwa Hitzewellen, Überflutungen und Stürme immer mehr gefährdet wird.

In der Reihe der Klägerinnen und Kläger befinden sich sieben Jugendliche und junge Erwachsene aus unterschiedlichen Bauernfamilien. Sie hatten zusammen mit Greenpeace bereits vor mehreren Jahren die Bundesregierung auf die Einhaltung des Klimaziels 2020 verklagt. Für sie werden die Wetterextreme und -veränderungen zunehmend existenzbedrohend, weswegen sie sich der aktuellen Klimaklage erneut angeschlossen haben. Weitere Klägerinnen und Kläger sind Luisa Neubauer, Mitbegründerin der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung, und Lueke Recktenwald, der von der Nordseeinsel Langeoog stammt und die Folgen der Klimakrise besonders stark zu spüren bekommt.

Verfassungsgericht mit Klagewelle konfrontiert

Doch mit der Verfassungsbeschwerde sind die neun jungen Menschen aus Deutschland nicht allein. Eine weitere Klage gegen das 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz der Bundesregierung wurde fast zeitgleich von 25 Klägerinnen und Klägern aus Deutschland, Nepal und Bangladesch eingereicht – mit Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

In Bangladesch und Nepal würden die Menschen schon seit Jahren unmittelbar unter den Folgen des Klimawandels leiden. So schmelzen nicht nur große Teile der Gletscher im Himalaya, es gibt auch immer öfter Überschwemmungen, Dürreperioden und Extremwetterereignisse wie Hagel- und Wirbelstürme. Immer häufiger sind dadurch auch die Ernten und damit die Lebensgrundlage der Bevölkerung in Gefahr. Oder noch schlimmer: Das Leben der Menschen selbst.

„Erst im Mai 2020 hat der Super-Zyklon Amphan in Bangladesch und Indien viele Menschen das Leben gekostet und katastrophale Schäden verursacht. Betroffen waren auch einige der Klägerinnen und Kläger, mit denen ich gemeinsam die Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht habe“, sagt Yi Yi Prue, Rechtsanwältin und Beschwerdeführerin aus Bangladesch. „Wir sind jetzt von der Klimakrise betroffen, deshalb müssen vor allem die Industriestaaten wie Deutschland jetzt etwas dagegen tun, um weitere Katastrophen zu verhindern.“

Insgesamt ist in den letzten Jahren eine regelrechte Welle von Klimaklagen auf die Verfassungsrichter zugerollt. Bereits 2018 hatte ein Bündnis Beschwerde gegen die unzureichende deutsche Klimapolitik eingereicht.

Deutschlands Einfluss auf den Klimawandel sei begrenzt

Inzwischen haben Bundesregierung und Bundestag auf die Verfassungsbeschwerden der jungen Menschen reagiert und eine Stellungnahme veröffentlicht. Sie vertreten darin die Auffassung, dass die Beschwerden unzulässig und unbegründet seien. Die Bundesregierung belässt es bei einer eher allgemeinen Ausführung, der Bundestag nimmt zumindest eine ausführliche Prüfung der Zulässigkeit vor.

Sie sind sich jedoch darin einig, dass Deutschland allein keine Schuld zugewiesen werden könne. Der Klimaschutz müsse als globales und kumulatives Phänomen betrachtet werden. Eine „isolierte Betrachtung von nationalen Ansätzen“ sei nicht möglich. Die Bundesrepublik habe aufgrund des geringen Emissionsanteils von Deutschland nur begrenzte Möglichkeiten, den weltweiten Ausstoß von Treibhausen zu reduzieren.

Auch sind sich Bundestag und Bundesregierung einig, dass sich aus dem Paris Klimaabkommen von 2015 keine Erfolgspflicht ableiten ließe. Die Vertragsparteien seien lediglich dazu verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Gegenüber der Bevölkerung bestünde zwar eine Schutzpflicht für die Bundesregierung, es gebe aber keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die Sicherung konstanter klimatischer Rahmenbedingungen.

Stellungnahme der Bundesregierung nicht ausreichend

Daraufhin haben die Klägerinnen und Kläger am Mittwoch ebenfalls eine juristische Stellungnahme beim Verfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Darin verleihen sie ihrer Kritik Nachdruck, dass die Ziele und Maßnahmen des Klimaschutzgesetzes nicht ausreichen, um ihre Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie auf Berufsfreiheit und Eigentum vor den Folgen der Klimakrise zu schützen. Außerdem lassen sich so die Verpflichtungen aus dem Pariser Klima-Abkommen nicht erfüllen.

Da die Klimakrise mit schnellen Schritten voranschreitet und Treibhausgasemissionen nicht ausreichend stark sinken, bitten die jungen Menschen das Bundesverfassungsgericht um eine rasche Prüfung der Beschwerden und ein Urteil, ob das Klimaschutzgesetz verfassungskonform ist.

„Bundesregierung und Bundestag sind wichtige Antworten schuldig geblieben“, sagt Rechtsanwältin Roda Verheyen, die zusammen mit Remo Klinger die Klägerinnen und Kläger der deutschen Verfassungsbeschwerde vertritt. „Das eigene Bekenntnis zu den Erkenntnissen des Weltklimarats und damit einer maximalen Temperaturerhöhung von 1,5 Grad steht im Widerspruch zum Klimaschutzgesetz. Gerichte in den Niederlanden und Frankreich haben es schon deutlich gesagt: Es gibt Schutzpflichten und jeder Staat muss seinen Anteil leisten. Das Verfassungsgericht hat es jetzt in der Hand und muss dem deutschen Gesetzgeber Leitplanken für effektiven Klimaschutz vorgeben.”

Grundrecht auf ökologisches Existenzminimum

„Es gibt ein Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum“, betont auch Remo Klinger. „Klimaschutz ist deshalb Grundrechtsschutz. Jeder Tag ohne ausreichenden Klimaschutz ist ein verlorener Tag.“

„Meine Generation geht seit Monaten für mehr Klimaschutz auf die Straße. Die Regierung unter Angela Merkel schafft bisher trotzdem kaum mehr als leere Versprechen in Sonntagsreden“, sagt Linus Steinmetz, Beschwerdeführer der internationalen Verfassungsbeschwerde und bei Fridays for Future aktiv. „Wenn die Bundesregierung von sich aus nicht in der Lage ist, konsequenten Klimaschutz umzusetzen, muss sie gerichtlich dazu verpflichtet werden.“

Dass Klimaklagen Erfolg haben können, zeigte zuletzt eine Entscheidung des Pariser Verwaltungsgerichts in Frankreich. Hier hatten mehrere Umweltorganisationen den französischen Staat wegen Untätigkeit beim Kampf gegen die Klimakrise verklagt. Das Gericht entschied daraufhin, dass die Regierung für ihre mangelhafte Klimaschutzpolitik verantwortlich sei und handeln muss. Ob das Verfassungsgericht in Deutschland ähnlich entscheidet, muss sich jedoch erst zeigen. jk


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Kommentare

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Hermann Schmidt 16.02.2021, 18:25:09

Für mich ist die Rechtslage klar, weil der erhobene Anspruch bis ins Detail mit allen diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen konform ist. Eine Klageabweisung oder auch nur weitere Verschleppung durch das angerufene Gericht, hätte ein politisches Gerüchlein, vor dem sich all diese Institutionen hüten sollten. Kurz: Die Klage zu verwerfen, also nicht einmal zum Gegenstand einer Verhandlung zu machen, wäre Unrecht.


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