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Corona-HilfspaketEU-Gipfel kürzt beim Klimaschutz

Emmanuel Macron und Angela Merkel beim EU-Sondergipfel mit Mund-Nase-Bedeckung.
Es war der zweitlängste Verhandlungsmarathon, den die europäischen Regierungschefs, wie Emmanuel Macron und Angela Merkel, auf EU-Ebene für eine Einigung durchmachten. (Bild: @European Union)

1,8 Billionen Euro umfasst das gemeinsame Corona-Hilfspaket der EU-Staaten. Mit harten Bandagen wurde um die Verteilung der Gelder und Auflagen gerungen. Klima- und Umweltschutz mussten darunter leiden.

22.07.2020 – Erstmals nimmt die Europäische Union gemeinsam Schulden auf. Ein historischer Moment, der im Umfeld des französischen Präsidenten Emmanuel Macron schon mit der Einführung des Euro verglichen wird, wie Zeit Online berichtet. Das Prinzip der gemeinsamen Schuldenaufnahme schweißt zusammen. Das gemeinsame EU-Budget zur Überwindung der Corona-Krise bis 2027 beträgt über 1,8 Billionen Euro. Um die Höhe der Mittel und Verteilung der Gelder wurde vier Tage lang hart gerungen.

Die EU-Staaten dürfen nun die Vergabe ihrer Mittel selbst regeln. Lediglich eine qualifizierte Zweidrittelmehrheit des Europäischen Rates könnte gemeinsam gegen die Vergaben angehen, wenn sie diese für nicht regelkonform hält. Auch die Bedingung der Rechtsstaatlichkeit für die Vergabe von Mitteln kann nur mit einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit von 55 Prozent der EU-Länder mit 65 Prozent der Gesamtbevölkerung angegangen werden.

Neben Ungarn verstößt auch Polen wiederholt gegen rechtsstaatliche Prinzipien der EU. Die beiden Länder können nun lediglich mit einer Zweidrittelmehrheit von der Vergabe bestimmter Gelder abgehalten werden. Polen verhinderte darüber hinaus, dass sich das Land für die Vergabe der Mittel zum Ziel der Klimaneutralität 2050 verpflichten muss. Das Land hat sich bisher als einziger Staat der EU nicht zu diesem Ziel verpflichtet. Zumindest stimmte Polen auf dem EU-Gipfel Schlussfolgerungen zu, die Klimaneutralität bis 2050 als Ziel definieren.

Von den 1,8 Billionen Euro die zwischen 2021 und 2027 ausgezahlt werden sollen, gelten 750 Milliarden als direkter Hilfsfonds zur Eindämmung der Folgen der Corona-Krise, wovon 390 Milliarden direkte nicht zurückzuzahlende Zuschüsse an die Länder sind. Bedingung des Hilfsfonds ist, dass 30 Prozent der Investitionen in den Klimaschutz gehen, etwa in Erneuerbare Energien, öffentlichen Verkehr, Elektrifizierung und Gebäudeisolation. Zu wenig und zu schwammig, wie Klimaschützer kritisieren.

30 Prozent sind zu wenig

Das 30 Prozent-Ziel für „grüne“ Ausgaben sei zu gering, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Mindestens 40 Prozent wären notwendig gewesen, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Auch Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland erklärt, dass 30 Prozent nicht ausreichen, um ein Klimaschutzziel von mindestens 55 Prozent bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen – „vor allem wenn nicht konsequent Ausgaben für ein fossiles ‚Weiter so‘ gestoppt werden.“ Die weitere Finanzierung von Gas-Projekten mit EU-Geldern etwa stößt bei Klimaschützern auf Unverständnis. Auch klimaschädliche Verkehrsprojekte könnten mit den Hilfsgeldern finanziert werden.

Es fehlen konkrete Kriterien hinsichtlich der klimaschutzfreundlichen Verwendung der Mittel, kritisiert Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie. „In der vorliegenden Form erreicht das Paket keinesfalls das Ziel einer zukunftsweisenden Krisenbewältigung. Hier verstreicht eine großartige Möglichkeit, der europaweiten Energiewende einen kräftigen Schub zu geben“, so Peter weiter. Es fehle vor allem eine einheitliche EU-Taxonomie, kritisiert der WWF. Um dieses Regelwerk für nachhaltige Finanzen wird auf EU-Ebene nach wie vor gestritten. Gas und die Atomkraft sind noch nicht von Investments ausgeschlossen.   

Neben zu geringen und schwammigen Kriterien wurden im finalen Corona-Hilfspaket sogar ursprünglich vorgesehene Gelder für den Klimaschutz, die die EU-Kommission noch vorgeschlagen hatte, wieder gestrichen. Der sogenannte Just Transition Fund wurde erheblich gekürzt. Zum Leidwesen von Regionen, deren Wirtschaftsstruktur es erschwert, die Klimaschutzziele der EU zu erfüllen. Vor allem Kohleregionen in Polen und Griechenland, aber auch Deutschland, leiden darunter.

Statt 30 Milliarden Euro erhalten diese voraussichtlich nur noch 10 Milliarden für einen gerechten Strukturwandel.  Auch die Gelder für das Forschungsförderprogramm „Horizon Europe“ wurden gekürzt – von 13,5 Milliarden Euro auf gerade einmal fünf Milliarden. Gelder die vor allem in die Forschung von Digitalisierung und grünen Zukunftstechnologien fließen sollen.

Mit Blick auf die gekürten Mittel erklärt Klimaaktivistin Luisa Neubauer auf Twitter: „Dieser Gipfel zeichnet ein Bild eines Europas, dass weder Bock, noch Bewusstsein für globale Verantwortung, Perspektiven für junge Generationen oder die klimapolitische Vorbildsfunktion dieses Kontinenten hat.“

Industrielle Landwirtschaft wird weiter hofiert

Nicht gestrichen hingegen wurden die Mittel für die Landwirtschaft, die den größten Posten im EU-Budget für die kommenden sieben Jahre ausmachen. 387 Milliarden der 1,8 Billionen Euro werden bis 2027 in die europäische Agrarwirtschaft investiert. Für Deutschland stünden damit im Durchschnitt für die nächsten Jahre 5,5 Prozent mehr Mittel zur Verfügung, frohlockte bereits Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Die Flexibilität der Länder zur Verwendung der Mittel wurde dabei – von aktuell 15 Prozent – erhöht.

Doch wie nach den Regelungen der Europäischen Union fördert auch das Landwirtschaftsministerium vor allem Großbetriebe. Mehr Land bedeutet mehr Geld. Bio-Landwirtschaft ist bei diesen Großbetrieben selten. Ein von Heinrich-Böll-Stiftung, dem BUND und Le Monde diplomatique herausgegebener Agrar-Atlas im letzten Jahr kam zu dem Ergebnis, dass 20 Prozent der Betriebe von 80 Prozent der Gelder profitieren.

Zwar sehen die Gelder für die Landwirtschaft künftig einen Anteil von 40 Prozent vor, der für Klimamaßnahmen zur Verfügung gestellt wird, doch Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings hält dies für „Augenwischerei“. Die Zahlungen an die Betriebe nach bewirtschafteter Fläche bleiben bestehen. Und ein Großteil der Betriebe kann mit viel Geldern der EU weiterhin konventionelle Agrarpolitik betreiben – ohne wirksame Umwelt- und Tierschutzauflagen.

Nachdem der Europäische Rat eine Einigung über die Hilfsgelder beschlossen hat, ist nun das Europäische Parlament am Zug über die Beschlüsse zu beraten und möglicherweise Nachbesserungen vorzulegen. Für zukünftige Generationen seien die bislang ausgehandelten Gelder und Vergabekriterien ein schlechter Deal, so Niebert. „Nun muss das Europäische Parlament klare Kante zeigen für ein zukunftsgerechtes, europäisches Konjunkturpaket, das den Umbau der Wirtschaft beschleunigt.“ mf


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