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KlimapolitikPolitiker zeigen sich offen für Klima-Bürgerrat

Der Eingang des Reichstags mit der Inschrift "Dem deutschen Volke".
„Dem deutschen Volke“ steht am Eingang des Reichstagsgebäudes in Berlin, wo der Bundestag zusammenkommt. Mit einem Bürgerrat könnten Gesetze auch direkt vom deutschen Volke kommen. (Foto: PxHere, Public Domain)

Ein breites gesellschaftliches Bündnis fordert einen Bürgerrat, um in der Bevölkerung Lösungen für die Klimakrise zu erarbeiten. Bundestagsabgeordnete zeigen sich offen. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass Bürger oft weiter sind als gedacht.

27.11.2020 – Hinter der Forderung nach einem Klima-Bürgerrat auf Bundesebene stehen „kumulierte Unterstützerzahlen in Millionenhöhe“, so Heiko Erhardt von Extinction Rebellion. Und tatsächlich steht hinter dem Offenen Brief, den Erhardt gestern an die Vorsitzende des Umweltausschusses Sylvia Kotting-Uhl überreichte, ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen. Neben Extinction Rebellion mit dabei, sind unter anderem Fridays for Future, die Klima-Allianz und der Deutsche Naturschutzring, die beide als Dachverband für eine ganze Reihe von NGOs und Initiativen fungieren, sowie mehrere politische Landesverbände und viele weitere Organisationen.

„Die Menschen erkennen die Kraft, die in dem Ansatz Bürgerrat steckt“, sagte Erhardt. Hinter dem Ansatz steckt die Idee einer losbasierten Versammlung von Bürgern, die einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen und zu bestimmten Themen Forderungen erarbeiten, die in politische Entscheidungen einfließen.

Radikalere Forderungen als gedacht

Das Vorbild für Bürgerräte findet sich in Irland. Gegründet 2016 kam der Tionól Saoránach – zu deutsch Bürgerversammlung – in den folgenden zwei Jahren zusammen, um neben anderen Themen auch über den Klimawandel und Klimaschutz zu diskutieren. Ergebnis waren unter anderem die Forderung nach einer CO2-Steuer und Besteuerung klimaschädlicher Landwirtschaft. Im Juni 2019 folgte aus diesen Forderungen schließlich ein Klima-Aktionsplan der irländischen Regierung.

In diesem Jahr machte der „Convention Citoyenne pour le Climat“ in Frankreich Schlagzeilen. Bekannt als Gelbwestenbewegung gingen ab November 2018 hunderttausende Menschen auf die Straße. Stein des Anstoßes war vor allem eine geplante Ökosteuer die Autokraftstoffe erhöht und damit geringverdienende Pendler übermäßig belastet hätte. Neben gewaltsamen Protesten gab es auch konkrete Forderungen, wie die nach einem Bürgerrat – den Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Oktober 2019 tatsächlich einsetzte.

Im Juni 2020 legte der Rat dann ein 500seitiges Gutachten vor, das zeigte: Die Bürger Frankreichs stehen für eine radikalere Klimapolitik als von vielen gedacht. Sie sind für eine Mobilitätswende, die das Auto und Flugzeuge verdrängt. Auch Landwirtschaft und Industrie sollen weitaus nachhaltiger ausgerichtet und große Konzerne stärker in Verantwortung gezogen werden. Dabei war vielen Ratsmitgliedern anfangs noch nicht bewusst, was Klimaschutz konkret bedeutet. Bei den Treffen referierten Experten und in Kleingruppen wurden die Themen tiefergehend beleuchtet. Erst dadurch sei vielen klar geworden, wie wichtig neue Klimagesetze sind.

Zwar kündigte Macron bereits im Vorfeld an, die Forderungen des Klimarates umzusetzen, doch bislang lässt diese Ankündigung auf sich warten. Ähnlich ist es in Großbritannien, wo ebenfalls ein Klima-Bürgerrat radikale Forderungen für mehr Klimaschutz vorlegte. Großbritanniens Wirtschaftsminister Alok Sharma erklärte lediglich, man werde sich die Empfehlungen anschauen und sehen was man tun könne.

Forderungen sollten in politische Entscheidungen münden

Die Verfasser und Unterstützer eines deutschen Klima-Bürgerrates machen von Anfang an deutlich, dass es „eine klare, transparente und enge Anbindung an den politischen Entscheidungsprozess“ geben müsse. Ergebnisse eines Bürgerrates sollten dem Parlament in möglichst direkt umsetzbarer Form wie Gesetzesvorschläge oder Maßnahmenempfehlungen vorgelegt werden. Bei einzelnen weitreichenden Maßnahmen könnten auch Volksabstimmungen auf Bundesebene durchgeführt werden.

Begleitet werden müsste der Rat durch umfassende Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz. Tabea Hosak, die als Teil von Klima-Mitbestimmung JETZT den Aufruf mit organisiert hat, weist darauf hin, dass die Klimakrise in unserer Gesprächskultur ebenfalls ein Problem darstellt. Bei Fragen der Klimakrise bestehe die Gefahr, dass sich das Land spaltet. Ein Klimarat als ein Ort, an dem die unterschiedlichsten Menschen konstruktiv diskutieren, könne die Gemeinschaft wieder zusammenbringen, so Hosak. Dies müsste dann auch nach außen getragen werden.

Bundestagsabgeordnete zeigen sich offen

Sylvia Kotting-Uhl erklärte bei der Überreichung des Offenen Briefs: „Ich bin Ihnen dankbar für dieses Konvolut, weil Politik leider so gestrickt ist, dass sie oft Angst hat ihren Bürgern mehr zuzumuten.“ Dies zeige der Regierung jedoch, dass die Gesellschaft längst viel weiter ist. „Wir müssen Demokratie fortentwickeln und sie auf mehr Schultern verteilen“, so Kotting-Uhl weiter. Sie versprach den Brief im Umweltausschuss weiter zu reichen und auch an die Bundesregierung zu vermitteln.

Bei einer virtuellen Pressekonferenz zeigten sich auch weitere Bundestagsabgeordnete offen für die Vorschläge des Bündnisses. Lisa Badum von den Grünen erklärte, dass sie vor ihrer Zeit im Bundestag bei der der Arbeit für einen Ökoenergieversorger gute Erfahrung mit Bürgerbeteiligungen bei dezentralen Energieprojekten gemacht habe. Positiv bei einem bundesweiten Bürgerrat sei vor allem, dass Menschen einbezogen werden, die sich sonst weniger für Politik interessieren.

Ralph Lenkert von der Linkspartei und Michael Thews von der SPD berichteten derweil von direkten politischen Erfahrungen mit Bürgerbeteiligungen aus ihrer Zeit als Lokalpolitiker. Bürger seien immer gut informiert und vorbereitet gewesen, so Thews. Und Lenkert verweist auf die erfolgreiche Umsetzung eines Projektes in Jena, dass nur Mithilfe eines Bürgerbeirates zustande gekommen sei, der einen Querschnitt der Gesellschaft darstellte.

Auch Anja Weisgerber von der Unions-Fraktion steht einem Bürgerrat positiv gegenüber. „Mein Ansinnen war schon immer: wir müssen die Bürger mitnehmen“, sagte Weisgerber. Bei Entscheidungen gehe es immer auch darum die Akzeptanz der Bürger zu bedenken. Und Lukas Köhler von der FDP erklärte, dass es einer breiteren Diskussion in der Bevölkerung über Politik im Bundestag bedarf. Bei der Einsetzung eines Bürgerrates sei es im Vorfeld extrem wichtig darüber zu diskutieren, welche Auswirkungen er hat, so Köhler weiter.

Wie geht es weiter?

Damit zu dem Thema eine Anhörung im Bundestag stattfinden kann, hat Klima-Mitbestimmung JETZT eine Petition im Bundestag gestartet. Wenn 50.000 Menschen unterzeichnen, werden die Inhalte der Petition in der Regel im Petitions-Ausschuss angehört. Zugleich ruft das Bündnis dazu auf weiter auf Abgeordnete des Bundestags einzuwirken, damit sich womöglich ein überfraktionelles Bündnis bildet, das die Debatte im Bundestag für einen Klima-Bürgerrat anstößt.

Lorenz Kramer von Extinction Rebellion fordert einen Klima-Bürgerrat so schnell wie möglich einzusetzen und deren Vorgaben dann zwingend in Gesetzesinitiativen fließen zu lassen. „Je länger wir warten desto weniger Handlungsoptionen bleiben uns übrig“, so Kramer. Denn die Klimakrise schreitet voran. mf


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Kommentare

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Friedrich Georg 06.12.2020, 19:42:18

Ein Bürgerrat muss zu allen gesellschaftspolitisch relevanten Themen, die der Zukunftsvorsorge dienen, Stellung beziehen, um der kurzfristig orientierten Politik Entscheidungsalternativen vorzulegen. Das gilt für die Klimakrise ebenso wie die Rentenpolitik und die soziale Schieflage, die durch Corona noch verschärft wird. Ein gesellschaftlicher Konsens ohne Umbrüche ist anders nicht mehr vorstellbar. Dazu gehört m.E. auch ein Gesellschaftsjahr zum Dienst am Nächsten.


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