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Amazonas-RegenwaldFür jeden dritten Baum, der vertrocknet, stirbt ein vierter

Viele helle Flecken in einem dunkelgrünen Gebiet
2018 nahm der Astronaut Alexander Gerst diese Bild des Amazonas-Gebietes von der internationalen Weltraumstation ISS aus auf. „Vor ein paar Jahrzehnten wären diese Fotos noch dunkelgrün gewesen“, so Gerst. Seit dem hat sich die Lage noch einmal deutlich verschlimmert. (Bild: ESA/A.Gerst, CC BY-SA 3.0 IGO, flickr)

Im Amazonas-Gebiet greifen Schäden in einer Region auf benachbarte Regionen über. Das erhöht den Gesamtschaden deutlich, wie eine neue Analyse zeigt. Besonders von den Rändern aus setzen kontinuierliche Rodungen dem Regenwald zu.

08.08.2022 – Ein internationales Team von Forscher:innen hat das Amazonas-Gebiet einer Netzwerkanalyse unterzogen, um die komplexen Abläufe in dem für das weltweite Klima so wichtigen Gebiet besser zu verstehen. Vereinfacht ausgedrückt, lautet das zentrale Ergebnis ihrer Analyse: „Für jeden dritten Baum, der im Amazonas-Regenwald vertrocknet, stirbt ein vierter Baum“.

Um die Details dahinter zu verstehen, ist es erst einmal wichtig, das System Regenwald zu betrachten. Normalerweise produziert der Amazonas-Regenwald einen Großteil seiner eigenen Niederschläge durch ein sich selbst verstärkendes System des Feuchtigkeits-Recyclings zwischen Wald und Atmosphäre. Bei Regen nehmen Boden und Pflanzen das Wasser auf und geben durch Verdunstung und Transpiration einen Großteil davon wieder in die Atmosphäre ab. Dadurch erzeugt der Wald bis zur Hälfte der Niederschläge im gesamten Amazonasbecken.

Doch der Klimawandel sorgt für deutlich weniger Regen, ebenso wie Rodungen im Amazonas-Gebiet die Aufnahme von Wasser für den lebenswichtigen Kreislauf aus Niederschlag und Verdunstung sowie Transpiration verhindern. Die Forscher:innen vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), dem Copernicus Institute of Sustainable Development an der Utrecht University, sowie der Federal University of Santa Catarina und der Universidade de São Paulo in Brasilien haben nun herausgefunden, dass selbst wenn eine Trockenperiode nur eine bestimmte Region des Waldes betrifft, der Schaden um den Faktor 1,3 über diese Region hinausgeht.

Da der fehlende Regen das Wasserrecycling-Volumen stark verringere, wird es auch in den benachbarten Regionen weniger Niederschlag geben, so das Forschungsteam. Dies führe zu Belastungen weiterer Teile des Regenwaldes. „Intensivere Dürreperioden drohen, Teile des Amazonas-Regenwaldes auszutrocknen. Wenn die Walddecke dünner wird, führt das aufgrund des Netzwerkeffekts zu weniger Wasser im System insgesamt und damit zu unverhältnismäßig mehr Schäden“, erläutert Nico Wunderling, Autor und Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Man habe in der Netzwerkanalyse zwar die Auswirkungen von Dürre untersucht, dies gelte aber auch für Entwaldung, so Wunderling weiter. „Das heißt, wenn man einen Hektar Wald abholzt, zerstört man eigentlich 1,3 Hektar.“

Neue negative Rekordwerte

Erst Anfang Juli wurde vermeldet, dass die Abholzung im Amazonas in den ersten sechs Monaten dieses Jahres einen neuen Rekordwert erreicht hat. 3.988 Quadratkilometer wurden gerodet, wie Daten der brasilianischen Weltraumforschungsagentur INPE zeigen – eine Fläche, fünfmal so groß wie New York City. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nahm die Abholung damit um zehn Prozent zu. Dazu kommen neue traurige Rekordwerte an Bränden. 2.906 Brände zählte INPE im Amazonas von Januar bis Juli 2022. Das sind 14 Prozent mehr als im Vorjahr.

Am stärksten gefährdet sind laut den Forscher:innen die südlichen Ränder des Waldes, wo kontinuierliche Rodung für Weideland oder Soja der Belastbarkeit des Waldes schon seit Jahren zusetzt. Besonders dort gibt es bereits ausgeprägte Trockenperioden. Ganze Landstriche könnten komplett zu Savannen oder sogar völlig baumlosen Landschaften werden. Andere Gebiete wiederum sind noch relativ stabil, mit ganzjährigen Niederschlägen. Die Netzwerkeffekte von Trockenperioden seien wahrscheinlich auf bestimmte Gebiete im Südosten und Südwesten des Waldes beschränkt, dort wo der menschliche Einfluss enorm ist, sagt Ricarda Winkelmann, ebenfalls vom PIK. „Wir können also noch viel tun, um den Amazonas zu stabilisieren, denn die Erhaltung des Waldes und der Leistungen seines Ökosystems ist von größter Bedeutung für die Klimastabilität vor Ort und auf der ganzen Welt. Und wir wissen, wie wir das tun können: indem wir den Regenwald vor der Abholzung schützen und die Treibhausgasemissionen rasch reduzieren, so dass eine weitere Erderwärmung begrenzt wird."

Klima- und Umweltschützer:innen blicken daher auch mit Spannung auf die anstehenden Wahlen in Brasilien am 02. Oktober 2022. Unter dem aktuellen rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro hat die Waldrodung seit dessen Amtsantritt 2019 drastisch zugenommen. Seine Regierung strich zudem Klimaschutzmaßnahmen und -ausgaben. Aktuellen Umfragen zufolge führt Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mit Werten von 43 Prozent deutlich vor Bolsonaro, der auf 33 Prozent kommt. Lula wurde 2019 von Korruptionsvorwürfen freigesprochen und kann daher wieder zur Wahl antreten. Doch auch in Lulas Amtszeit zwischen 2003 und 2010 wurden erhebliche Teile des Amazonas Regenwaldes abgeholzt. Im Gegensatz zu Bolsonaro setzt sich Lula inzwischen immerhin öffentlich für einen besseren Schutz des Regenwaldes ein. Eine Einladung an Bundeskanzler Olaf Scholz, im Amazonas-Gebiet selbst über den Schutz des Regenwaldes zu sprechen, erfolgte Ende letzten Jahres. mf


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