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Umweltschutz selber machenWir fasten Plastik

Müllkippe in Malaysia
Aus Deutschland landen jedes Jahres riesige Mengen Plastikmüll auf Müllkippen in Malaysia. (Foto: © Greenpeace)

In den Weltmeeren schwimmen gigantische Plastikstrudel und Mikroplastik sammelt sich sogar in unseren Körpern an. Höchste Zeit für dauerhaftes Plastik-Fasten. Aber wie weit kann man mit herkömmlichen Methoden im Alltag gehen? Ein Selbstversuch.

19.06.2019 – Unseren Abfall trennen wir Deutschen vermeintlich wie die Weltmeister, allein: Es bringt nichts. Das Recyclingsystem funktioniert wenig effektiv und die Bundesbürger produzieren Unmengen Plastikmüll, der oft verbrannt oder exportiert wird. Allein nach Malaysia haben deutsche Firmen nach UN-Angaben im vergangenen Jahr mindestens 100.000 Tonnen Plastikmüll verschifft. Auf einer Müllkippe an einem Fluss nahe der Hauptstadt Kuala Lumpur zeigt sich was das konkret bedeutet. Greenpeace-Rechercheure fanden dort vor einigen Monaten riesige Berge mit britischem, spanischem und deutschem Plastikmüll, der ohne große Umwege in Natur und Meer gelangen kann.

Die Auswirkungen unseres Plastikkonsums sind für alle sichtbar, die sie sehen wollen: Im Juni starb in einem Kanal zwischen Thailand und Malaysia ein Grindwal. Todesursache: Acht Kilo Plastik im Magen. Die Meldung ging um die Welt, nur ein kleiner Aufschrei, mehr nicht. Viele Deutsche glauben, unser Abfall werde ordentlich recycelt, das wahre Problem seien dagegen die Millionen Plastiktüten in Asien und Afrika. Ein Mythos.

Seit 1994 hat sich der deutsche Plastikabfall auf heute 2,4 Millionen Tonnen verdoppelt. Viele Experten schätzen, dass die bisherige Recyclingvorgabe für Kunststoffverpackungen von 36 Prozent nicht eingehalten wird. Mal ist von 17 Prozent die Rede, vielleicht auch weniger, genau weiß es keiner. Seit Anfang des Jahres müssen eigentlich 58,5 Prozent der Plastikverpackungen hierzulande recycelt werden. Der Witz daran: Es gibt jede Menge Schlupflöcher und auch exportierter Abfall gilt als recycelt, solange er zuvor den Weg durch eine Sortieranlage genommen hat.

Höchste Zeit sich zu hinterfragen

Auf Recycling ist also kein Verlass, wir müssen selbst die Plastikflut stoppen und zwar dort, wo wir Einfluss haben: beim Konsum. Deshalb durchleben wir (Ich, Frau, Kind) einen Selbstversuch. Zunächst beobachten wir unser Verhalten und unsere Umgebung. Wir stellen fest: Das Zeug ist wirklich überall. Laptop, Spielsachen, Zahnbürsten, Trinkflaschen. In unseren Fokus geraten besonders Verpackungen und Wegwerfprodukte aus Kunststoffen, Plastikflaschen und Zahnbürsten zum Beispiel. Mit offenen Augen laufen wir durch Supermarkt und Drogerie und sehen nur noch Plastikverpackungen. Es ist kaum möglich, etwas anderes zu finden. Selbst im Biomarkt sind die Regale bis oben hin voll damit.

Haben Sie schon einmal versucht, ein Müsli ohne Plastikverpackung zu kaufen? Vor solchen zunächst einfach erscheinenden Herausforderungen stehen wir. Wir formulieren unsere Mission: Mit herkömmlichen Methoden so viel Plastik einsparen wie möglich. Kein radikales Plastik-Fasten, sondern mit vertretbarem Aufwand.

Müsli von der Abfüllstation

Das Müsli ist ein schönes Beispiel: Ob im Supermarkt, in der Drogerie, im Biomarkt, nirgends findet sich der Frühstücksklassiker ohne Plastikverpackung. Unser Ausweg: Eine regionale Biomarkt-Kette hat kürzlich Abfüllstationen eingeführt. Für Milch, Körner, Trockenobst, Nüsse. Ist man nicht besonders wählerisch, kann man hier sein mitgebrachtes Glas befüllen. Eine Alternative sind Unverpackt-Läden, die mittlerweile in fast jeder deutschen Großstadt Lebensmittel nicht verpackt anbieten. In Berlin mag das funktionieren, aber auf dem Land? Dort wird es wohl deutlich schwieriger.

Wir lassen uns von Schwierigkeiten nicht unterkriegen, immerhin haben wir das Müsli-Problem gelöst. Plastikflaschen kaufen wir ohnehin nur in Ausnahmen, der Wasserhahn zu Hause liefert gutes und billiges Trinken. Zum Wiederbefüllen verwenden wir zwei Edelstahl- und eine Glasflasche. Für den Kaffee unterwegs versuchen wir stets einen Recup zu verwenden, ein Pfandsystem für Coffee-to-go-Mehrwegbecher. Viele Cafés in unserer Umgebung nutzen dieses System bereits und in anderen herrscht kein Unverständnis, wenn wir den Becher über die Theke reichen. Baumwollbeutel oder Rucksack haben wir für den Einkauf meist dabei, zur Not greifen wir zur Papiertüte.

Obst und Gemüse ohne Verpackung sind für uns als Biomarkt erprobte Einkäufer kein Problem, bei Milchprodukten wird es komplizierter. Wir stehen vor dem Kühlregal und überlegen: Lieber den Joghurt im Plastikbecher aus der Region kaufen oder den im Glas vom anderen Ende der Republik? Je tiefer wir in die Recherche einsteigen, desto schwieriger wird es oft, eindeutige Aussage zu treffen. Denn welcher dieser Joghurts die bessere Ökobilanz vorweisen kann, lässt sich nur durch intensive Nachforschungen sagen. Und so viel Zeit hat man vor dem Supermarktregal nicht.

Nicht immer die schlechteste Wahl

Ohnehin kommt mit dem Thema Ökobilanz eine neue Dimension ins Spiel. Uns holt die Frage ein: Ist es für den Klimaschutz nicht manchmal besser auf Plastik zurückzugreifen? Das Thema Joghurt sei ein gutes Beispiel, sagt Katharina Istel. Sie ist Expertin für nachhaltigen Konsum beim Umweltverband NABU und rät zum Kunststoffbecher. „Mehrwegglas ist wunderbar, aber es muss aus der Region kommen“, sagt sie. Durch den oft weiten Transport der schweren Glasbehälter kippe die Ökobilanz. Ohnehin sei Plastik nicht immer die schlechteste Wahl. Dann etwa, wenn die Alternative eine stark und aufwendig bedruckte Pappverpackung ist. Die lässt sich nämlich schwerer oder gar nicht recyceln. „Da ist eine normale Kunststoffverpackung sinnvoller“, sagt Istel. Das oberste Credo müsse ohnehin lauten: Nicht nur Plastikverpackungen vermeiden, sondern jegliche Art der Verpackung.

Das im Hinterkopf schreiten wir mit unserer Mission voran: Waschmittel gibt’s in der Drogerie auch im Pappkarton und Zahnbürsten aus Bambus putzen genauso gut wie die Plastikvariante, zudem in der einfachen Pappschachtel statt in Plastik verschweißt. Statt Duschgel und Shampoo in Kunststoff-Flaschen greifen wir zu festem Shampoo (sieht aus wie ein Stück Seife) und einem Waschstück (sieht auch aus wie Seife). Beides gibt’s in Pappschachteln in der Drogerie zu kaufen, irgendwo gut versteckt zwischen den hundert verschiedenen Plastik-Varianten. Ein weiterer Vorteil: Mikroplastik ist nicht drin.

Gescheitert sind wir an Baumwollwindeln, seitdem müssen es die Einweg-Öko-Windeln aus Viskose und Bambus sein. Wir stellen fest: Wir können noch viel weiter gehen und einige Produkte selbst herstellen: Deo-Creme aus Kokosöl, Natron und Duftöl oder Waschmittel aus Kastanien. In Gläser abgefüllt entsteht kein Verpackungsmüll.

Der Kompromiss

Unser größter Feind ist dabei die Zeit. Es ist einfacher und bequemer viel Plastik zu konsumieren als nach nachhaltigen Alternativen zu fahnden. Auf der anderen Seite: Gerade bei Deo-Creme und Waschmittel aus Kastanien kann man Geld sparen und im Gegenzug die deutlich teurere Bambus-Zahnbürste kaufen. Doch auch ohne selbstgemachtes Waschmittel (die Deo-Creme ist schon angerührt und benutzen wir) haben wir unseren Plastikverbrauch drastisch reduziert, schätzungsweise um die Hälfte bis zwei Drittel. Wir überlegen uns beim Einkaufen genau, zu welchen Produkten wir greifen und wägen ab.

Unseren Plastikverbrauch auf null zu reduzieren, werden wir nicht erreichen. Dennoch sind wir mit relativ wenig Einsatz und kaum Einschränkungen weit gekommen. Für die letzten Meter ist der Aufwand allerdings enorm und – wie wir gelernt haben – oft auch gar nicht sinnvoll. Nach einigen Monaten sind wir überzeugt: Nicht jeder muss seine Deo-Creme selbst herstellen oder auf sein Lieblingsmüsli verzichten. Mit ein bisschen gutem Willen kann aber jeder helfen, die Plastikflut einzudämmen. Clemens Weiß


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