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Atomenergie-DesasterAdieu, liberté nucléaire – Frankreich rechnet mit Stromausfällen

Kühltürme des AKW Cruas im Département de l'Ardèche
Frankreichs wohl bekanntester Kühlturm des AKW Cruas im Département de l'Ardèche vermittelt eine scheinbar heile Zukunft mit Atomkraft. (Foto. Maarten Sepp, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

In den Wintermonaten droht in Frankreich der Stromverbrauch das Angebot zu übersteigen. Mängel und Wartung von Atomkraftwerken führen zu Engpässen. Der Staat trifft Vorbereitungen für regionale Abschaltungen der Stromversorgung.

05.12.2022 – Liberté toujours? Damit ist es hinsichtlich der Energieversorgung in Frankreich längst vorbei. Frankreich als Atomenergieland wähnte sich zu Beginn der Energiekrise zunächst im Vorteil gegenüber anderen EU-Staaten wie Deutschland, die sich massiv von Russlands Gaslieferungen abhängig gemacht haben. Doch nun rechnet die Grande Nation mit Stromausfällen in den Wintermonaten. „Frankreich importiert bereits das ganze Jahr über Strom, jedoch in sehr geringen Mengen, jetzt müssen wir uns auf einen Winter vorbereiten, in dem wir große Mengen importieren werden, weil wir diesen Strom brauchen“, sagt RTE-Chef (Réseau de Transport d’Electricité français) Xavier Piechaczyk im Interview mit dem Radiosender france info.

Dass Atomkraft nicht zuverlässig Energie liefert, zeigte sich bereits im Sommer wieder. Hitzewellen führten dazu, dass zahlreiche französische Atomkraftwerke gedrosselt oder ganz heruntergefahren werden mussten. Die Reaktoren hatten technische Schwierigkeiten oder konnten bei der Hitze nicht ausreichend heruntergekühlt werden, um weiter Strom zu liefern. Im Januar werden nun voraussichtlich nur 65 Prozent des sonst produzierten Atomstroms zur Verfügung stehen. Der französische Netzbetreiber hat angekündigt, dass es in einigen Regionen über das Land verteilt in den kommenden Winterwochen häufiger notwendig werden könnte, den Strom abzuschalten, um einen größeren Blackout zu verhindern –bis zu zehn Mal sind im Gespräch.

EU-Nachbarländer anzapfen

Doch keine Panik, sagt der Herr über die Netze, die Zusammenarbeit in Europa wäre sehr gut. Damit spricht er einmal die Solidaritätsabmachung mit Deutschland an. Ohne Importe aus benachbarten Ländern wie Deutschland, das bereits Ökostrom liefert und dafür Gas erhält, hätte Frankreich schon im Herbst seinen Bedarf nicht mehr decken können. Nun sollen Deutschland, Italien, die Beneluxländer sowie Spanien und Großbritannien Strom zuliefern, kündigte RTE-Chef Piechaczyk an.

Nukleare Energiewende

Das Problem ist hausgemacht. Frankreich hängt zu über 70 Prozent seines Energieverbrauchs am nuklearen Energietropf – und rund die Hälfte der noch in Betrieb befindlichen 56 Atomreaktoren können momentan wegen technischer Defekte und umfassender Wartungsarbeiten nicht oder nur teilweise Strom produzieren.

Frankreich hat im Laufe der letzten Jahre die Energiewende verpasst bzw. verdrängt. Die Grande Nation gehört zu den Schlusslichtern in Europa, was den Ausbau Erneuerbarer Energien betrifft. Die EU-Statistik 2020 machte deutlich, dass Frankreich seine Ausbauziele 2020 für Erneuerbare Energien nicht erreicht hatte. Das Potenzial wäre vorhanden, Sonne satt im Süden – doch weit und breit kein Solardach in Sicht. Genug Platz und viel Wind für Windenergie – doch die Atomlobby ist stark, neue AKW sind geplant und in der EU-Taxonomie hat Frankreich durchgesetzt, Atomenergie als Klimaschutz zu verkaufen.

Départements vor dem Stresstest

Die französische Regierung hat nun bereits die Präfekturen in den Départements angewiesen, Vorkehrungen für das Szenario einer kontrollierten Unterbrechung der Versorgung für jeweils rund zwei Stunden zu treffen. Das bringe erhebliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit sich. Es wären jeweils einige Millionen Menschen von solchen Netzabschaltungen betroffen.

Frankreichs Wärmeversorgung hängt am Strom, mit vornehmlich strombasierten Heizungen. Und auch im Sommer sind die Franzosen nicht zimperlich mit dem Stromverbrauch – dann springen die Klimaanlagen an. Ist ja alles so schön billig – weil subventioniert. Bereits seit letztem Herbst deckelt die französische Regierung die Energiepreise auf eine Steigerung von maximal vier Prozent. Ohne die Unterstützung des Staates wären die Energiepreise bereits explodiert.

Licht aus, App an

Die Präfekturen haben nun die Aufgabe, den gesteuerten Blackout in ihrer Region zu koordinieren. Ähnlich wie in Deutschland gelte die Regel, dass sensible Einrichtungen wie Krankenhäuser, Feuerwehr und Polizeistationen von der Abschaltung ausgenommen bleiben. Öffentliche Einrichtungen wären von den Stromunterbrechungen betroffen, etwa Schulen und Universitäten, aber auch Infrastruktur wie Züge und Metrolinien der Region würden dann zeitweise ausfallen. Auch Ampeln und ein Großteil der Straßenbeleuchtung würden abgeschaltet.

Voraussichtlich würde es jede Region nur einmal in diesem Winter treffen, vermutet Piechaczyk. Droht eine Stromunterbrechung, sollten betroffene Bürger möglichst am Vortag informiert werden – mit der Warn-App ÉcoWatt, die stündlich Auskunft über die Belastung des Stromnetzes gibt und zum schnellen Handeln, also Stromsparen, aufruft. Die Funktionsfähigkeit der Kommunikationsnetze wäre bei einer Unterbrechung der Stromversorgung allerdings nicht gewährleistet. Denn bekanntlich ist auch das Kommunikationsnetz stromabhängig. Man arbeite daher daran, in den betroffenen Regionen die europäische Notfallnummer bereitzustellen, verspricht die Regierung. Allerdings sieht der französische Telefonanbieter Orange das etwas anders und warnt, dass auch Notrufnummern im Falle einer Netzabschaltung nicht funktionieren.

Kampagne zum Stromsparen

So wie Deutschlands Bürger zum Gassparen angehalten sind, rufen Regierung, Netzbetreiber und sogar die Stromversorger Frankreichs Bürger nun zum Stromsparen auf – um gezielte Abschaltungen zu vermeiden. Mit dem plan de sobriété énergétique läuft seit Herbst 2022 eine Aufklärungskampagne, die ein Maßnahmenpaket für private Haushalte, Staatsbetriebe und die Privatwirtschaft vorsieht. Im Vergleich zu 2019 soll der Energieverbrauch in diesem Winter um zehn Prozent sinken. Bislang ist der Verbrauch allerdings nicht mal um ein Prozent gesunken.

Frankreichs Energiesouveränität wankt, Macron mauert

Als Präsident Emmanuel Macron im Jahr 2017 seine erste Amtszeit antrat, versprach er einige Atommeiler bis 2025 vom Netz zu nehmen und den Anteil von Atomstrom zu reduzieren. Kurz darauf ruderte die Regierung zurück. 2021 propagierte Macron, die „Atomkraft neu zu erfinden“ und kündigte deren massiven Ausbau an. Der Neubau von sechs Reaktoren vom Typ EPR II sei beschlossene Sache, weitere acht sollen folgen. Die Laufzeit alter maroder Meiler soll teilweise auf 50 Jahre verlängert werden. Der immer noch im Bau befindliche Druckwasserreaktor Flamanville 3 sollte ursprünglich 2012 ans Netz gehen. Die Baukosten sind mittlerweile von 3,3 Milliarden Euro auf über 12 Milliarden Euro explodiert, ein Desaster folgt dem nächsten.

Die Atomkraft steht für Frankreichs „Souveränität der Energieversorgung“, verteidigt Präsident Macron wie ein Mantra die Energiepolitik des Landes – wie auch schon alle Präsidenten vor ihm. Kein Wunder, denn der französische Staat ist bekanntlich mit 84 Prozent am größten Energieversorger EDF (Électricité de France) beteiligt und hat angekündigt, auch die restlichen 16 Prozent aufzukaufen.

Das Argument der Energieautonomie hat sich jetzt wohl zerlegt. Frankreichs vermeintlich energiepolitische Souveränität gerät weiter in Schieflage. Die französische Tageszeitung Le Monde berichtet, dass auch für einen totalen Blackout schon Konzepte entwickelt werden – dies wäre allerdings höchst unwahrscheinlich, so die Regierung. Ein kompletter Stromausfall könnte jedoch auch das gesamte Stromnetz Europas gefährden, warnen die Netzbetreiber. Nicole Allé


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