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StromerzeugungDie Atomkraft verliert weltweit an Bedeutung

Neubau-Desaster Atomreaktor Flamanville in Frankreich: Bauzeit und Kosten verdreifacht.
Neubau-Desaster Atomreaktor Flamanville in Frankreich: Bauzeit und Kosten verdreifacht. (Foto: © schoella / Wikimedia.Commons, CC BY 3.0)

Nur ein Viertel der in Rente gehenden Atomkraftwerke werden bis 2030 durch neue ersetzt, eine „Renaissance der Atomkraft“ gibt es nicht, sagen Wissenschaftler vom DIW Berlin. Besonders Demokratien scheuen die teure und gefährliche Technologie.

16.03.2020 – Nur die wenigsten der 207 Atomreaktoren, die bis 2030 zurückgebaut werden müssen, weil sie die technische Lebensdauer von 40 Jahren überschreiten, werden ersetzt. Ihnen stehen lediglich 46 Neubauprojekte gegenüber. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Und selbst die wenigen Neubauprojekte sprengen größtenteils Kosten- und Zeitpläne.

Exemplarisch zeigen sich die Probleme mit der Atomkraft am Reaktorneubau in Flamanville, Frankreich. Der dortige Bau des neuen Reaktortyps EPR (Europäischer Druckwasserreaktor) startete 2007, sollte fünf Jahre dauern und 3,3 Milliarden Euro kosten. Nach schweren Pannen beim Bau, fehlerhaften Schweißnähten und Rügen der Atomaufsicht, gab der Betreiber EDF im Juni 2019 bekannt, dass der Reaktor erst 2023 ans Netz gehen und 12,4 Milliarden Euro kosten wird. Im finnischen Olkiluoto, ebenfalls ein EPR-Neubau, haben sich Bauzeit und Kosten ebenfalls verdreifacht.

Keine „Renaissance der Atomkraft“

„Von einer Renaissance der Atomkraft kann nicht die Rede sein. Dennoch ist dieses Narrativ im öffentlichen Diskurs weit verbreitet“, sagte DIW-Studienautorin Claudia Kemfert. Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung sei gering und aufgrund eines überalterten Kraftwerksparks stark rückläufig. Tatsächlich erzeugen Atomreaktoren heute nur noch 10 Prozent des weltweiten Stroms – 1996 waren es noch 17 Prozent.

Laut DIW-Studie bauen derzeit zehn Länder neue Atomkraftwerke, von denen sechs bereits über Reaktoren verfügen. Dazu gehören neben Frankreich, Großbritannien und den USA als westliche Industriestaaten auch China, Indien und Russland. Vier Länder lassen erstmals in ihrem Land ein Atomkraftwerk bauen: die Vereinigten Arabischen Emirate, Belarus, die Türkei und Bangladesch.

Russland verbreitet die meisten Atomreaktoren

Zwar werden in Listen des Atomlobby-Verbands World Nuclear Association (WNA) mehr als 30 Länder aufgeführt, die angeblich kurz vor dem Einstieg in die Atomenergie stehen. Nach Angaben des DIW handelt es sich dabei jedoch nicht um konkrete AKW-Projekte, sondern meist Kooperationsverträge über Atomtechnik.

Auffällig finden die Wissenschaftler, dass Russland in drei der vier neuen Atomenergie-Länder die Reaktoren baut. Einzig in den Vereinigten Arabischen Emiraten kommt das südkoreanische Unternehmen KEPCO zum Zug. Von vier weiteren Ländern, die konkrete Pläne für erste Atomkraftwerke besitzen, ist Rosatom nur in Polen nicht als Lieferant vorgesehen. In Ägypten, Jordanien und Usbekistan liefern die Russen das Knowhow und errichten die Atomanlagen. „Dies wirft Fragen über die Motivation sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite auf“, schreibt das DIW.

Demokratien meiden den Einstieg in die Atomkraft

„Auffallend ist dabei, dass es sich bei den Neueinsteigern um weniger demokratische Staaten handelt“, sagte Studienautor Ben Wealer. Eine Analyse habe ergeben, dass Staaten eher zu den Atomkraft-Newcomern zählen, je geringer demokratische Freiheiten im Land herrschen. Andersherum neigen Staaten mit vielen demokratischen Freiheiten nicht zum Einstieg in die Atomenergie. cw


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