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Energiewende in den USAWie die Republikaner lernen, die Solarenergie zu lieben

USA-Flagge vor Solarpark
Viele Gemeinden, Unternehmen und Privatanwender in den USA erkennen den wirtschaftlichen Nutzen der Solarenergie. (Foto: Ryab Searle, CC0 1.0)

Nirgendwo in den USA gibt es mehr Solarzellen pro Einwohner als in dieser Stadt. Zu verdanken hat sie das ihrem autoritären Bürgermeister. Felix Austen

Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf Perspective Daily.

 

27.07.2018 – Rex Parris ist nicht unbedingt der Typ, von dem man erwarten würde, dass er eine Revolution anzettelt. Er ist Geschäftsmann sowie Republikaner und möchte, dass die Dinge so laufen, wie er es gewohnt ist.

Folgt man seiner Logik, hat die Arbeit, die er in seinen 10 Jahren als Bürgermeister der kalifornischen Kleinstadt Lancaster geleistet hat, aber auch weniger mit Revolution, als vielmehr mit solider Wirtschaftspolitik zu tun. Die Zahlen jedenfalls geben ihm Recht.

Und dennoch hat er mit seiner Politik eine kleine Revolution auf dem Feld der Energiepolitik entfacht, die sich wie ein Lauffeuer ausbreiten könnte. Und nebenbei sowohl Parteifreunden als auch -gegnern eine krachende Lektion erteilt. Er hat im Eilverfahren eine fast perfekte Energiewende hingelegt und seine Stadt zur Solar-Hauptstadt der USA geformt. Die solare Vollversorgung ist nur noch eine Frage von Monaten.

Den Klimaaktivisten hat er demonstriert: Man muss keinen Verzicht predigen und keine Bäume umarmen, um klimafreundliche Politik durchzusetzen. Seiner eigenen Partei, in der noch immer 3 von 4 Menschen nicht daran glauben, dass der Klimawandel in erster Linie menschengemacht ist, hat er so gezeigt: Das funktioniert, damit lassen sich Wahlen gewinnen – und Geld verdienen.

Rex Parrison sagt über sich selbst: „Ich bin vielleicht Republikaner. Aber ich bin nicht dumm.“

„Die Sonnen-Hauptstadt des Universums!“

„Wir haben hier die perfekte Geografie für Solaranlagen“, sagt Kathy Wells, die die Energieprojekte der Stadt koordiniert. Wolken schaffen es nur selten hierher, die Sonne scheint fast immer, und sie scheint mit voller Kraft. Jetzt im Juni steht sie zur Mittagszeit so hoch am Himmel, dass der eigene Schatten unter den Schuhsohlen verschwindet.

Das Project Sunroof von Google, das digitales Kartenmaterial von Städten auswertet und berechnet, welche Dächer für Solaranlagen geeignet sind, erklärt 97 Prozent der Dächer der Stadt für tauglich. Mehr geht fast nirgends.

Die Stadt Lancaster liegt wie ein breiter, dünner Fladen im Staub der Mojave-Wüste. Obwohl sie mit nur 160.000 Menschen ähnlich viele Einwohner zählt wie Darmstadt, erstreckt sie sich über eine Fläche der Größe Frankfurts am Main. Als ich über den heißen Asphalt des Lancaster Boulevard rolle, der mit ein paar kleinen Läden, Cafés und Sitzgelegenheiten das Herz der Stadt bildet, meine ich, in einem winzigen Kaff gestrandet zu sein: Es ist wenig los, das Einzige, was es hier außer Fast-Food-Restaurants reichlich gibt, sind Platz und Sonne.

Dass genau das – die Sonne und der Platz – das Kapital der Stadt ist, hatte der Geschäftsmann Rex Parris erkannt und seiner Stadt im Jahr 2014 eine Photovoltaik-Kur verordnet, die längst Wirkung zeigt. In nur 4 Jahren ist Lancaster zur Sonnenmetropole der USA geworden, in keiner Gemeinde wird mehr Solarstrom pro Kopf erzeugt als hier.

„Schon diesen September rechnen wir damit, unseren gesamten Strom mit Solarenergie decken zu können«, sagt Kathy Wells voller Stolz. „Wir sind selbst ein wenig überrascht, dass das so schnell ging.“

„In vier Schritten zur Solar-Hauptstadt des Universums“

Bis September 2018 sollen genügend Solaranlagen in der Stadt installiert sein, damit diese bei voller Sonneneinstrahlung so viel Strom erzeugen, wie die Stadt zu Spitzenzeiten benötigt. Nachts fließt natürlich nichts. In der zweiten Phase sollen dann so viele weitere Anlagen hinzukommen, dass übers Jahr hinweg dieselbe Menge an Strom produziert wird, wie die Stadt verbraucht. „In Zukunft werden wir auch das Thema Batteriespeicher angehen, damit wir noch mehr unseres eigenen Stroms verbrauchen können.“

Die vier wichtigsten Schritte, die Lancaster zur „Solar-Hauptstadt des Universums“ gemacht haben, wie Rex Parris es nennt, sind:

 

  1. Öffentliche Gebäude: Die niedrig hängenden Früchte bei der Umstellung sind die Dächer, über die die Stadt selbst verfügt. Also ließ Parris das Rathaus, 25 Schulen, 8 Softballfelder, das lokale Baseballstadion und viele weitere öffentliche Gebäude mit über 32.000 Solarpanelen bedecken.
     

  2. Bürokratie: „Früher dauerte es Wochen, bis Hausbesitzer eine Lizenz für eine eigene Solaranlage bekamen“, sagt Kathy Wells. »Rex hat gesagt: ›Das muss in 15 Minuten gehen!‹« So lange dauert heute ein Besuch im Rathaus, an dessen Ende die Lizenz steht. Fast zu kurz, um sich in der klimatisierten Empfangshalle von den 35° Celsius Außentemperatur zu erholen … Über 5.000 Hausbesitzer haben den Gang seitdem gemacht. Zusätzlich machte es Parris für fast alle Bauherren zur Pflicht, auf ihrem neuen Eigenheim eine Solaranlage zu installieren – eine Regelung, die inzwischen in ganz Kalifornien gilt.
     

  3. Effizienz: Die Stadt hat ihren eigenen Strombedarf gesenkt, indem sie etwa die Straßenbeleuchtung auf LED-Technik umgestellt hat. Vor allem aber hat sie einfache, kostenlose Programme im Angebot, die den Einwohnern dabei helfen, selbst Strom zu sparen, etwa durch bessere Fensterisolierungen oder effizientere Elektrogeräte.
     

  4. Verstaatlichung: Die wohl wichtigste Entscheidung des ambitionierten Bürgermeisters war es, die Stromerzeugung in die Hände der Stadt zu nehmen. Während der regionale Stromkonzern nach wie vor die Netze betreibt und die Buchhaltung pflegt, hat die Stadt Lancaster mit Lancaster Choice Energy einen eigenen Stromproduzenten geschaffen, der ausschließlich Solarstrom anbietet. Dank der sogenannten „Opt-out“-Regelung sind alle Stromkunden im Stadtgebiet automatisch Kunden des städtischen Konzerns, können auf Wunsch aber bei ihrem alten Anbieter bleiben. „Vielleicht 5 Prozent haben das gemacht“, sagt Kathy Wells, „warum auch, der neue Tarif ist für die meisten günstiger. Es sind höchstens ein paar ältere Leute, die sagen: Ich war jetzt 30 Jahre Kunde bei diesem Konzern, ich möchte ihm gerne treu bleiben.“

Der mit Abstand wichtigste Faktor im Fall Lancaster ist aber Rex Parris selbst.

„Ich bin vielleicht ein Republikaner. Aber ich bin nicht dumm.“

„Er ist ein wenig autokratisch“, sagt Joseph Cabral, der die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt leitet. »Genau die richtige Menge.“ Er scheint kurz zu überlegen, ob ihm der Satz falsch ausgelegt werden könnte. Dann schiebt er hinterher: „Nun ja, so ist es nun mal.“

„Wenn er das Zimmer betritt und anfängt zu sprechen, zieht er alle in seinen Bann“, sagt Kathy Wells. „Egal ob da Bürger, andere Politiker oder ein Haufen Geschäftsmänner sitzen.“

Seine rhetorischen Fähigkeiten hat Rex Parris vor Gericht erlernt. Er ist politischer Quereinsteiger, hat vor Amtsantritt jahrzehntelang als Anwalt viel Geld verdient und tut das neben seiner Tätigkeit als Bürgermeister bis heute. Auf dem Highway, der durch die Stadt führt, grinst Rex Parris von zahlreichen Plakaten herab, die seine Kanzlei bewerben.
 

„Sein Erfolg ist kein Zufall – Rex bereitet sich bei jedem Fall auf die Verhandlungen vor, indem er die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Überzeugungskünste anwendet. Von der Entscheidung, welche Metaphern er einsetzt, über die Wortwahl bis hin zur Optik wird alles wieder und wieder vor jeder Verhandlung geprobt.“
– Auszug der Internetpräsenz der Parris-Kanzlei – Auszug der Internetpräsenz der Parris-Kanzlei

 

Ein Quereinstieg, der in Deutschland Skepsis und den Verdacht der Käuflichkeit auslösen würde, der ihm aber in seiner Heimat, den USA, und speziell in seiner Partei, bei den konservativen und wirtschaftsliberalen Republikanern, vor allem als Stärke ausgelegt wird. »Der Mann kann mit Geld umgehen; der weiß, wie man verhandelt! Das können wir brauchen! Der ist nicht weichgespült vom politischen Betrieb, der schwafelt nicht lange rum, sondern haut auf den Tisch, wenn es sein muss.« So oder so ähnlich begegnen sie hier Männern wie ihm.

Dass die traditionell konservative und von der republikanischen Partei kontrollierte Stadt Lancaster einen solchen Mann wählt – und 2-mal wiederwählt – ist also keine Besonderheit. Dass der konservative Republikaner Parris hingegen die Solarenergie umarmt und fast seine gesamte Politik darauf ausrichtet, ist umso bemerkenswerter.

Die Republikaner haben enge Verbindungen zur Ölindustrie, die in der Erwartung, ihre Interessen in der späteren Gesetzgebung berücksichtigt zu sehen, Millionen in die Wahlkämpfe pumpt. Im Fall von Donald Trump ging diese Rechnung voll auf: Sein Anfang Juli zurückgetretener Umweltminister Scott Pruitt strich zahlreiche Umwelt-Sicherheits-Standards, die fossile Energieträger gegenüber erneuerbaren benachteiligten. Darunter Standards für den Sprit-Verbrauch von Autos sowie Regeln, die das Entweichen von Methan bei Öl-Bohrungen verhindern sollten. Das bedeutet im Umkehrschluss: Erneuerbare Energien werden – vorsichtig ausgedrückt – in der republikanischen Partei mit Skepsis gesehen.

Ein großer Teil der Millionen floss in den vergangenen Jahrzehnten in öffentliche Stimmungsmache für Kohle und Gas, die als „saubere Kohle“ und unter dem Argument der Unabhängigkeit und Tradition beworben werden. Umfragen zeigen, dass diese Strategie wirkt.


Hier geht es zum konstruktiven Journalismus von Perspective Daily.


Die Republikaner entdecken ihr „grünes“ Herz

In jüngster Zeit wandelt sich jedoch auch unter den Anhängern der Republikaner die Stimmung. Vor allem auf lokaler und regionaler Ebene merken Politiker und Wähler, bei denen nichts von den Öl-Millionen ankommt: Mit Wind- und Solarkraft lässt sich ordentlich Geld verdienen. „Weißt du, die Menschen hier denken auch sehr grün: Dollar-grün!“, sagt Kathy Wells und reibt ihren Daumen an Zeige- und Mittelfinger.

Im tief republikanischen Texas etwa stehen Windkrafträder mit einer Leistung von über 22 Gigawatt – mehr als doppelt so viel, wie alle Atomkraftwerke in Deutschland leisten. Und in Kalifornien und anderen sonnigen, konservativ regierten Bundestaaten macht das Modell Lancaster Schule. Gerade die jüngeren Republikaner sehen kaum Gründe, warum sie sich ein gutes Geschäft für die sturen Überzeugungen der Alten durch die Lappen gehen lassen sollten.

Es zeigt vor allem: Die Republikaner lehnen erneuerbare Energien nicht ab. Sie lieben sie eben nur nicht aus denselben Gründen, wie es die Demokraten tun. Die wirtschaftlichen Vorteile, in die Lancaster seine Sonnenstrahlen gewandelt hat, im Überblick:

 

  • Stadt und Schulen sparen rund 460.000 US-Dollar an Stromkosten – pro Jahr.
     
  • Auch wenn die genaue Zahl schwer abzuschätzen ist, sind wohl über 1.300 Jobs im Solar-Sektor entstanden.
     
  • Die Stadt hat viele Millionen US-Dollar Fördergelder für laufende und künftige Projekte im Energiebereich eingetrieben.
     
  • Die wirtschaftsfreundliche Verwaltung hat weitere Investitionen angezogen, wie etwa den chinesischen Hersteller von Elektrobussen BYD, der im Werk in Lancaster derzeit über 700 Mitarbeiter beschäftigt. 500 weitere Jobs sollen folgen.


Natürlich haben auch die Einwohner nichts gegen den Aufschwung in ihrer Stadt einzuwenden, schon 2-mal haben sie Parris wiedergewählt. Er will noch weitere Konzerne anziehen und Lancaster zu einem »Silicon Valley« für erneuerbare Energien umbauen.

Mit Sicherheit gibt es noch ein paar andere schlaue Republikaner, die sich bei Rex Parris ein paar Dinge abschauen und damit Erfolg haben können. Denn wer das CO2 letztendlich vermeidet, ist dem Klima ziemlich egal. Felix Austen


Die Recherche-Reise wird von der Heinrich-Böll-Stiftung Nordamerika gefördert. Alle Geschichten der Reise werden in den kommenden Monaten bei Perspective Daily veröffentlicht.


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