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WärmewendeDer Abwasserkanal als Energie-Goldgrube

Ein Arbeiter sitzt in einem unterirdischen Kanal und installiert etwas metallenes
Der sogenannte Therm-Liner der UHRIG Gruppe zur Abwasser-Wärmegewinnung. Der kann in bestehenden und neuen Kanälen einfach installiert werden. (Bild: © UHRIG Gruppe)

Erneuerbare Energien stehen quasi endlos zur Verfügung. Während Photovoltaik, Geothermie, Wind- und Wasserkraft allseits bekannt sind und sich immer größerer Nachfrage erfreuen, wird eine weitere nachhaltige Energiequelle bislang kaum genutzt: unser Abwasser.

31.05.2023 – Wärmepumpen sind aktuell viel diskutiert, aber zweifellos unverzichtbar für die Wärmewende und echte Multitalente. Gleich ob die Energiegrundlage nun aus der Erde, dem Grundwasser oder der Außenluft kommt, Wärmepumpen wandeln Umweltwärme in Heizwärme um. Durch Erdwärme gespeiste Pumpen können sogar ganze Quartiere emissions- und brennstofffrei versorgen.

Aber in vielen urbanen Räumen mit dichter Bebauung sind solche umfassenden geothermischen Bohrungen aus verschiedensten Gründen kaum möglich. Was jedoch immer vorhanden und viel leichter zugänglich ist sind Abwasserkanäle, die zigtausende Liter Gebrauchswasser führen. Dieses Abwasser führt erhebliche Mengen Energie mit sich, die genutzt werden kann – schließlich duschen die meisten von uns warm und auch für die Mittagsnudeln muss erst einmal ordentlich Wasser erhitzt werden.

Die hierfür genutzte Energie verschwindet bisher ohne weitere Verwendung im Abfluss und dann im Klärwerk bzw. in unseren Flüssen – das geht besser! Denn diese bisherige Wegwerf-Energie kann wieder aus dem Abwasser entzogen und dann direkt oder noch besser in Kombination mit einer Wärmepumpe für das Beheizen unserer Wohnungen verwendet werden. Quasi ein Energie-Recycling.

Pionier im Bereich dieser Abwasser-Wärmegewinnung ist die UHRIG Gruppe aus Baden-Württemberg: Mit ihrem patentierten modularen Wärmetauschsystem konnten sie seit 2007 europaweit schon über hundert der innovativen Systeme verbauen und sind auch bei einem neuen Projekt des Ökoenergieversorgers naturstrom in Köln-Ehrenfeld Kooperationspartner.

Wärme nutzen, wo sie ist

„Was manche auf den ersten Blick verwundern oder abstoßen mag, birgt tatsächlich ein riesiges Potential“, erklärt Rouven Zeus, Projektleiter bei der UHRIG Gruppe. „Unter unseren Städten fließen Unmengen bereits warmen Wassers aus Haushalten, Industrie und Gewerbe. Diese Energie bleibt bislang meist aber vollkommen ungenutzt. Dabei hat das Wasser in der Regel die perfekten Temperaturen; im Winter hat der Durchfluss meist noch immer über 10 Grad Celsius, während er im Sommer meist nur maximal 20 Grad erreicht und so auch für Kühlvorgänge genutzt werden kann.“

Und nicht nur das, die unterirdische Energiequelle ist nahezu unerschöpflich – insbesondere im urbanen Raum. Deshalb gilt die Energiegewinnung aus Abwasser nach deutschen und europäischen Gesetzen auch zurecht als erneuerbar. Je nach Studienlage wird prognostiziert, dass Abwasserwärme zwischen 5 und 14 Prozent des deutschen Wärmebedarfs im Gebäudesektor decken könnte. Aber wie funktioniert die Wärmegewinnung überhaupt? Wie kommt die Wärme aus dem Kanal in die Haushalte?

Am Anfang war das Rohr

„Alles beginnt mit einem Wärmetauscher, der der Umgebung Wärme entzieht – wie bei anderen auf Wärmepumpen basierenden Systemen“, erklärt Zeus. „Für die Gewinnung von Abwasserwärme bedeutet das, man muss dorthin gehen, wo die Wärme ist: in die Kanalisation. Dort kleiden wir die unterirdischen Rohre mit unseren modularen Wärmetauschsystemen aus.“

Abhängig vom zu erwartenden Wärmebedarf berechnen Fachunternehmen wie die UHRIG Gruppe, über welche Strecke Wärme aus dem über den Tauscher fließenden Abwasser gewonnen werden soll. Bei kleinen Projekten können schon 20 Meter reichen, während Quartierslösungen durchaus Wärmetauscher auf einer Länge von über 100 Metern benötigen. Ob es sich bei den Kanälen um bestehende oder neugebaute handelt, ist bei richtiger Planung irrelevant. „Wichtig ist bei unseren Vorhaben vor allem, dass wir uns mit den örtlichen Stadtentwässerungsbetrieben austauschen. So können wir sicherstellen, dass die Abwasserentsorgung ohne Beeinträchtigung gewährleistet ist und die Kanalnetzbetreiber von Anfang an als Partner mit im Boot sind“, führt Zeus aus.

Ein Trumpf für die Wärmewende

Vor- und Rücklaufleitungen verbinden die im Kanal angebrachten Wärmetauscher mit der zentralen Wärmepumpe des Gebäudes oder Quartiers. Das durch diese Leitungen fließende Wasser oder Glykol-Wasser-Gemisch gibt die aus dem Abwasser entzogene Wärme nun an die Wärmepumpe ab, welche sie nutzt, um das Heizwasser energieeffizient aufs notwendige Temperaturniveau zu heben. „Durch die idealen Vorlauftemperaturen aus dem Abwasser arbeitet die Wärmepumpe besonders effizient und kann mit einer Jahresarbeitszahl von 4 bis 5 durchaus mit einer modernen Erdwärmepumpe mithalten“, freut sich Zeus.

Auch die Wärmegestehungskosten von 7 bis 10 Cent, die er und seine Kolleg:innen bei der UHRIG Gruppe veranschlagen, zeigen, wie konkurrenzfähig Abwasser-Wärme-Konzepte sein können: „Insbesondere in dicht besiedelten Gebieten können diese Innovationen ein echter Trumpf für die Wärmewende sein und diese endlich auch verstärkt in die Städte bringen.“

In der Praxis: Klimaneutrales Quartier in Köln

In Köln-Ehrenfeld zeigt ein neuentstehendes Quartier beispielhaft, was mit gut geplanter Abwasser-Wärmetechnik alles möglich ist: Auf einem brachliegenden Fabrikgelände entsteht dort in den nächsten Jahren ein Wohnquartier für 216 Haushalte und ein Kindergarten. Die Vor-Ort-Energienutzung umfasst neben der Abwasserwärme auch Solarstrom direkt von den Dächern des Quartiers, der dann gemeinsam mit Ökostrom aus dem Netz die Wärmepumpe antreibt. So entsteht  dezentrale, zu 100 Prozent erneuerbare und kostengünstige Wärme.

Die Hauptenergiequelle liegt nur wenige Meter außerhalb des Quartiers – treffenderweise unter der Äußeren Kanalstraße. Auf einer Länge von rund 130 Metern wird ein Wärmetauscher der UHRIG Gruppe dem vorbeifließenden Abwasser Wärme entziehen und diese in die nahe Energiezentrale des Quartiers bringen.

Zwei zentrale Wärmepumpen mit je 262 Kilowatt thermischer Leistung erwärmen das Heizwasser dann auf das nötige Niveau und füllen den 20 Kubikmeter großen Pufferspeicher des Quartiers, der wiederrum das lokale Wärmenetz speist. Bei besonders hohem Bedarf kann eine Power-to-Heat-Anlage zugeschaltet werden, um Spitzenlasten zu decken. Das Trinkwasser wird von dezentralen Wohnungsstationen in den Haushalten nacherhitzt, um bei gleichzeitig geringen Vorlauftemperaturen im Wärmenetz Legionellenbildung vorzubeugen.

„Auch der Strom für unser innovatives Wärmekonzept in Ehrenfeld wird soweit möglich direkt im Quartier selbst erzeugt werden“, erklärt Nadine Busse, verantwortliche Projektentwicklerin bei naturstrom. „Dafür wird auf den Dächern eine Photovoltaikanlage mit einer Gesamtleistung von 98 Kilowatt peak installiert. Dieser Solarstrom wird dann in der Energiezentrale genutzt, überschüssiger Strom hingegen ins Netz eingespeist. Diese Sektorenkopplung stabilisiert den Wärmepreis für die Bewohner:innen und ermöglicht einen hohen Anteil vor Ort erzeugter und genutzter Energie.“

Wenn mal nicht genug Solarstrom im Quartier produziert wird, liefert naturstrom Ökostrom aus dem Netz. So wird sichergestellt, dass die Wohnanlage allzeit zu 100 Prozent erneuerbar mit Wärme versorgt wird.   

„Solche Vorreiterprojekte wie in Köln-Ehrenfeld oder unser Projekt in Berlin am Haus der Statistik sind besonders wichtig, um die Berührungsängste bei Projektentwicklern und lokalen Entwässerungsbetrieben zu nehmen“, erläutert Rouven Zeus von der UHRIG Gruppe. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass solche gut funktionieren Best Practices die kommunalen Partner viel offener für kommende Innovationen macht.“ Finn Rohrbeck

Dieser Artikel erschien zuerst im naturstrom-Blog.


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