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EU-EnergiewirtschaftEuropas Windmarkt vor Konkurrenz aus China schützen

Windkraft, Windenergie, Windrad, China, Gebirge
Chinas Windindustrie bahnt sich schon den Weg nach Europa. (Foto: Luo Lei on Unsplash)

China dominiert den Solarmarkt weltweit. Nun nimmt das Reich der Mitte den Windmarkt in Deutschland und Europa ins Visier. Eine ähnliche Vormachtstellung wie im Solarsektor will die Europäische Kommission mit dem Aktionsplan Windenergie verhindern.

15.11.2023 – Die Situation dürfte Martin Knops selbst am meisten überrascht haben. Auf der Eröffnungsfeier der diesjährigen Fachmesse HusumWind Mitte September sah sich der Technikvorstand des Getriebeproduzenten ZF Wind Power mit wenigen Worten plötzlich in der Rolle des Partyschrecks gedrängt: „Das Herz der Windenergie schlägt in China.“ Mit diesem simplen Satz hatte sich Knops von den Ausführungen der Messe-Verantwortlichen und von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck abgesetzt, die wortreich den Mythos von Husum als „der Wiege der Windenergie und der Suppenküche der Energiewende“ beschworen hatten.

Knops hat aber Recht, und wie: Von den rund 78.000 Megawatt Windkraftleistung, die im vergangenen Jahr weltweit an Land und auf See neu in Betrieb gegangen sind, entfiel nach der traditionellen Markterhebung des Global Wind Energy Council knapp die Hälfte auf China. Damit nicht genug: In Windturbinen, die heute in Europa und Deutschland gefertigt werden, sind zu 60 bis 70 Prozent Komponenten aus dem Reich der Mitte eingebaut. Gleich neun der weltweit 15 größten Windturbinenhersteller kommen nach einer Studie des britischen Analystenhauses Wood Mackenzie aus China.

Auch das ist nicht unwichtig: Chinesische Windturbinen kosten in der Regel nur rund die Hälfte im Vergleich zu den Wettbewerbern aus Europa und Deutschland. Über die Gründe für diese unfassbar große Diskrepanz rätselt die europäische Windbranche.

Starker Wind aus China

Dass Chinas Windschmieden bei dieser Dominanz und durchaus üppigen Fertigungskapazitäten im eigenen Land den europäischen Windmarkt zunehmend ins Visier nehmen, liegt nach ersten Vertriebserfolgen in Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten auf der Hand. Der Anfang ist gemacht: „In Europa haben chinesische Hersteller 2.800 Megawatt Windkraftleistung bereits installiert oder sind in der Projektierungsphase“, berichtete Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer von VDMA Power Systems, auf der Husumer Windmesse.

Eine Zahl, die der Europäische Branchenverband WindEurope auf Anfrage bestätigt. Danach laufen bereits in Frankreich, Italien, Schweden, Serbien und Rumänien Windparks mit chinesischen Herstellernamen auf den Gondeln. Weitere Projekte sind unter anderem in Großbritannien, Griechenland und erneut Serbien in Vorbereitung. Allein in dem Balkanstaat plant der italienische Projektentwickler Fintel Energija einen Windpark mit einer Leistung von rund 854 Megawatt (MW), bei dem 112 Anlagen des chinesischen Herstellers Zhejiang Windey mit jeweils knapp 7,7 MW Leistung vorgesehen sind.

Chinesischer Windmarkt drängt nach Deutschland

Dass in absehbarer Zeit auch in Deutschland, Europas größtem und wichtigstem Windmarkt, Windturbinen aus chinesischer Produktion errichtet werden, dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein. Den Türöffner könnte Sany Renewable Energy Ltd. (Sany RE) machen. Das Tochterunternehmen eines Baumaschinenkonzerns, der in Deutschland seit 2011 eine eigene Dependance in Bedburg westlich von Köln hat, wird im Ranking von Wood Mackenzie für das vergangene Jahr als weltweit neuntgrößter Windturbinenhersteller gelistet.

Warum der deutsche Windmarkt in den Fokus von Sany RE gerückt ist, begründet Haijun (Richard) Deng, Geschäftsführer der Sany Europe GmbH, so: „Angesichts der Ausbaupläne der Bundesregierung für die Windenergie an Land bis zum Jahr 2030 gehen wir davon aus, dass die bisherigen Hersteller in Deutschland diese Volumina allein nicht schaffen.“ Das Habeck-Ministerium sieht eine Verdopplung der heutigen Windkraftleistung auf 115.000 Megawatt bis Ende dieser Dekade vor.

Die Leistung steigt

Nachdem Sany RE im vergangenen Jahr auf der Windmesse in Hamburg präsent war, gab es auf der HusumWind einen nicht zu übersehenden Stand – was als Ausrufezeichen für sich spricht. Mit nach Nordfriesland hatten die Chinesen die Ankündigung für eine neue Plattform in der Größenordnung zwischen 8 und 10 MW bei einem Rotordurchmesser zwischen 214 und 230 Metern gebracht, die ein weiteres technologisches Upscaling zulässt.

Dabei soll es nicht bleiben. Deng deutete an, dass die Sany-Ingenieure bereits eine 15-MW-Maschine entwickeln. Schon die 10-MW-Anlage wäre die größte Onshore-Windturbine in Europa und Deutschland. Was aber noch Zukunftsmusik ist: Für den Markteintritt in Westeuropa setzt Sany RE im ersten Schritt auf seine bewährten Windturbinen der 5- und 6-MW-Klasse.

Subventionierter Markteintritt

Beim reinen Vertrieb in Europa wollen es die Chinesen aber nicht belassen. Es gibt Überlegungen für eine eigene Fertigungsstätte. „Wir prüfen derzeit vier Standorte“, lässt Deng durchblicken. Er selbst, der seit sieben Jahren im Rheinland lebt, macht aus seinen Sympathien für ein Werk in Deutschland keinen Hehl. Sollte das nicht klappen, dürften, wie zu hören ist, Standorte in Spanien und der Türkei in den Fokus rücken.

Da heimische Banken bislang noch keine Windprojekte mit chinesischen Anlagen finanziert haben, ist absehbar, dass Sany RE für die ersten Windparks großzügige, staatlich unterstützte Finanzierungsbedingungen mitbringen wird. Sprich, die Chinesen werden mit niedrigen Preisen hierzulande punkten wollen. Was die europäische und deutsche Windindustrie zum ungünstigsten Zeitpunkt trifft.

Die Inflation, steigende Kosten, höhere Kreditzinsen, Lieferketten-Probleme und lange Genehmigungsverfahren setzen Vestas, Nordex, Enercon & Co seit geraumer Zeit zu. Siemens-Gamesa-Chef Jochen Eickholt fasste die Lage der Windkraft-Industrie während einer Gesprächsrunde auf der Husumer Windmesse so zusammen: „Wir schreiben alle miteinander rote Zahlen.“

Auch Indien drängt auf den europäischen Markt

Konkurrenz dürfte Europas Windindustrie auf dem eigenen Heimatmarkt demnächst nicht nur aus China bekommen, sondern auch aus Indien. Die Husumer Windmesse nutzte die WindGuard Certification GmbH, um dem indischen Hersteller Adani New Industries Limited die abgeschlossene Typenzertifizierung für dessen 5,2-MW-Anlage zu überreichen, sozusagen die Eintrittskarte für die Serienproduktion.

Zuallererst wolle Adani seine neue Windturbine in die USA exportieren, bekannte Technik-Vorstand Milind Kulkarni in Husum. Europa und damit Deutschland seien aber ebenfalls „Zielmärkte“. Wenn es dazu kommt, dürfte Adani keine Schwierigkeiten haben, preislich mit den europäischen Windturbinenhersteller mitzuhalten. „Unsere Komponenten kommen zu gut 60 Prozent aus Indien“, sagte Kulkarni.

Aktionsplan Wind – EU schnürt ein Wind Energy Package

Die Aussichten, sich demnächst im Windsektor mit Konkurrenz insbesondere aus China vor der eigenen Haustür messen zu müssen, haben die Alarmglocken bei der EU-Kommission in Brüssel schrillen lassen. Zu groß ist die Angst, nach der Solar- auch bei dem Zukunftsenergieträger Windenergie massiv vom Reich der Mitte abhängig zu sein. Zur großen Überraschung der Windindustrie kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte September in ihrer State of the Union-Rede – oft genug eine Ansammlung von Allgemeinplätzen – ein konkretes Wind Energy Package an.

Noch größer war die Überraschung, dass dieser Aktionsplan bereits fünf Wochen später mit Empfehlungen und Appellen an die 27 EU-Mitgliedsländer vorlag. Danach drängt die Kommission beispielsweise nicht nur auf wesentlich schnellere, am besten digitalisierte Genehmigungsverfahren für neue Windparks, sondern stellt auch über ihren Innovationsfonds Fördergelder für neue Produktionswerke in Aussicht.

Auch sollen interessierte Unternehmen, sowohl die klassischen Windturbinenhersteller als auch ihre Komponentenzulieferer, schneller  vergünstigte Kredite von der European Investment Bank (EIB), vergleichbar mit der KfW Förderbank auf europäischer Ebene, für ihre Vorhaben erhalten. Auch wenn noch keine konkreten Förderbudgets bekannt sind, bewegt sich Brüssel in die richtige Richtung: Denn mit den heutigen Fertigungsstätten allein, das wissen die Experten in der Kommissionszentrale, sind die ambitionierten EU-Klimaziele nicht zu erreichen.

Game-Changer für Europas Windindustrie

Nicht nur deshalb sprach Giles Dickson, Geschäftsführer von WindEurope, von einem möglichen „Game-Changer“ für die europäische Windindustrie. Denn die EU empfiehlt auch weitreichende Änderungen bei den Auktionsverfahren für die Förderung neuer Windparks, bei denen bislang einzig und allein der niedrigste Preis entscheidend für den Zuschlag bei diesen Bieterwettbewerben gewesen ist.

Künftig soll es auch sogenannte „Non-Price Criteria“ geben, wozu beispielsweise die Einhaltung europäischer Standards beim Arbeitsrecht, Umweltschutz und Cyber-Sicherheit oder ein fester Anteil an europäischer Wertschöpfung zählen könnten. Die Einzelheiten dazu will die Kommission zusammen mit den Mitgliedsländern und der Windindustrie bis Ende dieses Jahres in einer Wind Energy Charta abgestimmt haben, lautete die Ankündigung aus der letzten Oktoberwoche.

Ob und wie schnell die Bundesregierung diese Neuerungen im Auktionsdesign umsetzt, ist derzeit offen. Deshalb könnte es gut sein, dass Richard Deng von Sany Re zwischenzeitlich erste Windturbinen in Deutschland verkauft und ans Netz bringen wird. Ralf Köpke


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Kommentare

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Andres 15.11.2023, 22:45:13

Hm, zwei Seelen wohne ach in meiner Brust.

 

Dass deutsche Ingeniurstechnik nicht auch langfristigen den verdienten Gewinn einfahren kann, den Gewinn für das überwältigende Mass an deutschen Investition, ist sehr sehr schade und ungerecht. Innovator's Dilemma oder Die Revolution frisst mal wieder ihre Kinder.

 

Und andereseits ist die massive Kostenreduktion durch den chinesische Einstieg ein gutes Zeichen für die Energiewende, nicht nur hierzulande, sondern weltweit. Je günstiger, desto massiver, und massiv und weltweit ist leider notwendig, wollen wir die Klimaziele auch realistisch noch erreichen.

 

Deswegen möchte ich den Ingenieuren, die hart dafür gearbeitet haben, dass Erneurbare in die profitable Zone gekommen sind, Respekt zollen und dafür danken. Hätten diese nicht an die Technik geglaubt, als sie noch unprofitabel war, würden wir heute immer noch denken, Atomenergie wäre soviel biliger, und Kohlestrom zwar dreckig und ungesund, aber unverzichtbar.

 

Danken möchte ich auch denjenigen Politikern, die entgegen vieler Wiederstände aus Wirtschaft und Politik, Anschubmodelle wie das EEG ins Leben gepushed haben. Ohne das EEG hätte sich der jetzt existierende Markt so ganz sicher nicht oder erst viel viel später bilden können.

 

Wollen wir hoffen, das chinesische Firmen ihren Ankündigungen, hierzulande Produktionskapazitäten aufzubauen, auch in die Tat umsetzen. Und wir vielleicht mal umgekehrt das Wissen importieren können, wie man das ganze so viel günstiger produziert. Mal abgesehen von Lohnsenkungen, natürlich.

 

Alles andere, als die großen Turbinen auch hier vor Ort zu produzieren, würde auch ökologisch sehr viel weniger Sinn ergeben.


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