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Die Meinung
21. April 2020

Wie wir die Klimakrise während Corona mitdenken können

Trotz Corona duldet die Klimakrise keinen Aufschub. Doch die Brisanz der Klimakrise ist im Vergleich zur Corona-Pandemie leichter zu unterschätzen und zu verdrängen. Dabei zeigt die aktuelle Pandemie: mit angemessener Krisen-Kommunikation können selbst umfassende staatliche Eingriffe von einer breiten Mehrheit akzeptiert werden.

Lea Dohm, Psychotherapeutin und engagiert bei Psychologists for Future

Lea Dohm, Psychotherapeutin und engagiert bei Psychologists for Future
Profilbild von Lea Dohm
Bild: © Privat

21.04.2020 – Albert Einstein hat einmal gesagt: „In der Mitte von Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten“. Wie passend, denn mit Corona-Pandemie und Klimakrise haben wir aktuell zwei hochkomplexe Menschheitskrisen gleichzeitig, die internationales Handeln erfordern. Um diese zu bewältigen werden wir ausnahmslos alle, die diese Krisen gleichzeitig wahrnehmen, jetzt gesellschaftlich gebraucht.

Covid-19 veranlasst weltweit Regierungen zu begründeten, schnellen und massiven staatlichen Eingriffen, an die sich die meisten Menschen mit vergleichsweise wenig Widerstand halten. Wie ist das möglich? Auch die zuletzt laut geforderten Maßnahmen für einen ambitionierten Klimaschutz begründen sich doch auf klarer wissenschaftlicher Evidenz, dennoch fanden sie nur völlig unzureichend politische Umsetzung.

Klimakrise und Covid-19 unterscheiden sich in der psychologischen Wahrnehmung

Ein möglicher Erklärungsansatz: Als Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen ist uns gut bekannt, dass die Klimakrise intuitiv und selbst bei gutem Basiswissen flächendeckend unterschätzt wird. Dies hat mit unserer menschlichen Informationsverarbeitung zu tun.

Ein Blick auf unser evolutionäres Bedrohungssystem zeigt, dass es schon als großer Erfolg zu werten ist, dass im vergangenen Jahr überhaupt eine zunehmende Anzahl an Menschen die Gefahr durch die Klimakrise wahrgenommen hat. Dank unseres evolutionären Erbes reagieren wir nämlich bis heute vor allem auf Bedrohungen, wenn sie sich uns darstellen wie ein drei Meter entfernter Säbelzahntiger: Sichtbar, bekannt, direkt gefährlich d.h. hinsichtlich Zeit und Ort unmittelbar, ein einfacher Zusammenhang mit absehbaren direkten negativen Konsequenzen.

Covid-19 ähnelt dem Säbelzahntiger mehr als das Klima es tut: Wir alle hatten in unserem Leben bereits mit Virusinfektionen Kontakt und haben schwere Erkrankungen an uns selbst und Todesfälle im Freundes- und Familienkreis schmerzhaft erlebt. Unter den uns nahestehenden Menschen sind Risikogruppen, die nun durch Corona ganz akut und unmittelbar körperlich gefährdet sind.

Bei der Klimakrise ist das Gegenteil der Fall: Die Folgen bleiben für die meisten von uns hinsichtlich Ursache und Auswirkung sowie Zeit und Ort abstrakt. Bereits das Klima selbst ist für uns erst einmal unsichtbar. Genau genommen ist selbst der Begriff „Klima“ ein Hilfskonstrukt, eine Beschreibung der Gesamtheit unterschiedlicher einzelner Phänomene. Zudem ist das Klima-Problem einmalig in der Geschichte der Menschheit.

Und die besondere Gefahr: Die Klimakrise ist erste Probe und letzte Aufführung zugleich – wir haben keine Zeit zu üben, uns auf sie einzustellen.

Die Leichtigkeit, mit der die Klimakrise nicht wahrgenommen und verdrängt werden kann, ist also mehr als verständlich. Die Abwehrreaktionen, die überhaupt das Thema schon auslöst, sind es ebenso. Es folgen ausgewählte Beispiele, deren Liste sich lange fortsetzen ließe.

Psychische Abwehr der Klimakrise

Viele von uns verdrängen das Problem. Wir denken lieber an die Planung der nächsten Stunden, Tage, Wochen, Jahre oder lassen uns durch Medienkonsum oder belanglose Gespräche berieseln. Wenn wir schon über Probleme nachdenken, dann sowieso gerade eher an unsere Belastungen durch Covid-19, was dieser Lockdown mit unserer Wirtschaft macht oder wie wir uns mit unseren Mitbewohner*innen arrangieren können.

Konkrete Arbeit oder Probleme fesseln unsere Aufmerksamkeit: Immerzu müssen wir uns um unsere Kinder kümmern, unsere Angehörigen pflegen, unsere Finanzen im Blick halten und vieles mehr. Wenn wir dann durch unseren gut gefüllten Alltag schlichtweg gar keine Kapazität dafür haben, uns mit zusätzlichen Problemen zu beschäftigen, dann ist es nur konsequent, dazugehörige unangenehme Gefühle auf Distanz zu halten. Das ist der „finite pool of worries“ – wir haben nur Platz für eine gewisse Menge an Sorgen, der Rest muss warten.

Und es ist wahr: Wer sich das Ausmaß der Klimakrise bewusst macht, bekommt es in der Regel mit vielen unangenehmen Gefühlen zu tun – Ängste, aber auch z.B. Irritation, Hilflosigkeit, Trauer, Wut, Ärger, Schuld und Scham sind typische emotionale Reaktionen. Die haben wir durch Corona gerade eh schon mehr als genug.

Eine weitere Möglichkeit, diese unangenehmen Gefühle abzuwehren, können wir in den sozialen Medien beobachten: In unserer Hilflosigkeit richten wir unseren Ärger einfach auf die unmittelbare Ursache unseres emotionalen Problems - nämlich den „Unglücksraben“, der uns auf das Problem aufmerksam gemacht hat. „Paul, der alte Öko, hat in dieser Hinsicht immer schon übertrieben“, „Die Studien dazu sind doch eh alle gekauft“ oder im Extremfall: „Greta / Herr Drosten ist ein*e Klima- / Corona-Hysteriker*in“.

Passende Botschaften zur Unterfütterung dieses Abwehrmechanismus finden sich im Internet zuhauf.

Schließlich gibt es bei der Klimakrise dann noch einen weiteren Trick unseres Unbewussten: Wenn wir uns doch mal wieder Sorgen machen, können wir uns mit Hilfe des „Single Action Bias“ beruhigen. Interessanterweise reicht nämlich bereits eine einzige klimafreundliche Handlung aus, um uns bereits für einige Zeit wohler zu fühlen - so unzureichend sie auch bezogen auf die Gesamtheit des Problems ist. Wir fühlen uns schon wochenlang besser, wenn wir zum Beispiel sonntags jetzt Fisch statt Fleisch essen. Der Dimension des Problems trägt dies nur leider in keinster Weise Rechnung.

Was es braucht

Wenn eine reale Gefahr vorliegt, kann nur das reale Beseitigen der Gefahr die Angst nachhaltig mindern.

Wir alle haben eine Verantwortung dafür, nachfolgenden Generationen eine Erde zurückzulassen, die mit einem guten und gesunden Leben vereinbar ist. Umso mehr, wenn wir das Privileg psychischer und körperlicher Gesundheit, finanzieller Absicherung oder einer guten Bildung genießen dürfen.

Unsere Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen ist von der Corona-Pandemie völlig unabhängig. Unsere Kinder und Enkel brauchen nun mal eine Erde mit intakten Ökosystemen, vorhandener Artenvielfalt und ausreichenden Ressourcen und Möglichkeiten zur individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung. Sie sollten ohne existenzielle Ängste aufwachsen können, im Vertrauen, dass Ihnen die Erde in gutem Zustand übergeben wird.

Vor den Gefahren, die diese Ziele gefährden, müssen wir die zukünftigen Generationen schützen. Unsere Bequemlichkeit oder psychischen Abwehrstrukturen (die diagnostisch betrachtet durchaus gesund sind) bergen somit erhebliche Gefahren.

In Anbetracht der aktuellen physikalischen Daten reicht individuelles Handeln nicht. Auch wenn wir keine Lust darauf haben: Wir alle müssen uns nun gesellschaftlich einbringen. Es ist aller Ehren wert, mehr Fahrrad zu fahren oder das Waschmittel zu wechseln. Aber wir müssen unsere Komfortzonen verlassen und auch politisch aktiv werden.

Die Corona-Sofortmaßnahmen, die in diesen Tagen und Wochen in hoher Geschwindigkeit beschlossen werden, müssen im Sinne des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit erfolgen.

Wie beim Händewaschen oder #FlattenTheCurve brauchen wir kluge politische Aufklärungskampagnen, die uns allen klar machen: Es geht kein Weg daran vorbei, dass wir hier und heute etwas verändern. Dass wir schnell unsere Treibhausgas-Emissionen verringern und Alternativen zu liebgewordenen Gewohnheiten und Lebensweisen zulassen müssen. Wie beim #MaskenAuf oder #StayAtHome brauchen wir uns gegenseitig als viele einzelne Vorbilder, die uns allen die Sinnhaftigkeit permanent begreifbar machen. Einfach und beharrlich.

Wenn die akuten Veränderungen durch Covid-19 ganz allmählich an Brisanz verlieren und wir uns an sie gewöhnen, entsteht ein Möglichkeitenraum für verwandte, umfassendere Themen. Und in diesen Raum können wir uns mit unserer Stimme einbringen. Im Wiederaufbau nach Corona können grundsätzliche Richtungswechsel hin zu einer nachhaltigen und lebenswerten Gesellschaft möglich werden.

Wir alle, und damit in der Folge auch unsere demokratisch legitimierten Parteien, müssen die zur Bewältigung der Klimakrise notwendigen Schritte identifizieren, klar kommunizieren und deren Umsetzung durchführen. Trotz Corona bleibt die Klimakrise womöglich die größte Aufgabe nicht nur unserer Zeit, sondern überhaupt. Künftige Generationen werden uns am Umgang mit dieser Krise messen.




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