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Nachgefragt
08. November 2016

„Die machen einfach und diskutieren weniger“

Die politischen Entscheidungsträger in China sehen die Energiewende mittlerweile als volkswirtschaftliche Notwendigkeit an. Im Gegensatz zu Deutschland ist eine entsprechende Industriepolitik langfristig angelegt sagt Frank Haugwitz, Director Asia Europe Clean Energy Advisory, der in Peking lebt.

Frank Haugwitz, Director Asia Europe Clean Energy (solar) Advisory, lebt in Peking. (Foto: Haugwitz, privat)
Frank Haugwitz, Director Asia Europe Clean Energy (solar) Advisory, lebt in Peking. (Foto: Haugwitz, privat)

08.11.2016 – Zwischen 2002 und 2009 war Frank Haugwitz mitverantwortlich für die Umsetzung bilateraler Vorhaben im Bereich Erneuerbarer Energien mit Schwerpunkt Photovoltaik. Seit 2010 ist er als unabhängiger Berater tätig. Er berät unter anderem Vertreter der globalen Finanzbranche und ist hauptverantwortlich zuständig für die konzeptionelle Entwicklung der Intersolar Konferenzen im Verbund mit den Intersolar Fachmessen weltweit.

Herr Haugwitz, Negativschlagzeilen über Smogprobleme und Pläne für den weiteren Ausbau von Kohle- und Atomkraft einerseits, positive Nachrichten über einen Rekordzubau von Photovoltaik und Windkraft und ambitionierte Schritte für den Ausbau der Elektromobilität andererseits. Wo steht China bei der Energie- und Verkehrswende?

Chinas Energie - und Verkehrswende steht derzeit mit dem Beginn des 13. Fünfjahresplans (2016-2020) an einem Scheideweg, jetzt werden wichtige Weichenstellungen festgelegt. Angesichts einer schwächer wachsendenden Volkswirtschaft, das heißt bei einem Wirtschaftswachstum von „nur noch 6,5 bis 7 Prozent“ fällt die Stromnachfrage erheblich geringer aus. So wuchs die Stromnachfrage 2015 um lediglich 0,5 Prozent. War es in den vergangenen drei Jahrzehnten, seit der Öffnung des Landes Ende der 1970er Jahre, notwendig alljährlich zig-Gigawatt an neuen Energieerzeugungskapazitäten zu bauen, um die Stromnachfrage der Wirtschaft zu decken, ist das aktuell nicht mehr der Fall. Dies erlaubt es deshalb der Regierung einen graduellen Übergang zu einer Volkswirtschaft einzuleiten, die auf Erneuerbaren Energien basiert. Dieser Prozess wird sicherlich die kommenden zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Wurden in der Vergangenheit mehrheitlich Kohlekraftwerke gebaut um die Stromnachfrage bedienen zu können, so stehen seit fünf bis sechs Jahren die Erneuerbaren Energien an oberster Stelle.

Was hat sich am augenfälligsten verbessert in den vergangenen Jahren?

Vor allem die Einstellung der politischen Entscheidungsträger, dass die Nutzung von Erneuerbaren Energien kein volkswirtschaftlicher Luxus, sondern eine Notwendigkeit ist. Gründe für diese neue Sichtweise sind vielfältig, so China ist der weltweit größte CO2-Emittent und genießt damit kein grünes Image. China will sich als verantwortliches Mitglied der globalen Gemeinschaft positionieren. Ferner natürlich auch rein ökonomische Überlegungen, da sich die Kosten der Nutzung von Erneuerbaren Energien signifikant reduziert haben und mit fossilen Energieträgern teilweise schon wettbewerbsfähig sind. Darüber hinaus die Erkenntnis, dass Erneuerbare-Energien-Technologien auch gut für den Export sind.

Gibt es denn aus ihrer Sicht schon ein schlüssiges, integriertes Gesamtkonzept für eine nachhaltige Energiepolitik und zur CO2-Minimierung?

Bereits im Vorfeld des Klimagipfels im Paris im vergangenen Dezember hat China ein solches Konzept vorgestellt, das neben dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien auch die Forcierung der Energieeffizienz bzw. Energieeinsparung beinhaltet. Ebenso gibt es seit mehreren Jahren innerhalb der chinesischen Regierung interdisziplinäre Arbeitsgruppen die sich dieser Aufgabe widmen, so beispielsweise das China National Renewable Energy Center und das National Center for Climate Change Strategy and International Cooperation.

Wo liegen noch die größten Hürden und Herausforderungen?

Die Umsetzung auf lokaler Ebene. Zum einen liegt es an der mangelnden Kenntnis hinsichtlich der Vorteile von erneuerbaren Energien. So herrscht leider immer noch die Meinung vor, dass deren Nutzung immer noch sehr teuer sei. Dazu kommt die Befürchtung, dass diese keine ununterbrochene Stromversorgung gewährleisten würden und damit die lokale industrielle Produktion gefährdet sein könnte. Darüber hinaus geht in den sogenannten Kohlerevieren und -provinzen die Angst um, dass mit einem Umschalten auf erneuerbare Energien ganze Landstriche arbeitslos werden und dies zu sozialen Spannungen führen könnte. Eine Herausforderung ist auch die existierende Netzinfrastruktur, die mit dem schnellen Ausbau der vergangenen Jahre bei der Windkraft und der Photovoltaik nicht Schritt halten konnte, so dass ein nicht unerheblicher Anteil der erzeugten Strommenge nicht ins Netz eingespeist werden kann.

Wird die Energiewende auch von „unten“ getrieben oder eher von der Zentralregierung?

Die maßgeblichen Impulse kommen sicherlich von der Zentralregierung. Diese ermutigt jedoch schon seit einigen Jahren die lokalen Entscheidungsträger selbst initiativ zu werden. So hat beispielsweise die Stadt Baoding in der Provinz Hebei, zwei Stunden von Beijing entfernt, schon im Jahre 2003/2004 begonnen die Nutzung von erneuerbaren Energien zu unterstützen. Ebenso die Stadt Wuxi in Jiangsu im Zuge der Firmengründung Suntech. Darüber hinaus gibt es zahlreiche lokale Grassroot Organisationen die mit Billigung der Zentralregierung agieren, vor allem was die Umweltaufklärung betrifft. Perspektivisch ist zu erwarten, dass in Zukunft mehr und mehr Verantwortung auf die lokale Regierungsebene übertragen wird, um diese mehr in die Pflicht zu nehmen.

Wie breit ist das Umweltbewusstsein verankert und wird die Umweltsensibilisierung von der Politik gefördert?

Am 1. Oktober 2009, anlässlich des 60 Gründungstages der Volksrepublik China, gab es einen Umzug auf der Straße des Langen Friedens vorbei am Platz des Himmlischen Friedens und verschiedene Umzugswagen hatten entweder Solarpanels, Windmühlen oder Wasserkraftwerke dargestellt. Potentiell wurde dieser Umzug von gut 1,3 Milliarden Menschen gesehen. Unabhängig davon gibt es beispielsweise stadtweit in Beijing großflächige Werbeträger die zum sorgsamen Umgang mit Wasser raten, die eine Low-Carbon Economy propagieren oder die die Nutzung von erneuerbaren Energien anpreisen. Die Tatsache, dass in Beijing derzeit schon 500 Elektrotaxis unterwegs sind, leistet auch einen wichtigen Beitrag.

Im Bereich der Photovoltaik gibt es ja schon seit Jahren Bestrebungen für stärkere verbrauchsnahe dezentrale Erzeugung. Inwieweit sind diese schon umgesetzt? Gibt es schon einen entwickelten Markt für PV-Dachanlagen?

Der Markt für PV Dachanlagen besteht schwerpunktmäßig aus Anlagen für Industrie und Gewerbe. Der klassische Hausdachanlagenmarkt existiert in dieser Form aufgrund der vorherrschenden Siedlungsstruktur fast nicht. So gibt es China kaum Einfamilienhäuser wie beispielsweise in Deutschland. Eine verbrauchsnahe dezentrale Erzeugung wird aktiv seit 2013 gefördert. Während die Einspeisetarife für Freiflächenanlagen in den vergangenen drei Jahren sukzessive nach unten angepasst wurden, blieben sie für dezentrale Anlagen unverändert. Aktuell wird erwartet, dass im Zuge der Formulierung des 13. Fünfjahresplans für Photovoltaik die Möglichkeit geschaffen wird, dass der Erzeuger seinen Stromüberzuschuss direkt an einen Verbraucher verkaufen kann. Neben den klassischen gewerblichen Dachanlagen werden landesweit im Agrarbereich vor allem die Gewächshäuser zur Solarstromerzeugung genutzt. So kann ein Gewächshausbesitzer auch weitere Einkünfte generieren beziehungsweise Ausgaben sparen.

Welche Rolle spielt der Eigenverbrauch von Solarstrom und die Energiespeicherung?

Bislang spielt die Nutzung von Energiespeicherung im Verbund mit Solarstrom eine vernachlässigbar kleine Rolle. Es ist jedoch geplant hierzu im anstehenden 13. Fünfjahresplan Anreize zu schaffen, das heißt eventuell wird es landesweit in ausgewählten Provinzen erste Pilotprojekte geben. Unabhängig davon waren Ende vergangenen Jahres rund 100 Megawatt an elektrischen Energiespeichern installiert, was in etwa einem weltweiten Anteil von zehn Prozent entspricht.

Gibt es hierfür ökonomische Anreize?

Nein, bislang nicht.

Wie wichtig ist die deutsch-chinesische Zusammenarbeit im Bereich nachhaltige Energie- und Verkehrspolitik und Klimaschutz?

Die deutsch-chinesische Zusammenarbeit im Bereich nachhaltige Energie- und Verkehrspolitik und Klimaschutz kann auf eine über 30-jährige Geschichte zurückblicken. Maßnahmen, die von der GIZ umgesetzt und von der KfW finanziert wurden, spielten hierbei eine wesentliche Rolle. Aus chinesischer Perspektive setzt Deutschland bei der Energiewende Maßstäbe, wovon China einiges lernen kann. Der bilaterale Erfahrungsaustausch zwischen Deutschland und China ist meines Erachtens ungemein wichtig.

Was können wir hierbei von China lernen?

Mal etwas platt formuliert, die machen einfach und diskutieren weniger. Ferner das langfristige Engagement, das heißt nicht wie in Deutschland, wo die Politik die Solarindustrie mal kurzerhand am ausgestreckten Arm verhungern ließ. Die fahren hier eine langfristig orientierte Industriepolitik, die ich in Deutschland nicht auf Anhieb erkennen kann.

Das Interview führte Hans-Christoph Neidlein


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