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Nachgefragt
30. März 2021

Entscheidend ist eine starke Gemeinwohlorientierung

Am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa erforscht ein internationales Forschungsteam um den Klimahistoriker Martin Bauch, wie historische Gesellschaften auf veränderte klimatische Bedingungen reagierten und was sich daraus für heute lernen lässt.

Dr. Martin Bauch, Klimahistoriker und Projektleiter am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa

Dr. Martin Bauch, Klimahistoriker und Projektleiter am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa
Bild: Privat

Sie schreiben in einer Studie – erschienen in der Fachzeitschrift Nature – über heftige klimatische Veränderungen im Mittelalter im 13 Jahrhundert. Wie kam es dazu und was waren die Auswirkungen?

Im Jahre 1257 brach auf der heutigen indonesischen Insel Lombok der Vulkan Samalas aus. Erst vor wenigen Jahren hat man anhand von Eisbohrkernen diese Eruption identifizieren können und erkannt, dass es sich um den größten Vulkanausbruch der letzten 2.000 Jahre gehandelt hat. Diese Vulkaneruption hat so viel Schwefel in die Atmosphäre entlassen, dass es in den Folgejahren zu heftigen klimatischen Störungen weltweit kam – unter anderem in Europa.

Was waren die Folgen?

Der Schwefel in der Atmosphäre sorgte für Abkühlungsprozesse und andauernden starken Niederschlägen. Infolge dieser klimatischen Veränderungen kam es zu Ernteausfällen und Hungersnöten. Man nimmt an, dass Massengräber, die in London gefunden wurden, eine indirekte Konsequenz der Samalas-Eruption sind, da viele Menschen durch die Hungersnot geschwächt waren und sich Infektionskrankheiten rasant ausgebreitet haben. Auch in Frankreich und anderen Ländern nördlich der Alpen mussten viele Menschen Hunger leiden.

Besser machten es einige Stadtstaaten in Italien.

Genau. In der Studie habe ich mir die Stadtstaaten Italiens genauer angeschaut. In Quellen erkennt man auch dort mehrere verregnete Sommer hintereinander und einen starken Anstieg der Getreidepreise. Während jedoch Städte wie London, die Bürger Größtenteils sich selbst überließen, fühlten sich die Regierungen von italienischen Städten wie Venedig, Siena, Modena und Bologna ihren Bürgern gegenüber verantwortlich. Man reagierte mit dem Bau von großen Getreidespeichern, das Getreidehandelsnetz wurde deutlich ausgebaut, die Lebensmittelpreise für die Bürger der Stadt wurden niedrig gehalten und neue Gesetze erlassen, die den Zugang zu Ressourcen regelten.

Dabei wurden aber die Bürger der Stadt privilegiert.

Ja, Ortsfremde wurden rausgeworfen, oder auch marginalisierte Gruppen wie Prostituierte vom Zugang ausgeschlossen. Daran kann man sehr gut zeigen, wie solche klimatischen Veränderungen und ihre ökonomischen Konsequenzen bis heute eine Frage von sozialer und rechtlicher Gleichheit beim Zugang zu Ressourcen sind. Trotzdem war dieses Vorgehen im 13 Jahrhundert unglaublich progressiv. Die Idee, dass die Obrigkeit eine Art Daseinsfürsorge für die Bürger sicherstellt, kam in Deutschland erst im 15 Jahrhundert auf. In Italien bildete sich infolge der Samalas-Eruption eine viel größere Resilienz, also Widerstandfähigkeit, der Stadtstaaten heraus als anderswo.

Was können wir aus diesen Erkenntnissen für heute lernen?

Politische, soziale und ökonomische Strukturen sind entscheidend dafür, wie sich historische Gesellschaften an neue Begebenheiten anpassen konnten. Wenn die Gemeinwohlorientierung stark ausgeprägt war, dann hatten Gesellschaften in Krisen sehr viel weniger Todesopfer zu beklagen. Das hat sich auch nach der Samalas-Eruption in Europa immer wieder gezeigt. Wenn die Politik bereit ist Probleme anzugehen und gegebenenfalls viel Geld zu investieren, dann ist es auch heute möglich eine resiliente Gesellschaft aufzubauen – natürlich nur, wenn wir alle gesellschaftlichen Schichten und Bevölkerungsgruppen mitnehmen.

Auf der ganzen Welt – auch in Europa – leiden Menschen bereits jetzt unter der Klimakrise.

Ja, neben der Vermeidung von Treibhausgasemissionen müssen wir dringend Klimaanpassungsstrategien stärker in den Fokus zu rücken. Dabei ist es aber nicht sinnvoll in Kollaps-Szenarien zu denken und in eine Lähmung angesichts apokalyptischer Szenarien zu verfallen. Es ist eine extrem große Anstrengung nötig, aber Lösungsmöglichkeiten sind da. Und gerade in Europa müssen wir heute zwar mit teils sehr langsamen bürokratischen Prozessen leben, dabei gibt es aber auch eine starke Gemeinwohlorientierung. Diese langwierigen bürokratischen Prozesse werden hoffentlich noch ihre Stärken ausspielen.

Das Interview führte Manuel Först


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