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Nachgefragt
10. Dezember 2019

Klimakonferenz: „Hier wird noch immer Business as usual simuliert“

Die Welt hat sich inzwischen verändert. Eine aktive Zivilgesellschaft fordert lautstark konsequenten Klimaschutz. Trotzdem agieren viele Staaten auf der COP25 in Madrid so, als würde sie die Klimakrise nichts angehen. Hoffnung macht jedoch die Europäische Union, wie Lisa Göldner von Greenpeace aus Madrid berichtet.

Lisa Göldner, Kampaignerin für Klima und Energie bei Greenpeace

Lisa Göldner, Kampaignerin für Klima und Energie bei Greenpeace
Profilbild von Lisa Göldner
Foto: © Gordon Welters / Greenpeace

10.12.2019 – Es geht um ein Emissionshandelssystem, ambitioniertere Klimaziele der Industriestaaten und die Verantwortung für Verluste und Schäden. Die Verhandlungen der Weltklimakonferenz gehen in ihre heiße Phase. Lisa Göldner, Energie-Campaignerin bei Greenpeace, ist vor Ort.

Wie sieht deine Arbeit vor Ort aus?

Ich bin hier für Greenpeace Deutschland und Teil eines Teams von Greenpeace-Aktivistinnen und Aktivisten aus der ganzen Welt. Dabei beschäftige ich mich vor allem mit der großen politischen Diskussion, die jenseits der formalen Agenda dieser COP stattfindet. Nämlich der anstehenden Überarbeitung der Nationalen Klimaziele, den National Determined Contributions – kurz NDCs – die bis zur kommenden COP in Glasgow eingereicht werden müssen. Von den großen Emittenten, die den größten Anteil an der Klimakrise haben, gibt es bislang noch keine ausreichenden Signale, ihre NDCs nachzuschärfen und mehr für den Klimaschutz zu tun.

Was steckt hinter den NDCs und was kann in dieser Hinsicht auf der COP in Madrid erreicht werden?

Die NDCs sind Teil des Pariser Klimaabkommens. Darin legen die Unterzeichner des Abkommens dar, was sie bereit sind zur Einhaltung des Abkommens beizutragen. Die NDCs enthalten ihre nationalen Klimaziele und werden international kommuniziert. Um die Pariser Klimaziele einzuhalten, müssen vor allem die Industriestaaten nachliefern und im nächsten Jahr ambitioniertere Klimaziele vorlegen. Die Europäische Union als Verhandlungsvertreter aller EU-Länder setzt sich hier bei der COP25 dafür ein, dass ein Aufruf an alle Länder ihre NDCs rechtzeitig upzudaten im COP-Beschluss steht.

Wofür setzt sich die Europäische Union noch ein?

Sie setzt sich stark dafür ein, das sogenannte Double-Counting, das doppelte Zählen von Maßnahmen für den Klimaschutz zu verhindern. Dabei geht es um einen der wichtigsten Verhandlungspunkte der diesjährigen COP. Und zwar der Diskussion um „Article 6“, deren Grundlage die Debatte um den Handel mit Emissionszertifikaten ist. Wenn die EU zum Beispiel nicht einhält, was sie in ihren NDCs versprochen hat, dann soll sie  die Möglichkeit bekommen Zertifikate in anderen Ländern einzukaufen, die mehr für den Klimaschutz getan haben. Oder sie finanzieren Klimaschutzprojekte in Ländern des Globalen Südens und lassen sich die Menge an CO2, die dort eingespart wird, für ihre eigenen Ziele gutschreiben. Doch wenn zum Beispiel ein Emissionszertifikat von Brasilien nach Europa verkauft und dem EU Klimaziel gutgeschrieben wird, muss natürlich verhindert werden, dass es gleichzeitig dem brasilianischen Ziel gutgeschrieben wird. Sonst hat man in der Summe nicht mehr Klimaschutz. Der aktuelle Stand zu den Verhandlungen um Article 6 bietet jedoch dieses riesige Schlupfloch. Das gilt es zu schließen.

Welche Probleme siehst du aktuell noch beim internationalen Emissionshandelssystem?

Es gibt noch immer überschüssige Zertifikate aus dem Clean Development Mechanism (CDM) Handelssystem, das man auf Grundlage des Kyoto-Protokolls geschaffen hatte und das nie funktioniert hat. Es gibt Länder wie Brasilien, die haben noch viele überschüssige Zertifikate aus diesem System, die entsprechend billig sind. Brasilien und andere möchten diese gerne in das neue System übernehmen, was für den Klimaschutz eine absolute Katastrophe wäre. Ich hoffe, dass die EU auch hier verhindert, dass die CDM Zertifikate in das neue System übernommen werden.

Insgesamt bin ich aber sehr skeptisch, was die marktbasierten Systeme angeht. Dass diese Systeme in der Praxis funktionieren, wage ich zu bezweifeln. Darüber hinaus sagt das Pariser Klimaabkommen ganz klar, dass jedes Land beim Klimaschutz mitmachen und seine Wirtschaft dekarbonisieren muss. Wenn jetzt ein solches Handelssystem aufgesetzt wird, bei dem sich reiche Länder vom Klimaschutz freikaufen können, dann stellt das die Integrität des Pariser Klimaabkommens komplett in Frage.

Vergangen Freitag haben bis zu 500.000 Klimaaktivsten in Madrid demonstriert. Auch du warst vor Ort. Wie war dein Eindruck?

Es war eine wahnsinnig tolle Demonstration. Ich war beeindruckt, weil dort Menschen aus der ganzen Welt zusammen demonstriert haben. Es gab eine starke Präsenz von Aktivist:innen der chilenischen Zivilgesellschaft, die vor Ort war. Ganz viele Fridays For Future Aktivist:innen sind nach Madrid gekommen und haben das Bild dieser Demonstration mitgeprägt. Mit hat das unglaublich viel Schwung gegeben. Nach einer Woche hier in den Verhandlungsräumen hat mir das neue Energie gegeben weiter zu machen.

Wie ist denn die Stimmung bei den Klimaverhandlungen selbst?

Wenn ich mich hier in dem Konferenzzentrum umsehe, ist eigentlich alles wie immer. Ich war schon bei vielen Klimaverhandlungen und hier wird so getan, als hätte sich die Welt nicht verändert im letzten Jahr. Als würde es die starke Fridays For Future Bewegung nicht geben. Das finde ich problematisch. Die Klimakonferenz sollte nicht den Anschein erwecken, dass Staaten, die noch immer unglaublich viel CO2 in die Atmosphäre pusten, hier sicher wären vor den Forderungen der Klimaaktivist:innen. Die aktive Zivilgesellschaft hat ganz klar ein Auge darauf, was hier passiert.

Die Proteste dringen also nicht so richtig in die Verhandlungen vor?

Ich glaube schon, dass die Klimaaktivist:innen den Verantwortlichen im Nacken sitzen. Trotzdem verläuft die Konferenz bislang wie immer. Hier wird noch immer Business as usual simuliert. Den gibt es aber nicht mehr, weil inzwischen Millionen von Menschen genau aufpassen, was hier beschlossen wird und ein schlechtes Ergebnis nicht akzeptieren werden. Wir als Umwelt NGOs haben natürlich Möglichkeiten unsere Ideen in die Verhandlungen einzubringen. Aber das machen eben auch die Lobbyisten der fossilen Industrie, die oftmals Staaten zurückhalten mehr zu tun und die echten Klimaschutz massiv verhindern.

Heute treffen die zuständigen Minister der Staaten auf der Klimakonferenz ein und die Verhandlungen gehen in ihre heiße Phase. Was erwartest du vom weiteren Verlauf?

Auch wenn ich das Emissionshandelssystem insgesamt in Frage stelle, hoffe ich zumindest das die EU innerhalb der Verhandlungen um Article 6 standhaft bleibt und sowohl das „Double-Counting“ verhindert als auch die Mitnahme der CDM-Zertifikate. Auch die Integration von Menschenrechten in das System ist extrem wichtig. Es darf nicht sein, dass Emissionszertifikate aus Projekten eingekauft werden, die Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben. Allgemein halte ich die Stärkung von Menschenrechten in den Klimabeschlüssen für elementar. So ist die Diskussion um klimawandelbedingte Schäden und Verluste ebenfalls einer der großen Knackpunkte der diesjährigen COP. Bei der Frage, wer dafür aufkommt, wenn Menschen und Staaten sich nicht mehr an den Klimawandel anpassen können und ganz massive Verluste erleiden, gibt es bisher keine Bereitschaft von reichen Staaten mehr zu leisten.

Das Interview führte Manuel Först


energiezukunft