Menü öffnen

Bürgerrat ErnährungBürger wollen ein anderes Ernährungssystem

Kuh schaut auf einer Weide in die Kamera, im Hintergrund ein Berpanorama
Kühe auf der Weide: Gesunde Tiere, gesunde Lebensmittel (Bild: Marty B, flickr, CC BY-SA 2.0 Deed)

Bestimmte Ernährungsweisen schützen das Klima. Der vom Bundestag einberufene „Bürgerrat Ernährung“ hat neun Empfehlungen vorgelegt, von denen einige dem Klimaschutz zugutekommen könnten.

16.01.2024 – Es war nicht der erste bundesweite Bürgerrat, aber der erste vom Bundestag legitimierte, der den Bundestagsabgeordneten konkrete Empfehlungen vorlegte, die sofort in Gesetzesform gegossen werden könnten. An drei Präsenzwochenenden und sechs Online-Sitzungen tagte seit September 2023 ein repräsentativer Durchschnitt der Bevölkerung von 160 Menschen über das Thema Ernährung im Wandel. „Demokratie geht uns alle an. Im Bürgerrat ‚Ernährung im Wandel‘ wurde Demokratie gelebt, in einem Klima von Offenheit, Neugier und Mut zum sachlichen Austausch“, sagte die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am Sonntag, zur Abstimmung und Vorstellung der Empfehlungen des Bürgerrats.

In einem offenen Verfahren konnten die Teilnehmenden zu Beginn abstimmen über welche Themen sie reden wollen, um anschließend diese zu diskutieren, Empfehlungen auszuarbeiten und am Ende darüber abzustimmen, welche Empfehlungen mit mehrheitlicher Zustimmung und hoher Priorität vom Bundestag in die innerparlamentarische Debatte aufgenommen werden sollen. Es sind diese neun Empfehlungen:

  1. Investition in die Zukunft: Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder als Schlüssel für Bildungschancen und Gesundheit
  2. Bewusstes Einkaufen leicht gemacht durch ein verpflichtendes staatliches Label
  3. Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel
  4. Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren transparent darstellen
  5. Fördern statt Fordern – neuer Steuerkurs für Lebensmittel
  6. Gesunde, ausgewogene und angepasste Gemeinschaftsverpflegung in Krankenhäusern, Reha, Senioren- und sonstigen Pflegeeinrichtungen
  7. Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls
  8. Altersgrenze für Energydrinks
  9. Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz der Ergebnisse für die Öffentlichkeit

Als besonders wichtiger Hebel für den Klimaschutz könnte sich dabei der „neue Steuerkurs für Lebensmittel“ erweisen. Aber auch die „Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls“ und die „verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln“, könnten Lenkungswirkung für mehr Klimaschutz im Bereich Ernährung entfalten.

Mit einer Zustimmung von 72,6 Prozent und hoher Priorisierung, sprachen sich die Mitglieder des Bürgerrats dafür aus, die Mehrwertsteuer folgender Produkte von 7 auf 0 Prozent anzupassen:

  • unverarbeitetes Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität
  • tiefgefrorenes Obst und Gemüse in Bio-Qualität
  • Obst und Gemüse, das der Klasse 2 angehört (nicht der optischen Norm entspricht)
  • Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkorngetreide
  • Mineral- und Tafelwasser

Zudem soll für alle Milchersatzprodukte, Fleischersatzprodukte und allen nach Bio-Standard erzeugten Produkte künftig statt 19 Prozent, der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent gelten. Sollte bei Fleisch dagegen eine Tierwohlabgabe nicht beschlossen werden, empfiehlt der Bürgerrat Ernährung Fleisch aus der Haltungsform 1 und 2 künftig mit 19 Prozent zu besteuern und nur Fleisch aus den Haltungsformen 3 und 4 sowie Bio weiterhin mit 7 Prozent.

Die Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls ist mit einer Zustimmung von 70,8 Prozent Teil der Empfehlungen. Demnach soll sich die Höhe der Abgabe an den Empfehlungen der Borchert Kommission orientieren. Das entspricht in etwa 0,40 Euro pro Kilogramm Fleisch und fleischverarbeiteten Produkten, 0,02 Euro pro Ei und Liter Milch bzw. Frischmilchprodukten sowie 0,15 Euro pro kg Käse, Butter und Milchpulver. Die Einnahmen daraus sollen wiederum für eine Tierwohlprämie genutzt werden, die landwirtschaftliche Betriebe kontinuierlich erhalten, wenn sie die Haltungsform verbessern. Je Besser die Haltungsform, desto höher soll die Prämie ausfallen. Damit soll die Intensivtierhaltung reduziert und landwirtschaftliche Betriebe unterstützt werden, einen Anreiz zu haben, auf höhere Haltungsformen umzusteigen.

Mit einem neuen Steuerkurs und Tierwohlabgabe einhergehend, könnte der Verzehr tierischer Produkte in Deutschland abnehmen und die Massentierhaltung gesenkt werden. Das würde dem Klima helfen. Laut Umweltbundesamt sind rund 38,6 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente, das sind fast 70 Prozent der Emissionen der Landwirtschaft und knapp 5,2 Prozent der Treibhausgasemission Deutschlands, direkt auf die Tierhaltung zurückzuführen. Für umgerechnet 22 Millionen Tonnen Treibhausgase sorgen nicht genutzte Lebensmittel. Rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr in der Tonne.

Supermärkte und Discounter tragen einen erheblichen Teil dazu bei. Schon bevor Lebensmittel in die Auslage kommen, wird ein Teil weggeschmissen, weil diese nicht der Norm entsprechen. Auch verschwinden viele Lebensmittel schnell wieder aus der Auslage, weil sie nicht mehr der Norm entsprechen. Der Bürgerrat Ernährung empfiehlt nun, dass Supermärkte und andere Lebensmittelgeschäfte ab einer Größe von 400 Quadratmetern Verkaufsfläche verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel, die sie sonst entsorgen würden, an gemeinnützige Organisationen (z.B. Tafeln) und für gemeinnützige Zwecke weiterzugeben.

Veränderungswille

„Die Teilnehmenden des Bürgerrates haben das Thema Ernährung im Wandel wirklich begriffen und aufgegriffen“, so Simon Wehden vom Verein Klimamitbestimmung gegenüber der energiezukunft. Der Verein setzt sich für die Einbindung von politisch einberufenen und öffentlichkeitswirksamen Bürger:innenräten für die sozial-ökologische Transformation ein. Aus den Empfehlungen gehe hervor, dass es den Teilnehmenden nicht um die Aufrechterhaltung des Status Quo geht, sondern dass es Veränderungen braucht, sagt Wehden. Der zudem den Prozess des Bürgerrates lobt. „Ohne parteipolitisches Kalkül, konnten die Teilnehmenden selbst festlegen, worüber sie reden wollen.“ Zudem hätten Exkursionen, wie die zu einem Supermarkt mit zur Verfügung gestellten Geld im Rahmen eines Harz 4-Empfängers, für einige andere Lebensperspektiven näher gebracht.

Wie der Verein Klimamitbestimmung, hofft auch die Deutsche Umwelthilfe darauf, dass die Politik jetzt entsprechend agiert. „Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind bereit für eine Ernährungswende – und fordern diese auch ein. Nun liegt es an der Bundesregierung und an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, die Empfehlungen schnell und konsequent umzusetzen“, so DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Ohne auf den Bürgerrat Ernährung direkt einzugehen, forderte Özdemir bei n-tv heute Morgen angesichts der Bauernproteste eine Tierwohlabgabe. Vergangenes Jahr zeigte sich Özdemir zudem offen dafür, die Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse auf Null zu setzen. Die FDP hingegen lehnt eine entsprechende Senkung der Mehrwertsteuer bislang ab. Am 20. Februar wird der Bürgerrat ein ausformuliertes Gutachten an den Bundestag übergeben, dass dann im Plenum und Fachausschüssen diskutiert wird.

Ein gesellschaftlich organisierter Bürgerrat Klima legte im Juni 2021 über 80 einzelne Empfehlungen vor. Auch wenn sich die Ampel nicht direkt auf den Bürgerrat bezog, wurden einige Forderungen in die Wege geleitet. Allgemeiner gehalten war der vom Bundestag einberufene Bürgerrat zu Deutschlands Rolle in der Welt, aus dem bislang keine konkreten Beschlüsse abgeleitet wurden. Manuel Grisard


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Matthias U 16.01.2024, 14:16:57

Ich stimme den Empfehlungen grundsätzlich zu, nur: Tafel- und Mineralwasser geringer besteuern? Wozu das denn bitte? Es gibt die moderne Erfindung des Wasserhahns. Abgefülltes Wasser in der Gegend herumzuschippern ist alles Andere als nachhaltig..


Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft