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Wasserstoff in DeutschlandEs drohen falsche Weichenstellungen

Der Bau einer Gas-Pipeline bei Zolling in Bayern. (Bild: Vuxi, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Klasse statt Masse ist die zentrale Forderung vom Sachverständigenrat für Umweltfragen. Vorrangig inländisch hergestellter grüner Wasserstoff soll nur dort eingesetzt werden wo nötig. Die Bundesregierung legte zuletzt nur minimale Verbesserungen vor.

24.06.2021 – Es drohen falsche Weichenstellungen, warnt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), das wichtigste wissenschaftliche Beratungsgremium der Bundesregierung für Umweltfragen. Denn auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der anschließenden Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes gilt im Grundsatz noch immer die im Juni 2020 beschlossene nationale Wasserstoffstrategie. Und die sieht „übergangsweise“ – wie es das Bundeswirtschaftsministerium ausdrückt – auch sogenannten „blauen“ oder „türkisen“ Wasserstoff als Lösung an.

Blauer Wasserstoff beschreibt dessen Herstellung aus Erdgas und anschließender Abscheidung und Speicherung des anfallenden Kohlendioxids. Doch bereits bei Förderung und Transport von Erdgas entsteht ebenfalls klimaschädliches Methan. Darüber hinaus ist die Speicherung von CO2 mit Risiken behaftet. Das Umweltbundesamt etwa warnt vor möglichen Leckagen bei Speicheranlagen, die neben CO2 zusätzliche Schadstoffe freisetzen können. Auch türkiser Wasserstoff benötigt Erdgas und wird durch die thermische Spaltung von Methan erzeugt.

Claudia Kemfert, stellvertretende Vorsitzende des SRU, sagt: „Damit würde in Technologien und Infrastrukturen investiert, die in einer treibhausgasfreien und umweltfreundlichen Wirtschaft keinen Platz mehr haben.“ Statt teurer Brückentechnologien brauche es Investitionen in die Zukunft.

Strenge Nachhaltigkeitskriterien

Der Umweltrat fordert den Aufbau eines Wasserstoffmarktes in Deutschland konsequent auf, grünen Wasserstoff auszurichten, also nur solchen zu nutzen, der mithilfe Erneuerbaren Energien hergestellt wird. Dabei seien anspruchsvolle Nachhaltigkeitskriterien nötig, so der SRU. Die Herstellung von grünem Wasserstoff dürfe keine Umweltprobleme wie Flächen- oder Wasserknappheit verschärfen. Das gelte insbesondere für Importe.

Die Bundesregierung plant den Bedarf an Wasserstoff im Jahr 2030 auf 100 Terrawattstunden zu steigern. Etwa 90 Prozent des Bedarfs sollen dann aus dem Ausland kommen. Die politisch Verantwortlichen haben dafür vor allem sonnen-, wind- und wasserreiche Gegenden im Globalen Süden in den Blick genommen.

Der Afrika-Beauftragte von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Günter Nooke, treibt etwa die Planung eines riesigen Staudamms in der Demokratischen Republik Kongo voran. Der daraus gewonnene Strom aus Wasserkraft würde quer durch den Urwald an die Küste Kongos geleitet, dort per Elektrolyse zu Wasserstoff verarbeitet und nach Deutschland verschifft werden. Doch nur wenig Strom würde in die dringend nötige lokale Nutzung fließen. Auch müssten durch den entstehenden Stausee tausende Menschen umgesiedelt werden. Erhebliche ökonomische und ökologische Schäden wären die Folge.

Claudia Hornberg, Vorsitzende des SRU, mahnt: „Beim Import muss sichergestellt werden, dass in den Herkunftsländern keine sozialen, ökologischen oder gesundheitlichen Probleme durch die Wasserstoffherstellung verschärft werden.“ Bevor grüner Wasserstoff in großen Mengen importiert wird, sollten inländische Potenziale genutzt werden, fordert der Umweltrat. Dafür bedürfe es jedoch eines massiven Ausbaus der Erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren.

Langfristige Pläne fehlen

Die Regierungskoalition konnte sich im begleitenden Sofortprogramm für das Klimaschutzgesetz, das in dieser Woche veröffentlicht wurde, lediglich auf höhere Ausbauziele für 2022 einigen. Die Ausschreibungsmengen bei der Windkraft an Land werden um 1,1 Gigawatt auf 4 GW angehoben, bei der Photovoltaik werden es zusätzliche 4,1 GW auf insgesamt 6 GW sein. Das sei viel zu wenig, wie Experten mahnen. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energieysysteme, erklärte via Twitter: „Für wirksamen Klimaschutz brauchen wir mind. 20 GW Photovoltaik und 7,5 GW Windkraft pro Jahr.“

Auch fehlen langfristige Pläne, wie etwa der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) kritisiert. „Die Kernaufgabe, um die neu festgelegten Klimaschutzziele zu erreichen, ist die Festlegung ambitionierter Ausbaupfade für die erneuerbaren Technologien bis zum Jahr 2030“, so BEE-Präsidentin Simone Peter. Die Verschiebung dieser Aufgabe in die nächste Legislaturperiode werde der Schlüsselrolle der Erneuerbaren Energien als Klimaschützer Nummer eins nicht gerecht.

Um den grünen Wasserstoffmarkt in Deutschland anzukurbeln, befreit die Bundesregierung künftig immerhin alle Erzeuger grünen Wasserstoffs vollständig von der Zahlung der EEG-Umlage für den genutzten Strom aus Erneuerbaren Energien. Zugleich dürfen die Elektrolyseure dann aber bis zu 6.000 Stunden im Jahr Wasserstoff aus Strom produzieren, der dann als ‚grün‘ eingestuft wird. Unter den aktuellen Gegebenheiten können Windkraft und Solarenergie Strom in einer solch hohen Stundenzahl nicht ausreichend zur Verfügung stellen. Lediglich fossile Kraftwerke können diesen Bedarf decken.

Zusätzliche Kapazitäten nötig

Der Bedarf an Erneuerbaren Energien für die Herstellung von Wasserstoff in Deutschland müsse indes zusätzlich zu den ohnehin benötigten Kapazitäten von Ökostrom aufgebaut werden, mahnt der Umweltrat. Im Zuge der für den Klimaschutz nötigen Elektrifizierung von Verkehr und Wärme droht bereits eine gigantische Ökostromlücke. Daher sollte Wasserstoff auch nur dort eingesetzt werden, wo er ökonomisch und ökologisch wirklich sinnvoll ist, so der SRU.

Dort wo grüner Strom direkt genutzt werden könne, wie beim Elektroauto im Straßenverkehr oder bei der Wärmepumpe in der Wärmeversorgung, sei dies in der Regel preiswerter und umweltfreundlicher. Sinnvoll erscheint dem Umweltrat Wasserstoff lediglich in Teilen der Industrie sowie im internationalen Schiffs- und Flugverkehr einzusetzen. In diesen Bereichen würde Wasserstoff und synthetische Energieträger nach derzeitigem Wissensstand eine wichtige Rolle spielen, um die Klimaziele zu erreichen. mf


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