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EU-Klimaschutzziele reichen nichtGesetzentwurf für Europas Klimaneutralität ist in Arbeit

Der designierte EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermanns bei Euranet Plus TV in der Diskussion um die Finanzierung von Europas Zukunft
Der designierte EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermanns bei Euranet Plus TV in der Diskussion um die Finanzierung von Europas Zukunft. (Foto. euranet_plus / Flickr / CC BY-SA 2.0)

Europa soll bis 2050 klimaneutral werden, so sieht es der New Green Deal der neuen EU-Kommission vor. Der designierte EU-Vizekommissionspräsident für Klimaschutz Frans Timmermans will einen Gesetzesentwurf für schnellere CO2-Reduzierung ausarbeiten.

11.10.2019 – Die EU soll bis 2050 klimaneutral werden: Das ist zumindest das Ziel der neuen EU-Kommission unter Leitung von Ursula von der Leyen. Der designierte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans wird ab ersten November vornehmlich für die Bereiche Umwelt und Klimaschutz zuständig sein. Er wolle dann innerhalb der ersten 100 Tage seiner Amtszeit einen Legislativvorschlag vorlegen, erklärte er bei seiner Anhörung im Europaparlament in Brüssel: Darin sollten ambitioniertere Klimaschutzziele bis zum Jahr 2030 verankert werden, die CO2-Emissionen möglichst um 50 bis 55 Prozent zu senken. Das offizielle Ziel liegt derzeit bei 40 Prozent. Allerdings, so räumte Timmermanns gleichzeitig ein, müssten die Maßnahmen, die für eine stärkere Reduzierung notwendig werden, auf ihre Machbarkeit und Auswirkungen hin genauestens überprüft werden.

Mit Blick auf die europäische Wirtschaft bekräftigte Timmermanns den Vorschlag. Die EU habe den Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zum Jahr 1990 bis heute ja bereits um 22 Prozent reduziert, und das bei einem Wirtschaftswachstum von 58 Prozent. Klimaschutz schade der europäischen Wirtschaft also offensichtlich nicht. Im Verkehrssektor allerdings steigen die CO2-Emissionen weiter an. Ziel sei kein autofreies Europa, so Timmermanns, wohl aber emissionsfreie Autos. Hier muss nun ein deutliches Signal auch an die Autoindustrie kommen, mahnen Experten, um verlässliche Planungszeiträume zu schaffen. Gerade erst hatte Dänemark gemeinsam mit zehn weiteren EU-Ländern den Vorschlag gemacht, möglichst europaweit die Neuzulassung von Autos mit fossilem Antrieb ab 2030 zu verbieten.

Nicht alle EU-Mitglieder machen mit

Einige der EU-Länder – die Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Spanien, Portugal, Schweden, Dänemark sowie Lettland hatten sich bereits in einem Brief an Timmermans hinter das Ziel gestellt, die CO2-Emissionen innerhalb der EU bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent zu senken. Deutschland gehört dagegen nicht zu den Unterzeichnern. Polen und die Tschechische Republik haben sich indes nicht nur gegen ein Netto-Null-Ziel für 2050 ausgesprochen, zusammen mit der Slowakei wollen diese EU-Mitgliedsländer sogar gegen ein ehrgeizigeres Klimaziel für 2030 vorgehen.

Was heißt überhaupt klimaneutral?

Es wird nicht nur entscheidend sein wann, sondern vor allem wie Klimaneutralität erreicht werden soll. Der beste Weg ist die radikale Reduzierung der Emissionen. Klimaneutralität bedeutet ja nicht, dass es null Emissionen geben wird. Der EU-Plan verfolgt das Ziel, die Emissionen auf ein möglichst niedriges Niveau zu senken. Wälder, Feuchtgebiete als auch Technologien müssten dann in der Lage sein, den „Rest“ an Emissionen aufzunehmen, was Industrie, Verkehr und Landwirtschaft dann immer noch produzieren werden. Für den Umweltschutz wird es daher von großer Bedeutung sein, auf was man setzt – auf den Erhalt der Ökosysteme oder auf Technologien wie etwa CO2-Abscheidung und -Speicherung: Dann wäre in der Summe für die Umwelt nichts gewonnen.

Was außer dem Ziel der Klimaneutralität im Klimaschutzgesetz verankert werden soll ist jedoch noch offen. Entsprechende Maßnahmen hinsichtlich des Luftverkehrs sowie der Schifffahrt werden Bestandteil, so Timmermanns im Europaparlament.

 

Klimaneutralität ist nur mit der Umstellung auf Erneuerbare Energien möglich

Um die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten, müssten die Treibhausgasemissionen in Europa bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 sogar um 60 Prozent reduziert werden, ist indes das Fazit einer aktuellen Modellstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Das wäre nur mit einer strikten Transformation des europäischen Energiemix zu erreichen Im Jahr 2040 müsste demnach fast die gesamte Stromerzeugung aus Solar-, Wind- und Wasserkraft bestritten werden. DIW-Energieökonomin und Co-Autorin des Berichts Claudia Kemfert hält eine unmittelbare Verschärfung der klimapolitischen Ziele für obligatorisch. „Unsere Modellstudie zeigt: Ambitionierter Klimaschutz in Europa ist machbar und ökonomisch sinnvoll“, sagt Kemfert. „Damit die CO2-Emissionen in ausreichendem Maße reduziert werden können, müssen fossile Energieträger nach und nach aus dem europäischen Energiemix verschwinden und durch erneuerbare Energiequellen ersetzt werden.“

Sonne und Wind müssen das Rennen machen

Eine zentrale Rolle spiele dabei die Stromgewinnung aus Sonne und Wind: Der Anteil der Erneuerbaren Energien im europäischen Primärenergiebedarf steige im Klimaschutzszenario bis 2030 auf rund 33 Prozent. Um dieses Szenario in die Realität umzusetzen, müssen Solar- und (Onshore)-Wind-Kapazitäten von momentan 120 beziehungsweise 190 Gigawatt bis zum Jahr 2030 vervielfacht werden, nämlich auf 990 beziehungsweise 790 Gigawatt. „Auf diesem Wege kann eine kosteneffiziente und effektive Dekarbonisierung der europäischen Stromerzeugung gelingen, ohne auf Atomkraft oder CO2-Abscheidungstechnologien zurückgreifen zu müssen“, resümiert Co-Autor Christian von Hirschhausen.

Hohes Reduktionsziel auch ökonomisch sinnvoll

Neben seinem klimapolitischen Mehrwert rechnet sich die höhere CO2-Einsparung auch aus wirtschaftlicher Sicht, bestätigt die Studie. Zwar verursache die großflächige Umstellung auf erneuerbare Energiequellen Transformationskosten, die die Forschenden auf 222 Milliarden Euro taxieren – allerdings würden diese um ein Vielfaches von den durch die CO2-Reduktion eingesparten Umwelt- und Klimakosten übertroffen.

„Wenn wir hierbei von der vom Umweltbundesamt berechneten Einsparung von 180 Euro pro nicht emittierter Tonne CO2 ausgehen“, erläutert Co-Autor der Studie Karlo Hainsch, „betragen die bis zum Jahr 2030 durch die CO2-Reduktion eingesparten Klima- und Umweltkosten 1.381 Milliarden Euro.“

Jetzt müssen Pläne erarbeitet werden, mahnt das DIW, wie die notwendigen Investitionen in eine nachhaltige Energieinfrastruktur realisiert werden können. Ein sensibles Thema sei die Lastenverteilung zwischen den einzelnen europäischen Ländern, so die Forscher: „Gerade in Osteuropa ist die Energieerzeugung stark von fossilen Brennstoffen abhängig – diese Regionen bedürfen besonderer Unterstützung bei der Umstellung auf Erneuerbare.“ Handlungsbedarf gibt es allerdings auch in Deutschland – denn die Empfehlungen und Beschlüsse der Kohlekommission und des Klimakabinetts sind nicht ausreichend, um dem Pariser Zwei-Grad-Ziel gerecht zu werden. na


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