Neue Gutachten: Klimapaket verfehlt Klimaziele, die ohnehin zu niedrig sind
Das Klimapaket der Bundesregierung reicht für die Klimaziele für 2030 bei weitem nicht aus, rechnen nun zwei eigene Gutachten vor. Besonders heikel: Die Klimaziele sind bereits veraltet, Deutschland müsste deutlich mehr tun für das Pariser Abkommen.
06.03.2020 – Es war Ende September, als sich die Bundesregierung für ihr monatelang verhandeltes Klimapaket selbst feierte. Außer ihr taten das aber wenige. Weder die Millionen Demonstranten um Fridays for Future auf den Straßen, noch Klimaexperten. Die Grünen konnten im Vermittlungsausschuss ihre Macht in den Bundesländern nutzen, um den CO2-Preis für Verkehr und Gebäude leicht anzuheben. Doch im Grunde blieb das Klimapaket erhalten, mit dem die deutschen Treibhausgasemissionen von 858 Millionen Tonnen bis 2030 auf 543 Millionen sinken sollen.
Wissenschaftler sagten sogleich voraus: Die beschlossenen Maßnahmen insbesondere im Verkehr reichen nicht aus, um 315 Millionen Tonnen Treibhausgase einzusparen. Um die Wirkung ihres eigenen Klimapakets zu prüfen, gab die Bundesregierung zwei Gutachten in Auftrag, die nun schwarz auf weiß dokumentieren: Das Klimapaket nicht bei weitem nicht aus.
Kaum Klimaschutz im Verkehr
Das Gutachten im Auftrag des Umweltministeriums, durchgeführt vom Öko-Institut, kommt sogar zu dem Schluss, dass in allen der sechs Sektoren Energie, Gebäude, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und Abfall die Vorgaben nicht erfüllt werden – mit Ausnahme des Abfallbereichs, der mit Abstand kleinste Posten. „Insgesamt entsteht gegenüber den Zielen des Bundes-Klimaschutzgesetzes eine Lücke von rund 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent (CO2e), die zu viel ausgestoßen werden“, teilte das Öko-Institut mit.
Während die Sektoren Energie und Industrie noch halbwegs auf Kurs sind, erreicht Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit seinen Maßnahmen nicht einmal die Hälfte der CO2-Einsparungen. Greenpeace-Klimaexperte Tobias Austrup sagte zu den Gutachten: „Das schockierende an diesen Dokumenten des klimapolitischen Scheiterns ist die Absehbarkeit: Jeder wusste, dass etwa die Vorschläge von Verkehrsminister Scheuer hinten und vorne nicht reichen werden.“ Scheuer teilte mit, mehr tun zu wollen. „Wir brauchen beim Klimaschutz noch deutlich mehr Dynamik“, sagte er.
Bereits mit den veralteten Klimazielen überfordert
Den beiden Gutachten zufolge dürfte der CO2-Ausstoß in den kommenden zehn Jahren um 51 beziehungsweise 52 Prozent gegenüber 1990 sinken. Laut verbindlichem EU-Ziel müssen es aber mindestens 55 Prozent sein und schon das ist deutlich zu wenig, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Deshalb will die EU-Kommission mit ihrem Green Deal eine konsequenten Klimaschutzpolitik fahren und die Klimaziele der Union für 2030 anheben. Dann müsste auch Deutschland mehr leisten.
Dass das Klimapaket „ein Scheitern mit Anlauf“ wird, zeigten Recherchen bereits im Herbst vergangenen Jahres. Denn eigentlich dürfte Deutschland nach den Zielen des Pariser Klimaabkommens nur noch 6,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ab 2020 ausstoßen. Das hatte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ausgerechnet, der die Bundesregierung in Fragen der Umweltpolitik berät. So hoch ist das deutsche CO2-Budget, wenn die Menschheit den Anstieg der Temperatur von maximal 1,75 Grad Celsius mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent erreichen will. Das wäre das im Paris vereinbarte „deutlich unter 2 Grad“.
Zwischen drei und fünf Grad Erderwärmung
6,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid klingen erst einmal viel, aber es müsste drastische Konsequenzen bedeuten. Denn: „Bei fortdauernden Emissionen auf heutigem Niveau wäre dieses Budget in weniger als 9 Jahren (2028) verbraucht, bei einer linearen Reduktion nach etwas mehr als 17 Jahren (2037)“, schrieben die SRU-Umweltexperten in einem Offenen Brief an das Klimakabinett.
Statt aufs Tempo zu drücken, peilt die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket dagegen ein klimaneutrales Deutschland erst für das Jahr 2050 an. „Weltweit gesehen, wenn alle das so machen, kommen wir zu einer Erwärmung zwischen drei und fünf Grad bis zum Ende des Jahrhunderts“, erklärte SRU-Experte Prof. Wolfgang Lucht damals im ARD-Magazin Kontraste. cw