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Ohne Energiesicherheit keine Supermacht

Das Projekt „India One Solar Thermal Power Plant“ im nordwestlichen Bundesstaat Rajashtan  wurde unter anderem vom Bundesumweltministerium und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert. (Foto: Bkwcreator, wikimedia
Das Projekt „India One Solar Thermal Power Plant“ im nordwestlichen Bundesstaat Rajashtan wurde unter anderem vom Bundesumweltministerium und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert. (Foto: Bkwcreator, wikimedia.commons, Ausschnitt, CC BY-SA 3.0)

Indiens neue Regierung will den Energiesektor reformieren und die Erneuerbaren-Branche anschieben. Premierminister Narendra Modi hat bereits in seinem Bundesstaat Gujarat Solarprojekte massiv gefördert. Nun können vor allem Photovoltaik und Kleinwasserkraft auf erhöhte Förderung hoffen.

14.07.2014 – Indien hat den ersten hundertprozentig energiekompetenten Premierminister seiner Geschichte. Als solcher hatte Narendra Modi sich jedenfalls im Wahlkampf vermarktet. Er will den Energiesektor reformieren, Energiesicherheit zu einer der Topprioritäten seiner Regierung machen und einen besonderen Schwerpunkt auf den Ausbau regenerativer Ressourcen legen. Die Erneuerbaren-Branche erwartet nun mit Spannung, wie sich der angekündigte Aufwind in konkreter Politik manifestiert.

Modi, seit dem 26. Mai im Amt, hatte seine Reise an die Regierungsspitze auf dem Wirtschaftsticket angetreten: Wachstum steigern und Jobs schaffen, so lauteten die wichtigsten Versprechen seiner nationalistischen Bharatiya-Janata-Partei (BJP), die eine historische absolute Mehrheit gewann. Um das zu erreichen, müsse der Energiesektor von Grund auf reformiert werden, hatte der Energiebeauftragte der BJP, Narendra Taneja, vor der Wahl in der indischen Economic Times erläutert. Denn: „Eine unter Energiemangel leidende Nation kann keine Supermacht sein.“

Das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt bezieht rund ein Drittel der benötigten Energieressourcen aus dem Ausland. Um unabhängiger von Importen zu werden, will die BJP vorrangig die nationalen Kapazitäten zur Stromerzeugung erhöhen. Dazu sollen alle Energieträger ausgebaut werden. Kohle, derzeit für zwei Drittel der Stromerzeugung verantwortlich, wird auf absehbare Zeit die Nummer 1 bleiben, und auch an der Atomkraft will die neue Regierung festhalten. Im Wahlprogramm kündigte die BJP aber an, sie werde „erneuerbaren Energiequellen als wichtigem Bestandteil in Indiens Energiemix einen Schub geben“.

Oberstes Ziel sei es, den verschiedenen Verbrauchergruppen bezahlbaren Strom zur Verfügung zu stellen. Modi hatte im Wahlkampf angekündigt, im Namen aller 1,24 Milliarden Inder regieren zu wollen – insbesondere der armen. So soll dieses Ziel nicht nur für große Unternehmen und urbane Zentren gelten, sondern auch für die 300 bis 400 Millionen Haushalte, die noch keinen Zugang zu Elektrizität haben. Mithilfe von Solarpaneelen will der Premier innerhalb von fünf Jahren in jedem indischen Haus wenigstens eine Glühlampe zum Leuchten bringen. Ganz neu ist dieser Ansatz allerdings nicht: Das Programm „Lighting Asia“ der International Finance-Corporation (IFC), einer Gesellschaft der Weltbankgruppe, verfolgt das gleiche Ziel und läuft bereits seit 2012. Finanziert wird es von den USA und Italien.

Mit der Förderung von Photovoltaik hatte Modi sich bereits als Regierungschef von Gujarat einen Namen gemacht. 2009, ein Jahr früher als die Zentralregierung in Neu Delhi, hatte er in dem westindischen Bundesstaat mit 60 Millionen Einwohnern ein Anreizprogramm eingeführt, das einen Einspeisetarif und eine Steuerbefreiung für Solarstrom beinhaltete. Mit 916 Megawatt (MW) steht heute etwas mehr als ein Drittel der indischen Solarkapazitäten von 2.647 MW in Gujarat. Darunter ist der Charanka-Solarpark, der bei seiner Fertigstellung mit 600 MW einer der größten Solarparks der Welt sein wird. Am Gujarat-Modell will Modi sich auch auf Bundesebene orientieren.

Die Hälfte von Indiens Solarstrom-Kapazitäten läuft unter Programmen der Bundesstaaten, die andere Hälfte unter der 2010 eingeführten staatlichen Jawaharlal Nehru National Solar Mission. Zusammen haben die Förderprogramme dazu geführt, dass die bis dahin bedeutungslose Sonnenkraft zu einer wichtigen erneuerbaren Energiequelle Indiens geworden ist. Allein im Fiskaljahr 2013/14, das von April bis April läuft, wurde fast ein Gigawatt (GW) neu installiert. Das entspricht einer Zuwachsrate von 57 Prozent – Landesrekord unter den erneuerbaren Energieträgern.

Die neue Regierung will die National Solar Mission weiterführen und ausbauen. Diese zielte bisher darauf ab, bis 2022 zwanzig Gigawatt netzgebundene Solarkapazitäten zu erreichen sowie zwei GW offgrid. Das Programm befindet sich zurzeit in der zweiten Phase; der Einspeisetarif beträgt jetzt 5,45 indische Rupien (6,76 Eurocent) pro Kilowattstunde. Außerdem bezuschusst der Staat Projekte durch das so genannte Viability Gap Funding, um sie wirtschaftlich zu machen.

Auch Dachanlagen werden zunehmend gefördert. Mehrere Bundesstaaten, darunter Gujarat, lassen die Verrechnung selbsterzeugten Stroms per Net-Metering zu. Das Beratungsunternehmen Bridge to India prognostiziert, dass die installierte Kapazität von Kleinanlagen bis zehn Kilowatt Nennleistung bis 2018 von jetzt rund 110 MW auf 620 MW anwächst. Experten zufolge ist dieses Marktsegment auch ohne Subventionen konkurrenzfähig und muss von der neuen Regierung lediglich flächendeckend ermöglicht werden.

Ein Bereich, den Modi explizit ausbauen will, ist die Kleinwasserkraft. „Kleine Projekte können mit lokaler Unterstützung und ohne eine Vertreibung der lokalen Bevölkerung errichtet werden“, heißt es dazu im BJP-Wahlprogramm. Mit 3804 MW am Netz ist die Kleinwasserkraft hinter Wind die zweitwichtigste erneuerbare Quelle in dem Schwellenland. Die Zuwachsrate betrug im vergangenen Jahr aber nur knapp fünf Prozent. Da ist in Zukunft mehr zu erwarten. Die Wasserkraft insgesamt spielt in Indien mit 43,7 GW installierter Kapazität und einem Zubau in 2013 von 800 MW eine wichtige Rolle. Großprojekte oberhalb von 25 MW definiert Neu Delhi jedoch nicht als erneuerbare Energiequelle.

Die aktuell installierte Kapazität gibt das Ministerium für Erneuerbare Energien dementsprechend mit 31.707 MW netzgebunden plus 1.022 MW off-grid an, zusammen also 32,7 GW. Damit rangiert Indien laut dem Globalen Statusbericht 2014 des Erneuerbare-Energien-Netzwerks REN21 weltweit auf Platz 6. Relativ zur Einwohnerzahl produziert das Land jedoch wenig Strom aus erneuerbaren Quellen: Dem REN21-Bericht zufolge waren es 2013 zwanzig GW pro Kopf. In Deutschland waren es 960 MW. Der Anteil der regenerativen Stromerzeugung liegt in Indien ohne Großwasserkraft bei 13 Prozent.

Ziel der alten Regierung waren 55 GW erneuerbare Kapazitäten bis 2017 und 74 GW bis 2022. Manch einem ist das zu wenig. „Das Erste, was der Premierminister Narendra Modi tun muss, ist, die Ambitionen in dem Sektor zu erhöhen“, schrieb die Branchenkennerin und Bloomberg-Journalistin Vandana Gombar nach dem Regierungswechsel. Die gleiche Meinung vertritt der Chef von Indiens größtem Windanlagen-Bauer Suzlon Tulsi Tanti. In seinem Blog schrieb er, das bisherige Ziel, bis 2017 zusätzliche 15 GW am Netz zu haben, könne locker verdoppelt werden. Indien habe ein Windenergie-Potenzial in Höhe von mehr als 300 GW. „Ich bin zuversichtlich, dass das Land in Zukunft problemlos zehn Prozent seines Energiebedarfs allein aus Windkraft decken kann“, so Tanti.

Wind ist mit Abstand die wichtigste regenerative Ressource; 21 Gigawatt sind am Netz. Weltweit liegt das südasiatische Land damit auf Platz 5 hinter China, den USA, Deutschland und Spanien. Es erlebte 2013 den viertgrößten Zubau nach China, Deutschland und Großbritannien. Allerdings lag dieser mit gut elf MW und einer Zuwachsrate von elf Prozent weit unter den Erwartungen wie auch unter den Zahlen des Vorjahres.

Grund dafür war in erster Linie das Auslaufen der Förderprogramme. Sowohl der Einspeisetarif von 0,50 indischen Rupien (0,6 Eurocent) pro Kilowattstunde für Windstrom als auch die beschleunigte Abschreibung für Windanlagen endete im April 2012. Investitionen gingen stark zurück. Ende 2013 führte die Regierung die Förderung jedoch wieder ein und gewährt sie auch rückwirkend für die in der Zwischenzeit in Betrieb gegangenen Projekte. Im laufenden Jahr wird ein Zubau von drei GW erwartet.

Indien produziert bisher ausschließlich an Land, plant aber den Einstieg in die Offshore-Erzeugung. Ein im Januar begonnenes Projekt mit nationalen und internationalen Partnern unter der Regie des Global Wind Energy Councils (GWEC) soll helfen, potenzielle Standorte zu identifizieren, Richtlinien zu entwickeln und das nötige Knowhow aufzubauen. Im Fokus stehen Gujarat sowie der im Südosten gelegene Bundesstaat Tamil Nadu. Das Vier-Jahres-Projekt wird mit vier Millionen Euro von der Europäischen Union unterstützt und soll einen möglichen Weg bis 2032 aufzeigen. Suzlon, weltweit unter den Top Ten, ist am heimischen Offshore-Einstieg interessiert und hat bereits mehrere mögliche Standorte unter die Lupe genommen.

Im laufenden Fiskaljahr wird das Unternehmen mehr als 1.200 MW Kapazität in Indien installieren, wie Tanti der Zeitung The Hindu Business Line in einem Interview Anfang Juni sagte. Mit den richtigen Anreizen könne das Wachstum der Branche beschleunigt werden. Kleine und mittlere Unternehmen sollten stärker unterstützt werden. Und: „Die Regulierungsbehörden müssen die Abnahmeverpflichtung von zehn Prozent erneuerbarer Energie strikt durchsetzen.“ Auf dem Wunschzettel Tantis, der aus Gujarat stammt und den Regierungswechsel euphorisch begrüßt hat, stehen außerdem attraktivere Finanzierungsmodelle für Windkraft-Projekte: Die Netto-Finanzierungskosten sollten von zehn auf sieben Prozent gesenkt und der Finanzierungszeitraum von zwölf auf 20 bis 25 Jahre erhöht werden.

Die BJP will ihren Fokus aber nicht allein auf den Zubau richten. Energie vernünftig zu verwenden und, wo möglich, einzusparen, sind ebenfalls erklärte Ziele der Partei. Außerdem sollen die Technologie, die Qualifizierung von Arbeitskräften und die Infrastruktur verbessert werden. Eine besondere Rolle spielen die Übertragungsnetze: Nach Informationen der Germany Trade & Invest, der Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing der Bundesrepublik Deutschland, gehen in Indien 20 bis 30 Prozent des gesamten Stroms auf dem Weg zum Verbraucher verloren. Außerdem können in Spitzenzeiten erzeugte Windenergiemengen nicht in voller Höhe eingespeist werden.

Ein Modernisierungs- und Ausbauprogramm namens „Grüner Energiekorridor“ soll in Zukunft eine bessere Integration erneuerbarer Energien in die Netze ermöglichen. Die Vorgängerregierung unter Manmohan Singh hat dafür umgerechnet 5,3 Milliarden Euro bereitgestellt. Weiteres Geld kommt von internationalen Gebern, darunter die deutsche Bundesregierung, die eine Milliarde Euro zugesagt hat. Erste Ausschreibungen für das Großprojekt, das sich über sieben Bundesstaaten erstreckt, sollen in diesem Jahr erfolgen.

Welche zusätzlichen Maßnahmen das neue Delhi unter Modi ergreift, wird in den kommenden Wochen und Monaten bekannt werden. Die erste Reform hat der Premier bereits umgesetzt: Ein Minister führt jetzt über alle Energiebereiche Regie – vorher gab es dafür drei Ressorts. Prozesse sollen unter einem Dach beschleunigt, öffentliche Dienstleistungen effektiver und Kosten reduziert werden.

Der neue Verantwortliche, BJP-Schatzmeister Piyush Goyal, hat bereits angekündigt, die Dinge transparenter, rationaler und „wesentlich ehrlicher als in den vergangenen Jahren“ zu gestalten. „Die Geschichte von der Wandlung Indiens beginnt heute“, schrieb er nach dem Wahlsieg der BJP in einem Gastbeitrag in der indischen Economic Times – möglicherweise ein gutes Omen für die Zukunft der indischen Energiewende.
Katja Dombrowski / neue energie Nr. 07 / Juli 2014, S. 76-83
www.neueenergie.net 


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