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Kohleabbau in den USADie Zerstörer der Appalachen

Brutaler Kohleabbau in den Appalachen im Osten der USA: Mithilfe von hunderten Tonnen Sprengstoff werden ganze Bergkämme zerstört, um an das schwarze Gold zu kommen.
Brutaler Kohleabbau in den Appalachen im Osten der USA: Mithilfe von hunderten Tonnen Sprengstoff werden ganze Bergkämme zerstört, um an das schwarze Gold zu kommen. (Foto: © Paul Corbit Brown)

Im Osten der USA kämpfen Umweltschützer gegen eine besonders brutale Art der Kohleförderung. Mithilfe von hunderten Tonnen Sprengstoff werden ganze Bergkämme zerstört, um an das schwarze Gold zu kommen. Vor Ort, im Kohlestaat West Virginia, hinterfragt kaum einer die Machenschaften der Kohleindustrie.

17.11.2016 – Es gibt nur wenige Bewohner West Virginias, die gegen die Macht der Kohleindustrie und ihren Einfluss aufbegehren. Einer von ihnen ist Paul Corbit Brown, Präsident der lokalen NGO Keeper of the Mountains. Die Stiftung hat ein kleines Büro in Charleston, der Hauptstadt West Virginias, und kämpft für den Erhalt der Berge. Nach neuesten Schätzungen leben in Charleston nicht einmal mehr 50.000 Menschen, der gesamte Staat beheimatet 1,8 Millionen Amerikaner.

Die Menschen in West Virginia leben weit verstreut im gesamten Land, sie lieben die Natur und die Berge der Appalachen. Fast der gesamte Staat liegt in dieser Bergkette, die vom Nordosten in Maine bis nach Georgia im Süden der USA reicht. Trotz der atemberaubenden Natur ihres Bundesstaats schaut indes die große Mehrheit der Einwohner West Virginias weg, wenn es um die Methoden der Kohleunternehmen geht. Denn Konzerne wie Peabody Energy, Arch Coal, Alpha Natural Ressources, Patriot Coal und Blackhawk Mining garantieren Arbeitsplätze und Wohlstand, oder was davon seit der jüngsten Krise noch übrig ist, die die Kohleindustrie in den gesamten USA erfasst hat.

Kohlekonzerne in der Insolvenz

In West Virginia, dem nach Kohlearbeitern größten Kohlestaat, geht es seit einigen Jahren bergab. In den vergangenen Jahren gingen Zehntausende Kohlejobs verloren, zahlreiche große Unternehmen mussten Insolvenz anmelden, einige werden das Verfahren gut überstehen, andere wurden von undurchsichtigen Investoren aufgekauft. Viele Minen mussten schließen, vor allem die unterirdischen. Nahezu ungeachtet der internationalen Entwicklungen des Energiemarkts, der Klimaversprechen und der Verordnungen aus Washington wird weitergefördert. Und das bedeutet in West Virginia vor allem: Weiterhin werden Berge zerstört. Denn ein Großteil der Kohle aus dem Appalachen-Bundesstaat wird durch das sogenannte Mountaintop-Removal-Verfahren gewonnen.

Über 500 Berge bereits zerstört

Seit den 1970er Jahren wird Mountaintop Removal (MTR) in den Appalachen angewendet, in West-Virginia, Kentucky, Virginia und Tennessee. NGOs schätzen, dass der MTR-Kohleabbau in einem Gebiet mit einer Fläche von knapp 5.000 Quadratkilometern betrieben wird oder wurde. Die nationale Umweltbehörde EPA geht von 6.500 Quadratkilometern vernichteter Waldfläche in den Appalachen aus. Die meisten anderen US-Bundesstaaten haben diese Methoden bereits verboten. In den Appalachen lagern allerdings unter den Bergen Millionen Tonnen Steinkohle und wecken Begehrlichkeiten. Über 500 Berge wurden durch das Wegsprengen der Bergspitzen bereits zerstört.

Giftiger Abraum im Tal

Der Großteil der MTR-Kohle in den USA kommt unverändert aus West Virginia. Dort sind die Auswirkungen auf Menschen, Tiere und die Natur verheerend. Vor den Sprengungen wird die gesamte Vegetation der Bergkuppen entfernt, teilweise liegen die Kohleflöze bis zu 180 Metern unter der Oberfläche. Um solche gewaltigen Erdmassen zu bewegen, sind nach Angaben lokaler NGOs viele tausend Tonnen Sprengstoff notwendig. Mit riesigen Maschinen wird anschließend nach dem schwarzen Gold gegraben. Der meist giftige Abraum aus den Minen wird größtenteils in die Täler gekippt, „valley fills“ nennen die Firmen das. Seit der Änderung des „Clean Water Act“ unter der Bush-Regierung 2002 ist dieses Vorgehen sogar legal. Dabei werden die Wasserläufe in den Tälern mit Schwermetallen wie Quecksilber und Arsen, Sulfaten und anderen Chemikalien aus dem Tagebau vergiftet und Quellläufe begraben.

Kohle hat das Sagen

Etwa drei Millionen Menschen leben im Umfeld der MTR-Minen, mehrere Studien zeigen, dass die Wasser- und Luftverschmutzung dort sehr viel höher ist als in nicht betroffenen Gemeinden der Appalachen. Der Vorteil für die Firmen ist klar: Oft ist es möglich, die nahezu gesamten Kohleflöze freizulegen, zudem werden sehr viel weniger Arbeiter benötigt als mit herkömmlichen Methoden. Der Kohleertrag je Mitarbeiter steigt und damit auch der Gewinn.

Genehmigungen erhalten die Firmen ohne Probleme, für nahezu alle Gebiete, berichten Beobachter vor Ort. Es sollen sogar Naturschutzgebiete verschoben oder aufgehoben worden sein, erzählt Umweltschützer und Anwohner Paul Corbit Brown. Seine kleine NGO versucht mit Protesten, Blockaden und Informationsveranstaltungen auf die gewaltigen Auswirkungen der Kohleförderung auf Menschen und Biodiversität Aufmerksam zu machen.

Auch mit internationalen Umweltorganisationen wie Rainforest Action Network, Friends of the Earth oder der deutschen NGO urgewald arbeiten sie zusammen. Gebracht hat es bisher wenig. „Denn West Virginia ist ein Kohlestaat“, so Brown. „Die haben hier das sagen“. Alle führenden Politiker, ob Demokraten oder Republikaner, und die meisten Menschen im Bundesstaat seien abhängig von der Kohleindustrie. Er werde regelmäßig bedroht, seit neuestem werde sein E-Mailkonto gehackt. Die Geschichten, die er erzählt, würde man nicht in West-Virginia sondern eher im brasilianischen Regenwald vermuten, wo Ölkonzerne systematisch Umweltschützer drangsalieren und vor Waffengewalt nicht zurückschrecken.

Neugeborene mit Herzfehler

Wie nahezu alle Einwohner West Virginias hat auch Brown Familienangehörige, die in der Kohleindustrie gearbeitet haben. Sein Großvater habe bereits als Zehnjähriger in den Kohleminen geschuftet, sein Vater könne nicht mehr arbeiten, er leide an einer schweren Kohlenstaublunge. Ohnehin sind die Zahlen, die er referiert, erschreckend: In drei Vierteln der Wasserläufe und Seen der Region solle die Bevölkerung nicht baden, würden die Behörden raten. Nur zu bestimmten Jahreszeiten sollten selbst gefangene Fische und dann nur bestimmte Arten verzehrt werden.

Tatsächlich ist die Lebenserwartung in West Virginia auffallend gering und liegt den offiziellen Zahlen zufolge im Durchschnitt bei 75,4 Jahren. Damit belegt der Kohlestaat den vorletzten Platz aller US-Bundesstaaten. Auf Hawaii leben die Einwohner fast sechs Jahre länger. Angesichts der massiven Auswirkungen des Kohleabbaus durch MTR kaum verwunderlich. Die in den vergangenen vier Jahren veröffentlichten 19 Studien zu den Folgen des MTR-Kohleabbaus zeigen die desaströsen gesundheitlichen Folgen auf: „Im Vergleich zu Sterblichkeitsraten in anderen Teilen der Appalachen kommt es in den Kohleabbaugebieten zu 1.460 zusätzlichen Todesfällen jedes Jahr, die weder durch Alter noch durch andere Faktoren zu erklären sind“, erklärte jüngst Professor Michael Hendryx vom Institut für Gesundheitswesen an der Indiana University. Seit Jahren forscht er zu dem Thema. Auch das Risiko für Herzfehler bei Neugeborenen liegt laut seinen Studien in MTR-Gebieten um 181 Prozent höher.

Zerstörung mit deutschem Geld

Was für drastische Auswirkungen die Kohleförderung in den Bergen der Zentral-Appalachen auf die Natur hat, wird bei dem Besuch einer ehemaligen MTR-Mine deutlich. Etwa eine Autostunde südlich von Charleston schlängelt sich die kaum befestigte Straße den Berg hoch zum Kayford Mountain, nur geübte Fahrer mit einem Pickup kommen hier hoch. Oben angekommen bietet sich ein ungewöhnliches Bild: Es gibt keine Bergspitze zu erklimmen, keine Bäume wie sonst überall. Überhaupt gibt es keine Vegetation, nur eine Art Mondlandschaft mit etwas Gras und ab und zu kleine Pflanzen. Gewaltige Massen Erde und Gestein müssen hier bewegt worden sein.

Pro Morgen, gut 4.000 Quadratmeter, leben hier in den Tälern ungefähr 1.000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten, erzählt NGO-Präsident Paul Corbit Brown. Die starke Vegetation und vielen Insekten sprechen in jedem Fall für eine große Artenvielfalt, Biologen bezeichnen die Appalachen als eine der wichtigsten „biodiversity hotspots“ in Nordamerika. In diesem Gebiet betreiben die großen Kohleförderer ihren MTR-Kohleabbau.

Am Kayford Mountain haben sie stark gewütet, schätzungsweise 200 Höhenmeter haben die Arbeiter in 20 Jahren weggesprengt, um an die Kohleflöze zu kommen. Nun ist die Kohle abgebaggert, der Abraum mit Schwermetallen und Chemikalien in das Tal gekippt. Es war einmal der höchste Berg in dieser Gegend, erzählt Browns Bruder Daniel. Nie wieder wird hier Wald wachsen, sagen die Umweltschützer. Es fehle schlicht die Erde, denn was am Ende nach den Kohlebaggern übrig bleibt, sei nur Geröll.

Gleich neben Kayford Mountain hat der Kohleförderer Blackhawk Mining eine neue Mine eröffnet und sprengt mit deutschem Geld den Berg weg. Denn der deutsche Kohlekonzern RWE ist über eine Tochterfirma seit 2012 Miteigentümer des amerikanischen Kohleförderers. Die Deutsche Bank ist treuer Geldgeber und die schmutzige Kohle aus West Virginia wird auch in deutschen Kohlekraftwerken verfeuert. Im Hintergrund von Kayford Mounatin und der neu eröffneten Mine sind zwei weitere weggesprengte Bergkuppen zu erkennen.

Nach Angaben der NGO Appalachian Voices zeigen Analysen, dass in den Zentral-Appalachen bereits zehn Prozent der Fläche durch den Kohleabbau betroffen sind. Obwohl die Nachfrage nach Kohle in den USA rapide sinkt und die Weltmarktpreise gering sind, werden in West Virginia weiter Bergkuppen weggesprengt. Von einer Energiewende hat hier bis auf wenige Umweltschützer noch nie jemand gehört. Clemens Weiß

Die Recherchereise nach West Virginia wurde durch das Transatlantic Climate & Energy Media Fellowship der Heinrich-Böll-Stiftung Nordamerika ermöglicht.


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Kommentare

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Callahan christine 19.07.2023, 18:45:09

Und von was sollen die leute dort leben, VORSCHLÄGE werden gerne gehört......


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