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Rettet unsere Lebenswelt – mit Strom!

Nach dem Pariser Klimaabkommen muss es darum gehen, mit immer mehr sauberer Elektrizität Kohle, Öl und Gas abzulösen. Verfahren zur Energieumwandlung und -speicherung – Power to Heat und Power to Gas – gewinnen an Bedeutung.

17.02.2016 – Es war ein Siegeszug ohnegleichen: Unser aller Lebenswelt sieht heute vollkommen anders aus, als es ohne die Nutzbarmachung elektrischer Energie der Fall wäre. Manch einer erkannte früh das revolutionäre Potenzial, Lenin etwa prägte den Satz „Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung“. Heute geht es um eine friedliche, eine den Frieden bewahrende Revolution. Denn der Siegeszug der Elektrizität, der vor rund 130 Jahren begann, ist noch nicht abgeschlossen. Nach den Klima-Beschlüssen von Paris ist einmal mehr das endgültige Aus für fossile Brennstoffe gefordert. Nicht zuletzt geht es darum, unsere Welt zu bewahren – und zwar mit grünem Strom. Das ist machbar, sagen Wissenschaftler und Vertreter der Erneuerbaren-Branche rund um den Globus. „Wenn die Bundesregierung ihr Bekenntnis zu den Klimabeschlüssen von Paris ernst meint und eine Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad einhalten möchte, muss unsere gesamte Energieversorgung bereits in 30 Jahren vollständig auf erneuerbaren Energien basieren“, erklärt beispielsweise der Berliner Forscher Volker Quaschning.

Doch die komplette Umstellung des Versorgungssystems ist ohne eine Anpassung der Infrastruktur, der Netze und Speicher unmöglich. Dabei müssen die bislang meist getrennt betrachteten Bereiche Strom, Verkehr, Industrie und Wärme zusammengeführt werden – seit einiger Zeit fasst man dies im Begriff der Sektorenkopplung zusammen. Unter anderem mit Power-to- X-Lösungen soll die technische Umsetzung gelingen.

Wieviel zusätzlicher Strom nötig ist, dazu werden in den Studien der letzten Jahre sehr unterschiedliche Aussagen gemacht. „Prognos prognostiziert den Bedarf für 2050 auf etwa 25 Terawattstunden (TWh) für Raumwärme und Warmwasser, Fraunhofer Iwes spricht von bis zu 330 TWh für den gesamten Wärme- und Kältemarkt“, erläutert Ulf Sieberg vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). Eine Agora-Studie geht von 100 TWh zusätzlichem Strombedarf im Wärmesektor aus. Die Energieeffizienzstrategie Gebäude wiederum beziffert den Bedarf für Heizung, Warmwasser und Beleuchtung mit 119 TWh. Bei all diesen Szenarien ist der Verkehrssektor noch gar nicht mitbetrachtet.

Mit Power-to-X ist ein volkswirtschaftlich höchst relevanter Aspekt verbunden: Das immer häufigere Abschalten von Erneuerbaren-Anlagen in wind- und sonnenreichen Zeiten aufgrund von mangelnden Netzkapazitäten würde der Vergangenheit angehören, die Entschädigungszahlungen an Kraftwerksbetreiber minimiert. Die Erneuerbaren-Branche hat entsprechende Vorschläge zu Technologien, Vermarktungs- und Vergütungskonzepten vorgelegt, so etwa der Bundesverband WindEnergie mit dem Papier „Umschalten statt Abschalten“ oder die Arge Netz, ein Zusammenschluss von rund 300 mittelständischen Erneuerbaren-Unternehmen. Auch der Forschungsverbund Erneuerbare Energien verweist in dem Papier „Erneuerbare Energien im Wärmesektor“ auf die Bedeutung, genauso der BEE in der Studie „Strommarkt-Flexibilisierung“. Die Politik schweigt sich zu dem Punkt jedoch aus, von geeigneten regulatorischen Weichenstellungen fehlt jede Spur. Allein das Bundesbildungsministerium will künftig Forschungsprojekte fördern, die sich mit dem Thema Power-to-X befassen.

„Die Frage ist, wann sich Erneuerbaren-Überschussstrom betriebswirtschaftlich lohnt. An dieser Stelle fordern wir erhebliche regulatorische Anpassungen im Strommarkt. Da die Wärmeerzeugung aus Erneuerbaren-Strom immer in direktem Wettbewerb mit der relativ billigen Erzeugung aus fossilen Energieträgern steht, bedarf es der Entlastung bei Abgaben und Umlagen, die sonst auf den Stromverbrauch anfallen“, sagt BEE-Mann Ulf Sieberg. Die Wettbewerbsverzerrungen zwischen erneuerbaren und fossilen Energieträgern müssten endlich begrenzt werden. Eine Steuerreform sei dringend nötig. „Statt Steuern und KfW-Gelder massiv in Gas- und Ölkesseln buchstäblich zu verbrennen, müssen wir einen echten Kurswechsel hin zu Erneuerbaren, Power-to-Heat und Power-to-Gas starten. Es ist nötig, dreckige Energieträger wie Kohle, Öl und Gas zu verteuern, um deren tatsächliche Umwelt- und Klimaschadenskosten abzubilden und Anreize für Investitionen in den Umbau des Energiesystems zu lenken“, so der BEE-Experte.

Sollte der regulatorische Rahmen kommen, könnte es aber durchaus dauern mit der Einführung von Power-to-Heat – obwohl die Technik verfügbar und kostengünstig ist. Ein Blick nach Dänemark zeigt, dass es anders geht: Seit 1979 gibt es dort ein Gesetz, das die Kommunen dazu verpflichtet, leitungsgebundene Wärme einzusetzen. Zudem findet sich in der Bevölkerung eine hohe Bereitschaft zur Beteiligung, viel wird über Genossenschaften vor Ort abgedeckt. Das sorgt für Akzeptanz, da die Erzeugungskosten niedrig sind und man an den Gewinnen teilhaben kann. In Deutschland hingegen belasten die hohen Abgaben den Strompreis. Bei der jüngsten KWK-Novelle wurde zudem versäumt, darüber nachzudenken, wie der Erneuerbaren-Anteil bei der Kraft-Wärme-Kopplung erhöht werden kann.

Auch bei Power-to-Gas hakt es gewaltig: Energiespeicher, und dazu zählen Power-to-Gas-Anlagen, werden hierzulande ebenso wie Power-to-Heat-Anlagen als sogenannte Letztverbraucher eingestuft und daher mit zusätzlichen Abgaben für den Strombezug belastet: Wasserstoff, aktuell per Power-to-Gas für durchschnittlich rund 15 Cent je Kilowattstunde erzeugt, verteuert sich so noch einmal um etwa zehn Cent. Das hemmt Investoren und bremst auch die Wasserstoffmobilität, die die Bundesregierung an anderer Stelle mit Milliarden fördert. Kurt Sigl vom Bundesverband E-Mobilität betont, dass es unter diesen Umständen wesentlich günstiger sei, auf batteriebetriebene Elektrofahrzeuge zu setzen, die Ökostrom direkt verbrauchen.

Vergessen wird zudem bislang, dass die neuen Technologien Lösungen für sehr alte geopolitische Probleme liefern könnten. In Entwicklungs- und Schwellenländern fehlt es oft an Stromnetzen. Sollen dort Erneuerbare helfen, Armut und Not zu überwinden, sind kluge regionale Speicherlösungen ein Muss.

Der Handlungsdruck auf die Politik steigt also, einen schnellen Kurswechsel weg von Kohle, Öl und Gas möglich zu machen. Sonst sind am Ende sämtliche Klimaversprechen und -verträge Schall und Rauch.
Jörg-Rainer Zimmermann (neue energie, Nr. 02 / Februar 2016, S. 23-25)


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