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Global Coal Exit List 2020935 Kohle-Unternehmen weltweit feuern die Klimakrise weiterhin an

Kohletagebau, Nachtaufnahme
Die Kohleindustrie am Ende des Tages. (Foto: Pixabay /Free License)

Die Kohleindustrie hat angesichts der Klimakrise ihre gesellschaftliche Legitimation verloren und ist in der heutigen Energiewelt nicht mehr wettbewerbsfähig. Doch die Datenlage zeigt, dass Kohleunternehmen unsere Zukunft immer noch ruinieren können.

24.11.2020 – Kohle gehört der Vergangenheit an? Angesichts der Klimakrise aber auch der schwindenden Akzeptanz in der Bevölkerung, der Gefährdung von Mensch und Umwelt durch Umwelt- und Luftverschmutzung, der Vernichtung von Lebensräumen und nicht zuletzt der schwindenden Wirtschaftlichkeit gegenüber Erneuerbaren Energien sollte man das meinen.

Doch weit gefehlt. Das zeigt ein Update der Global Coal Exit List (GCEL), welche die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald und 30 Partner-NGOs für das Jahr 2020 publiziert haben. Die Datenbank ist die weltweit umfassendste Liste von Unternehmen, die entlang der Wertschöpfungskette für Kraftwerkskohle tätig sind. „Unsere Datenbank identifiziert 935 Unternehmen, die die Finanzbranche ausschließen muss, wenn es darum geht, die Pariser Ziele zu erreichen“, sagt Heffa Schücking, Direktorin von urgewald.

Komplett an allen Klimazielen vorbei

Obwohl die Kohleverbrennung um 11 Prozent pro Jahr schrumpfen muss, um das Ziel von 1,5 Grad Celsius globaler Erwärmung in Reichweite zu halten, haben weniger als 25 Unternehmen auf der Liste einen Kohleausstiegsplan – geschweige denn einen Plan, der ehrgeizig genug ist, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Fast die Hälfte der Unternehmen in der Datenbank beabsichtige immer noch, mahnt das NGO-Bündnis, neue Kohlevorkommen zu erschließen.

Seit der Unterzeichnung des Pariser Klima-Abkommens hat sich laut Liste die weltweit installierte Erschreckendes Zeugnis für die Weigerung der Kohleindustrie, sich mit der Klimarealität auseinanderzusetzenKohlekraftwerkskapazität um 137 Gigawatt erhöht – das entspreche insgesamt der Menge aller derzeit in Betrieb befindlichen Kohlekraftwerke in Deutschland, Russland und Japan. Über 500 Gigawatt an neuer Kohlekraftwerkskapazität sind laut Liste in Vorbereitung. „Fast die Hälfte der auf der Global Coal Exit List 2020 gelisteten Unternehmen befindet sich noch im Expansionsmodus“, berichtet Schücking. 437 der 935 in der Datenbank aufgeführten Unternehmen planten entweder neue Kohlekraftwerke, neue Kohleminen oder neue Kohletransportinfrastruktur. Das sei ein erschreckendes Zeugnis für die Weigerung der Kohleindustrie, sich mit der Klimarealität auseinanderzusetzen, findet Schücking.

Die umfangreiche Datenbank schafft Transparenz

Die Global Coal Exit List umfasst die größten Betreiber und Produzenten von Kohlekraftwerken, Unternehmen, die über 20 Prozent ihres Umsatzes oder der Stromerzeugung aus Kohle erwirtschaften als auch Unternehmen, die den Ausbau des Kohlebergbaus, der Kohlekraft oder der Kohleinfrastruktur planen. 935 Mutterunternehmen sowie über 1.800 Tochter- und Schwesterunternehmen sind aufgelistet, deren Aktivitäten vom Kohlebergbau über den Kohlehandel und -transport bis zur Stromerzeugung aus Kohle und der Herstellung von Anlagen für den Steinkohlenbergbau reichen.

Die meisten Informationen in der Datenbank stammen aus Originalquellen der Unternehmen wie Jahresberichten, Investorenpräsentationen und Aktieneinreichungen. Insgesamt umfassen die in der Liste aufgeführten Unternehmen 88 Prozent der weltweiten Kraftwerkskohleproduktion und 85 Prozent der Kohlekraftwerkskapazität.

Klimaneutralität? Verkohlt!

Weltweit sind neue Kohlekraftwerke mit insgesamt rund 520 Gigawatt geplant. Während die chinesische Regierung angekündigt hat, bis 2060 CO2-neutral zu werden, soll fast die Hälfte der weltweit geplanten neuen Kohlekraftwerke in China gebaut werden. Vier der fünf weltweit führenden Entwickler von Kohlekraftwerken sind daher auch chinesische Unternehmen. Mit rund 14 Gigawatt in Planung folgt die indische National Thermal Power Corporation als fünftgrößter Kohlekraftwerksentwickler.

Kohleindustrie im Umbruch?

Doch in einigen asiatischen Ländern beginnt die Zukunft der Kohlekraft doch zu bröckeln. In Indien wurden die Pläne für verschiedene Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 47 GW im Jahr 2019 eingestellt. In Bangladesch, auf Platz sechs der Länder, die neue Kohlekraftwerke planen, erklärte der Staatsminister für Energie und Bodenschätze im Oktober 2020, dass 16 von 21 Kohlekraftwerken voraussichtlich nicht gebaut werden.

Auf den Philippinen – bislang auf Platz sieben der Kohleexpansions-Länder – gab das Energieministerium im Oktober 2020 ein Moratorium für neue Kohlekraftwerke bekannt. Energieminister Alfonso Cusi ließ allerdings dazu verlauten, dass trotz Moratorium Kohle ein wichtiger Bestandteil im Energiemix der Philippinen bliebe – um die Versorgungssicherheit des Landes zu gewährleisten.

Kohle heißt Konflikt

Die Akzeptanz für die Kohleverstromung sinkt, stellen Beobachter fest „Die lokale Bevölkerung ist nicht länger bereit, den massiven Land- und Wasserraub sowie die mit der Industrie verbundenen Umweltverschmutzungen und Gesundheitsauswirkungen zu akzeptieren“, sagt Schücking. Mit zunehmendem Erfolg wehrten sich Bürger vor Gericht und auf der Straße. Das funktioniert teilweise sogar in Diktaturen.

Widerstand nicht zwecklos – aber manchmal lebensgefährlich

2019 hatte bspw. das höchste Verwaltungsgericht der Türkei die Genehmigung für den Bau eines neuen Kohlekraftwerks durch die Hattat Holding in der Nähe der Stadt Amasra an der Schwarzmeerküste abgelehnt, berichtet urgewald. Über 2.000 Personen hatten die Klage eingereicht – eine Rekordzahl in der Türkei.

Und es gibt weitere Erfolge, die urgewald auflistet:

Im Januar 2020 hat ein griechisches Gericht die Genehmigungen für das Braunkohlekraftwerk Meliti 1 der Public Power Corporation und das geplante Werk Meliti 2 aufgehoben.

Im selben Monat verabschiedete der Gesetzgeber in der US-amerikanischen Hafenstadt Richmond, Kalifornien, ein Gesetz zum Verbot des Kohletransports vom Levin-Richmond-Terminal, das ein Viertel der Kohleexporte von der Westküste der USA abwickelt.

Im Februar 2020 entschied ein brasilianisches Bundesgericht gegen die Pläne von Copelmi Mineração, eine riesige Kohlenmine auf indigenen Gebieten in Rio Grande do Sul zu errichten.

Als Reaktion auf eine Klage von NGOs widerrief das südafrikanische Wassertribunal im Juli 2020 die Wasserlizenz für das Kohlekraftwerk Khanyisa und blockierte damit den Bau der Anlage durch den Projektträger ACWA Power.

Im August 2020 verabschiedete das Umweltkomitee des chilenischen Kongress-Unterhauses einen Vorschlag, alle Kohlekraftwerke des Landes bis 2025 abzuschalten – 25 Jahre früher als im früheren Abkommen der Regierung mit AES und anderen Kohlekraftwerksbetreibern in Chile festgelegt war.

In vielen Ländern dieser Welt zahlen Menschen allerdings einen hohen Preis dafür, dass sie ihre Rechte einfordern und die Kohleindustrie damit herausfordern. In der südafrikanischen Provinz Kwazulu-Natal hatten Aktivisten der Gemeinde rechtliche Schritte gegen den Ausbau der Tagebau-Kohlenmine Somkhele eingeleitet, die von Tendele, einer Tochtergesellschaft von Petmin Ltd., betrieben wird. Im Oktober 2020, nur wenige Wochen vor einer geplanten Anhörung vor dem Obersten Berufungsgericht Südafrikas, wurde die Gemeindevorsteherin in ihrem Haus ermordet.

Zerstörung von Umwelt und Heimat verhindern

Auch in Deutschland, wo der Kohlausstieg zum Jahr 2038 beschlossen ist, scheint die Räumung von Dörfern, die jetzt noch dem Kohleabbau geopfert werden, wie aus der Zeit gefallen. Dorfbewohner, die wegen des Ausbaus des RWE-Tagebaus Garzweiler vertrieben werden sollen, hatten im September 2020 beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen ihre Enteignung eingereicht.

Im selben Monat reichte die Tschechische Republik bei der EU-Kommission eine formelle Beschwerde gegen die Braunkohlemine Turów ein, die von Polens größtem Kohleversorger PGE betrieben wird. Die Mine befindet sich an der polnisch-tschechisch-deutschen Grenze und entzieht 30 Liter Wasser pro Sekunde, wodurch ganze Dörfer trockengelegt werden und die Grundwasserreserven in der gesamten Region bedroht sind. Wenn die Pläne von PGE, die Mine zu erweitern, voranschreiten, würden Tausende tschechischer Familien jenseits der Grenze den Zugang zu Trinkwasser verlieren, berichtet urgewald.

Kohlegeschäft am Ende – und trotzdem geht es weiter

Verfolgt man die Listen der vergangenen Jahre wird deutlich, dass sich die Landschaft der Kohleindustrie permanent verändert. 94 Mutterkonzerne wurden nach dem Update der Global Coal Exti List von der Liste gestrichen, 303 neue hinzugefügt.

Diese Veränderungen seien das Ergebnis von Umstrukturierungen oder Insolvenzen, berichtet urgewald, da sich die wirtschaftliche Situation der Branche in vielen Regionen der Welt rapide verschlechtert habe. Anstatt aufgelöst zu werden, werde das Kohlevermögen jedoch häufig von einem Eigentümer zum nächsten verlagert. So stamme bspw. ein Großteil der in den USA abgebauten Kohle aus Minen, die einem Unternehmen gehören oder zuvor gehört haben, das einen Insolvenzantrag gestellt hat.

Risse im Geschäftsmodell

Auch in Europa zeigen sich Risse im Geschäftsmodell mit der Kohle. Das schwedische Unternehmen Vattenfall hat nun angekündigt, sein Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg stillzulegen. Das 1.600-Megawatt-Steinkohlekraftwerk wurde erst vor fünf Jahren in Betrieb genommen, rechnet sich laut Aussage des Betreibers aber nicht mehr. Und Europas Kohle-Hardliner, das polnische Energieversorgungsunternehmen PGE, gab erst im Oktober an, seine Kohlebergwerke und -kraftwerke an eine neue, noch zu gründende staatliche Einrichtung übertragen zu wollen.

Verluste zahlt der Steuerzahler

PGE ist Europas zweitgrößter Kohlekraftwerksbetreiber Das Unternehmen hatte Schwierigkeiten neues Geld aufzutreiben, berichtet urgewald, da immer mehr europäische Finanzinstitute ihre Investitionen in Kohle aufgeben. „Es ist großartig, dass PGE endlich erkennt, dass sein Geschäftsmodell umgestaltet werden muss. Das Unternehmen sollte jedoch seine Kohle-Vermögenswerte behalten und schließen, anstatt die Verantwortung für seine schlechten Investitionsentscheidungen auf den Staat und die Steuerzahler abzuschieben. Allein die Rekultivierung der PGE-Bergbaustandorte wird Jahrzehnte dauern“, sagt Kuba Gogolewski von der polnischen NGO Entwicklung JA - Tagebau NEIN.

Polen sei jedoch nur eines von vielen Ländern, in denen die Regierungen immer noch darauf drängen, in Schwierigkeiten geratene Akteure der Kohleindustrie zu retten. Ein „Lehrbuchbeispiel“ dafür sei Südkoreas wichtigster Kohlekraftwerkshersteller Doosan Heavy. Bis zu 80 Prozent der Einnahmen von Doosan Heavy stammen aus dem Kohlekraftwerksbau. Da die Bestellungen zurückgegangen waren, hatte das Unternehmen zwischen 2014 und 2019 einen Nettoverlust von 2,24 Milliarden US-Dollar angehäuft.

Obwohl die südkoreanische Regierung versprochen hatte, die Kohlefinanzierung einzustellen, habe sie dann ein „Rettungspaket“ von fast 3 Milliarden US-Dollar zusammengestellt. „Unternehmen, deren Geschäftsmodell sich um Kohle dreht, sollten keine staatliche Finanzierung erhalten“, kommentiert Joojin Kim von der südkoreanischen NGO Solutions for our Climate den Vorgang.

„Bloß darauf zu warten, dass Kohleunternehmen von selbst den Übergang zu Erneuerbaren Energien vollziehen, ist eine Taktik, die sicher in die Klimakatastrophe führt“, warnt indes Heffa Schücking. „Die Zeit rinnt uns durch die Finger. Wenn Finanzinstitute ihren Ausstieg aus der Branche nicht beschleunigen, werden wir den grundlegendsten aller Klimatests nicht bestehen: Kohle zurückzulassen.“ na


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