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DSM: Potenzial längst nicht ausgeschöpft

Demand Side Management gilt als ein wichtiger Baustein der Energiewende. Vor allem in der Industrie ist das technische Potenzial hierfür groß. Doch die Rahmenbedingungen stimmen noch nicht und die Umsetzung ist anspruchsvoll. Dies ergab ein Pilotprojekt der Dena in Baden-Württemberg.

22.12.2015 – Auf sechs Gigawatt (GW) schätzt das Umweltbundesamt das technische Potenzial des Demand Side-Management (DSM) in der Industrie in Deutschland. Allein für Unternehmen in Süddeutschland kalkuliert Agora Energiewende das Potenzial in einer Studie auf rund 1,25 GW. Die zeitliche Verschiebung der Stromnachfrage oder die gezielte Beeinflussung der Nachfragehöhe kann einen wichtigen Beitrag zur nötigen Flexibilisierung des Stromsystems leisten. Dann, wenn beispielsweise der Wind stark bläst, wird mehr Strom abgenommen, bei Flaute oder an wolkigen Tagen wird der Verbrauch für einige Zeit gedrosselt. Gleichzeitig können so Unternehmen Kosten sparen und zusätzliche Erlöse durch die Stromvermarktung erzielen, so die Idee.

In Baden-Württemberg treibt nun die Deutsche-Energie-Agentur (Dena) die praktische Umsetzung voran. Zielsetzung des vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energie unterstützten Pilotprojekts ist es, regionale Unternehmen dabei zu unterstützen, vorhandene Lastverlagerungspotenziale zu erkennen und wirtschaftlich zu vermarkten sowie die Ausgestaltung eines Marktes für Demand Side Management in Deutschland zu fördern. Hierzu werden in Unternehmen die praktischen Potenziale für ein wirtschaftlich nutzbares DSM ermittelt, deren Vermarktung in der Praxis erprobt und daraus Schlussfolgerungen für eine verbesserte Markterschließung abgeleitet, so Annegret Agricola, Bereichsleiterin Energiesysteme und Dienstleistungen bei der Dena.

Die bisherigen Ergebnisse sind allerdings eher ernüchternd und liegen weit unter den Studienprognosen. So wurden 100 Unternehmen aus energieintensiven Branchen wie der Metallindustrie, dem produzierenden Gewerbe wie dem Fahrzeugbau und kommunalen Betrieben, beispielsweise Wasserunternehmen, identifiziert und angeschrieben, die für eine Teilnahme geeignet erschienen. 27 Unternehmen mit einem Potenzial von 36 MW abschaltbarer Lasten beteiligten sich. Als wirtschaftlich realisierbar wurden 17,5 MW identifiziert, tatsächlich als abschaltbare Lasten vermarktet werden sollen nun rund sechs MW.

Vorreiter ist der Flughafen Stuttgart, ab seit 16. Dezember 3,2 MW abschaltbare Lasten (Notstromaggregate sowie Kälte- und Lüftungsanlagen) über das virtuelle Kraftwerk der EnBW Energie Baden-Württemberg als Regelenergie vermarktet, wie Holm Wagner, Geschäftsführer der Flughafen Stuttgart Energie berichtet. Entscheidend für diesen Schritt sei die fachliche Begleitung durch die Dena gewesen, „denn DSM ist ja nicht unser Kerngeschäft“, so Wagner. „Sehr aufwendig und zeitkritisch“ seien auch die sehr hohen Anforderungen im Rahmen einer sogenannten Präqualifikation für die Bereitstellung von Regelenergie, doch habe man sich im Rahmen des Projekts mit dem Übertragungsnetzbetreiber auf eine pragmatische Lösung einigen können. Normalerweise sei es beispielsweise nötig gewesen, jede der sieben Notstromaggregate einzeln überprüfen zu lassen. Durch das vereinfachte Verfahren werden nun alle Anlagen zusammen präqualifiziert. Voraussetzung sei jedoch, dass sie innerhalb von fünf Minuten hoch oder runter gefahren werden können. „Das Potenzial ist vorhanden und sollte nicht unterschätzt werden“, bricht Wagner eine Lanze für DSM. Doch dürfe der Aufwand und die Komplexität der Einführung eines entsprechenden Systems selbst in den Unternehmen, die schon über ein Energiemanagement verfügten, nicht unterschätzt werden. Zudem seien auch Anfangsinvestitionen nötig, beispielsweise in Steuerungstechnik. Deshalb gab sich Wagner bei einer Diskussion im Rahmen einer Fachkonferenz Mitte Dezember in Stuttgart in punkto Wirtschaftlichkeitserwartungen zurückhaltend. Doch zumindest erwartete man eine Amortisation der Anfangsinvestitionen durch die Sekundärregelenergievermarktung innerhalb von zwei Jahren.

Eine DSM-Vermarktung wird auch von der Heidelberger Cement für einen Standort in einem Umfang von einem MW verschiebbarer Lasten geprüft. Doch aufgrund den sehr eng getakteten Produktionszyklen beim Betrieb der Mühlen für die Zementproduktion sei die Implementierung anspruchsvoll und komme nicht immer in Frage, so Torsten Oster, Head of Group Energy Purchasing. Auch sei die Vergütung der Regelenergieleistung bei einer Lastverschiebung in Deutschland, verglichen zu Unternehmensstandorten in Kalifornien relativ gering. Die Vermarktung über den Stromspotmarkt dagegen könne für deutsche Standorte finanziell interessant sein.

„Die Dena musste uns überreden mitzumachen“, räumt Ulrich Mogck, Leiter Facility Management bei Dürr Systems ein. Im Bereich der Prozesstechnik habe das Unternehmen kaum ein Potenzial für Lastverschiebung, doch am ehesten bei Querschnittstechniken. Man prüfe derzeit inwieweit drei Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen mit insgesamt einem MW Leistung sowie die Lüftungstechnik für DSM genutzt werden könnten. Doch sei dies ein komplexer Entscheidungsprozess und erfordere auch intensive Diskussionen mit dem Betriebsrat, wenn es beispielsweise um eine Veränderung der Klimatisierung der Büroräume gehe. Zudem stünden die Rahmenbedingungen, wie die Netzentgeltsystematik oder vergleichsweise geringe Preise für die Regelenergievermarktung der Einführung von DSM im Wege.

„Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass man mit DSM wirklich Geld verdienen kann und Einstiegshürden für Unternehmen verringert werden“, unterstreicht der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller. Er plädiert dafür, transparente DSM-Ausschreibungen anzubieten, an der sich viele Unternehmen beteiligen könnten. Dagegen privilegiere die jüngst um sechs Monate verlängerte Verordnung über abschaltbare Lasten (AbLAV) einige Großunternehmen. Die Regelung honoriert die Abschaltung großer industrieller Lasten durch die Netzbetreiber zur Sicherung der Versorgungssicherheit. Doch die Eintrittsschwelle von mindestens 50 MW verschiebbarer Lasten sei für mittelständische Unternehmen zu hoch. Zudem stünden Netzentgelte, die fixe Verbrauchsmuster von Industriekunden bevorteilten, insbesondere § 19 Absatz 1 und 2 der Stromnetzentgeltverordnung, der nötigen Flexibilisierung entgegen, so Untersteller.

In einer zweiten Phase des um ein Jahr verlängerten Pilotprojekts soll nun bis Ende 2016 die Vermarktung abschaltbarer Lasten am Stromspotmarkt, insbesondere dem kurzfristigen Intradayhandel, vorangetrieben werden. Zudem soll die Zusammenarbeit mit der Smart-Grid-Plattform Baden-Württemberg intensiviert werden. Hans-Christoph Neidlein


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