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Energiecharta-VertragGegen Klimaziele, für fossile Konzerne

Aufnahme eines Braunkohletagebaus aus der Luft
So unschön sieht ein Braunkohletagebau aus der Luft aus. (Foto:  Curioso Photography on Unsplash)

Aufgrund des Energiecharta-Vertrags werden EU-Staaten immer häufiger von fossilen Energiekonzernen vor internationale Schiedsgerichte gezerrt. Es drohen Entschädigungen in Milliardenhöhe und Verzögerungen beim Kampf gegen die Klimakrise.

26.02.2021 – Der Kampf gegen die Klimakrise nimmt in Europa Fahrt auf. Vor einem guten Jahr stellte die EU-Kommission den European Green Deal vor, der bis 2050 eine Reduzierung der Netto-Treibhausgasemissionen auf null vorsieht. Vor wenigen Monaten einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs außerdem auf eine Anhebung des EU-Klimaziels von 40 auf mindestens 55 Prozent bis 2030. Der CO2-Ausstoß soll demnach in der kommenden Dekade um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken.

Wer jetzt glaubt, dass die fossilen Energiekonzerne so schnell aufgeben, der täuscht. Denn sie haben eine Geheimwaffe: Den Energiecharta-Vertrag (ECT). Mithilfe dieser Vereinbarung können Unternehmen gegen die Klima- und Umweltschutz-Maßnahmen eines Staates klagen, wenn diese ihre Profite schmälern. Ursprünglich sollte die Charta Investitionen in Ländern mit unsicherer Rechtslage schützen – doch sie ist zu vage formuliert.

Lange Verfahren, hohe Kosten

Verhandelt wird bei den Verfahren nicht wie üblich vor einem ordentlichen Gericht, sondern vor internationalen Schiedsgerichten, die meist im Geheimen tagen. Im Rahmen von privat einberufenen Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (ISDS) entscheidet sich dann, ob und wie viel Entschädigung dem Konzern zustehen. Die Verfahren dauern meist mehrere Jahre, allein die Anwaltskosten belaufen sich auf mehrere Millionen Euro.

Beispiele derartiger Verfahren gibt es viele – und es werden mit jedem Jahr mehr. Je höher die Klimaschutzambitionen der EU, desto mehr „entgangene“ Gewinne fossiler Energieunternehmen und desto mehr Klagen.

Bereits vor Jahren hatte der schwedische Energiekonzern Vattenfall den deutschen Staat vor einem privaten Schiedsgericht in Washington verklagt. Warum? Weil Deutschland 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie verkündet hatte. Uniper kündigte 2019 an, eine Klage gegen die Niederlande vorzubereiten. Warum? Das Land hatten 2017 entschieden, bis spätestens 2030 aus der Kohle auszusteigen. Aus dem gleichen Grund klagte jetzt auch der Energiekonzern RWE gegen die Niederlande, es geht um 1,4 Milliarden Euro Schadensersatz. Die Bundesregierung hatte dem Kohlekonzern Leag vorsorglich im Rahmen des Kohleausstiegs eine Milliardenentschädigung zugesprochen, der dagegen auf Klagen im Rahmen des Energiecharta-Vertrags verzichtete.

Strafzahlungen in Milliardenhöhe drohen

Eine umfangreiche „Investigate Europe“-Recherche zeigt jetzt, dass der Energiecharta-Vertrag die EU-Staaten in den nächsten Jahren noch viele hunderte Milliarden Euro kosten und den Klimaschutz stark verzögern könnte. Aus Angst vor den hohen Entschädigungszahlungen sei eine Aufweichung von Klimagesetzen wahrscheinlich.

So summiert sich der vom Energiecharta-Vertrag geschützte Wert von Öl- und Gas-Feldern, Kohlekraftwerken und -minen, Gaskraftwerken, Pipelines und Flüssiggas-Terminals in der EU, Großbritannien und der Schweiz auf stolze 344,6 Milliarden Euro, zeigen „Investigate Europe“-Berechnungen.

Bereits im Dezember 2020 hatten sich über 150 Energie- und Klimaexperten mit einem offenen Brief an die Regierungen der Europäischen Union gewendet und die Abschaffung des Energiecharta-Vertrags verlangt. Die Forderung der Unterzeichner im Detail:

  • Rücktritt vom EnergiechartaVertrag, er ist veraltet. Der laufende Reformprozess des Vertrags darf nicht als die Begründung gegen einen Rückzug aus dem Abkommen verwendet werden.
  • Es muss gemeinsam eine Vereinbarung zur Beendigung der „Verfallsklausel“ erarbeitet werden. Diese ermöglicht es Anlegern, Regierungen auch nach 20 Jahren noch zu verklagen, selbst wenn diese sich bereits aus dem ECT zurückgezogen haben.
  • Der EnergiechartaVertrag darf nicht international ausgebaut werden. Derzeit werden Dutzende afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Länder dazu ermutigt, dem Abkommen beizutreten. Diese Expansion muss gestoppt werden.

Campact-Kampagne gegen den Energiecharta-Vertrag

Mit dem Aufruf „Klimakiller-Pakt kündigen“ sammelt die deutsche Kampagnen-Organisation Campact derzeit Unterschriften für einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag. Konzerne würden mit ihren Milliardenklagen vor geheimen Schiedsgerichten die Klimarettung torpedieren, so der Vorwurf. Obwohl Frankreich und Spanien den Vertrag aufkündigen wollen, bremse der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) einen Austritt. Anscheinend scheut er den Konflikt mit den Kohlekonzernen.

Im März steht nun die nächste Verhandlungsrunde über eine Reform des Energiecharta-Vertrags an – doch derzeit sind die Verhandlungen festgefahren. Seit zwei Jahren können sich die 54 Unterzeichnerstaaten nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen, weswegen nun immer mehr Länder einen koordinierten Austritt aus dem Vertrag vorschlagen. Italien hat bereits 2016 den Anfang gemacht und die Energiecharta im Alleingang verlassen. Das hindert Energiekonzerne jedoch nicht daran, das Land im Zweifel auch zukünftig verklagen zu können.

Im Rahmen der sogenannten „Zombie-Klausel“ können Staaten auch 20 Jahre nach ihrem Austritt aus der Energiecharta noch für ihre Entscheidungen, die Gewinne von Investoren schmälern, haften. Deshalb setzen Alleingänge wie der von Italien zwar ein deutliches Zeichen, ändern jedoch nichts an mögliche Klagen im Rahmen des Energiecharta-Vertrags. Nur wenn die EU-Staaten vor einem gemeinsamen Austritt vereinbaren, dass gegenseitig auf Schiedsgerichtklagen verzichten, könnten die allermeisten Konzernklagen unterbunden werden. jk


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